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28.09.2014 10:45 Alter: 10 yrs

Innovationen für einen maßgeschneiderten Netzausbau

Das Energiekonzept der Bundesregierung legt ambitionierte Zielvorgaben fest. Bis 2050 sollen die erneuerbaren Energien 80 Prozent des Strombedarfs bereitstellen. Hier sind wir auf einem guten Weg. Im ersten Halbjahr 2014 hat regenerativ erzeugter Strom den größten Anteil im deutschen Strommix ausgemacht und damit zum ersten Mal die Braunkohle als Energiequelle von dieser Spitzenposition verdrängt. Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung.



Rückgrat jeder sicheren Stromversorgung ist das Stromnetz. Unser Stromnetz ist höchst komplex und bereits kleine Eingriffe können schwerwiegende Folgen haben. Ein einstündiger Stromausfall in einer deutschen Großstadt kann schon zu einem Schaden in Höhe von über 20 Millionen Euro führen. Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien stellt eine zusätzliche Herausforderung für unser Stromnetz dar, weil damit neue Anforderungen an die Flexibilität des Systems verbunden sind. Drei entscheidenden neuen Anforderungen muss das künftige Stromnetz standhalten:

Erstens, das deutsche Stromnetz ist in seiner bisherigen Struktur auf die zentrale Einspeisung von großen Strommengen in großen Kraftwerken ausgerichtet. Die Übertragung des in den Kraftwerken erzeugten Stroms erfolgte bisher größtenteils in eine Richtung von der Höchst- und Hochspannungsebene über die Verteilnetze bis hin zum Verbraucher. Der Strom aus regenerativen Quellen wird jedoch nicht mehr zentral in Großkraftwerken sondern dezentral erzeugt. Dieser Strom wird vermehrt auf der Ebene der Verteilnetze in das Netz eingespeist. Der klassische Stromfluss kehrt sich also um. Zeitweise bestehen signifikante Stromflüsse aus dem Verteilnetz in die höheren Netzebenen.

Als zweite Anforderung muss das künftige Stromnetz Netzstabilität wie auch die Versorgungssicherheit bei einem hohen Anteil fluktuierender Energiequellen gewährleisten. Die Stromerzeugung aus Wind und Sonne ist starken Schwankungen ausgesetzt. Dies hat uns jüngst die schlechte Wetterlage im August verdeutlicht. Das nicht planbare Wetter mit einem ständigen Wechsel aus Regenschauern, Sonne und starkem Wind erfordert eine äußerst komplexe Steuerung des Stromnetzes. Das Netz muss so flexibel sein, dass die Balance zwischen Erzeugung und Verbrauch zu jeder Zeit gewährleistet ist, unabhängig, aus welchen Quellen der Strom stammt, ob er im Verteilnetz oder der Hochspannungsebene eingespeist wird oder wie viel Strom gerade nachgefragt wird.

Schließlich muss die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen dort erfolgen, wo Wind und Sonne am besten verfügbar sind. Dieser Umstand verlangt vom zukünftigen Stromnetz als dritte Anforderung Transportkapazität vor allem zu den Ballungsräumen und den ausgeprägten Industriestandorten in Mittel- und Süddeutschland.

Diese drei Anforderungen werden das Stromnetz in seiner bisherigen Struktur und Ausprägung an seine technischen Grenzen führen. Das Netz muss daher weiter ausgebaut und ertüchtigt werden. Dieser Netzausbau kann jedoch nicht als eine bloße Managementaufgabe verstanden werden. Es bedarf mehr als guter Organisation und Geld. Es bedarf vor allem einer starken Forschung mit klugen Ideen. Ohne Forschung können diese drängenden Aufgaben nicht gelöst werden.

Beispielsweise brauchen wir neue Technologien zur Übertragung von Gleichstrom in Hochspannungsleitungen. Darüber hinaus sind Informations- und Kommunikationstechnologien notwendig, die zu jeder Zeit im Netz die Balance zwischen Erzeugung und Verbrauch halten. Optimierte Übertragungs- und Verteiltechniken, intelligente Stromnetze, neue Konzepte zur Netzplanung und Betriebsführung sowie ein innovatives Lastmanagement können hier zu einer Lösung beitragen.


Viele dieser Technologien sind heute noch nicht verfügbar. Hier setzt die gemeinsame Förderinitiative „Zukunftsfähige Stromnetze“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie an. Anfang August haben wir den Startschuss für diese Initiative gegeben. Mit 83 Forschungsvorhaben und einem Gesamtfördervolumen von etwa 157 Millionen Euro haben wir einen umfassenden Innovationsprozess in Gang gesetzt. Hieran beteiligen sich zahlreiche Hochschulinstitute, Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen, unter denen auch viele kleine und mittlere Unternehmen sind.

Allein mit technologischen Innovationen wird der Netzausbau jedoch nicht gelingen. Es hängt entscheidend davon ab, dass wir auch die gesellschaftlichen und sozialen Fragen klären.

Wir werden über die lange Zeit, die der Umbau der Energieversorgung und vor allem der Netzausbau in unserem Land andauern werden, immer wieder angepasste und von allen getragene Lösungen finden müssen. Deshalb ist ein zentrales Element der Energieforschungsagenda des BMBF die Integration von technologischer Grundlagenforschung, Systemforschung und insbesondere sozial-ökologischer Forschung. Die aktuellen Entwicklungen zum Netzausbau zeigen, dass wir hier noch Nachholbedarf haben.

Ein besonderer Schwerpunkt unserer sozialökologischen Forschung geht der Frage nach, wie wir Bürgerinnen und Bürger besser in Entscheidungsprozesse einbinden. Die Wissenschaft kann hier einen entscheidenden Beitrag leisten, indem sie Informationen bereithält, Alternativen und innovative Beteiligungskonzepte entwickelt.

Darüber hinaus können wir mit der Wissenschaft noch einen Schritt weiter gehen und Entscheidungsprozesse im konkreten Einzelfall fachlich unabhängig begleiten. Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können dabei in der Rolle des fachlichen Beraters beiden Seiten Orientierungs- und Entscheidungswissen bereitstellen.

Das BMBF bietet deshalb beim geplanten Netzausbau, Bürgerinnen und Bürgern in betroffenen Regionen Gesprächsforen an, die von wissenschaftlicher Expertise begleitet werden, die wiederum von den Bürgern selbst ausgewählt wird, um kompetent an gemeinsam entwickelten Lösungskonzepten mitwirken zu können. Auf diese Weise soll Vertrauen geschaffen werden.

Die Energiewende und der dazu notwendige Netzausbau sind machbar und bezahlbar. Die Forschung leistet dazu einen entscheidenden Beitrag.

www.bmbf.de