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Impulse für die Koordinierung von Netzbetreibern in der digitalen Energiewende
Die Energiewende ist in vollem Gange – alle wesentlichen Transformationsprozesse der Energielandschaft gehen von den Verteilnetzen aus.
In einer kürzlich veröffentlichten Studie untersucht das renommierte Beratungsunternehmen E-Bridge Consulting praxisnah die weitere Ausgestaltung der Rolle des Verteilnetzbetreibers und die Schnittstellen im Zusammenspiel von Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber. Zu wesentlichen Aussagen der Studie und Anforderungen an die zukünftige Ausgestaltung der Koordinierungskonzepte informieren Dr.-Ing. Henning Schuster (li.) und Dr.-Ing. Jens Büchner (re.) in einem Gastbeitrag.
Fotos: www.hagenwillsch.de
Bereits heute werden 30 % des gesamten Bruttostromverbrauchs in Deutschland aus erneuerbaren Energien erzeugt, diese sind hauptsächlich in Verteilnetzen angeschlossen.
Die politischen Ziele der Bundesregierung für eine Minderung der Treibhausgasemissionen
um mindestens 80 % können nur mit einer Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors, Speichern und einem weiteren Ausbau an EE-Anlagen im Verteilnetz erreicht werden.
Einspeisungen, Lasten und Speicher im Verteilnetz werden zukünftig aktiver als heute am Marktgeschehen teilnehmen.
Die politischen Ziele der Bundesregierung sehen die nahezu vollständige Dekarbonisierung in Deutschland vor: Bis 2050 sollen die Treibhausgasemissionen um mindestens 80 % reduziert werden. Es wird erwartet, dass zu diesem Zeitpunkt mehr als 60 Millionen1 neue aktive steuerbare und zum größten Teil intelligent agierende Anlagen in Verteilnetzen angeschlossen sein werden und das Energiesystem prägen.
Um auch dann noch einem sicheren und zuverlässigen Netz- und Systembetrieb zu gewährleisten, müssen die Aufgaben und Rollen der Verteilnetzbetreiber sowie deren Zusammenarbeit untereinander und ihre Koordination mit Übertragungsnetzbetreibern weiterentwickelt werden.
Aktives Engpassmanagement – dauerhafte Aufgabe der Verteilnetzbetreiber
Die Netzinfrastruktur im Verteilnetz ist auf geringe Gleichzeitigkeiten von Verbrauchern (ca. 10 %) ausgelegt. Durch die zunehmende Steuerbarkeit der Anlagen und perspektivisch wachsende Volatilität der Strompreise ist davon auszugehen, dass die Gleichzeitigkeit der Beanspruchung der Netzbetriebsmittel in Zukunft deutlich zunehmen wird. Simulationen, die E-Bridge anhand von realen ländlichen und städtischen Netzen durchgeführt hat, belegen dies.
Ein Großteil der Netzengpässe treten dabei nur wenige Stunden im Jahr auf. In der BMWi-Verteilnetzstudie2 wurde bereits erkannt, dass das Netz bei einspeisebedingten Engpässen nicht für „die letzte“ Kilowattstunde ausgebaut werden darf. Ähnliche Zusammenhänge wurden nun auch für lastbedingte Engpässe gefunden. Die Erweiterung des Einspeisemanagements auf ein allgemeines Engpassmanagement erscheint zwingend erforderlich.
Ordnungspolitischen Rahmen für Engpassmanagement und Automatisierung im Verteilnetz schaffen
Heute sind marktbezogene Maßnahmen nach § 13 (1) EnWG nur für den Übertragungsnetzbetreiber vorgesehen. Eine Regelung für Verteilnetze existiert nicht -ist aber dringend erforderlich. Entsprechende Regelungen müssen die Möglichkeit engpassbeseitigender Maßnahmen für den Verteilnetzbetreiber schaffen, die Rahmenbedingungen festlegen und die resultierenden Kosten regulatorisch anerkennen.
Ein effizientes Engpassmanagement in Verteilnetzen erfordert einen hohen Automatisierungs- und Digitalisierungsgrad, um die zukünftigen Herausforderungen zu meistern.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verteilnetze allerdings in unterschiedlichem Maß betroffen sind. Die Forderung nach einer Einführung hochautomatisierter Prozesse für alle Netzbetreiber erscheint nicht sinnvoll.
Bisher hierarchisch aufgebaute Steuerungskonzepte dürfen nicht ungeprüft fortgeschrieben werden.
Primär werden die im Verteilnetz angeschlossenen Flexibilitäten3 durch die Marktakteure genutzt, um ihre kurzfristigen Positionen auszugleichen, dadurch reduzieren sie Beschaffungs- und Ausgleichsenergiekosten. Diese Flexibilitäten werden allerdings auch für den Systembetrieb sowie den Betrieb von Verteil- und Übertragungsnetzen benötigt.
Im traditionellen Energiesystem war durch die Steuerungsmöglichkeiten von Großkraftwerken die Einbindung der Verteilnetzbetreiber in die aktive Steuerung des Systems nicht notwendig. Mit Fortschreiten der Energiewende finden die Steuerungsmöglichkeiten aber gerade in den Verteilnetzen statt.
Die fehlende Koordinierung zwischen Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern, führt mindestens zu folgenden drei Problemen:
• Gefährdung der Netzsicherheit:
Der Abruf von Flexibilitäten im Verteilnetz kann ohne Berücksichtigung der lokalen Netzsituation zu Überlastungen führen und die Netzsicherheit gefährden.
• Fehlende Synergienutzung:
Wenn gleichzeitig gleichgerichtete Flexibilität für unterschiedliche Anwendungszwecke benötigt wird, entstehen Synergiepotenziale. Ein unkoordinierter Zugriff auf die Flexibilitäten kann dazu führen, dass Synergien nicht genutzt werden und die Kosten für Netz- und Systembetrieb unnötigerweise erhöht sind.
• Fehlende Kosteneffizienz:
Die Flexibilitäten müssen heute in unterschiedlichen Märkten angeboten werden (siehe Abbildung). Dadurch entsteht eine unnötige Zersplitterung des Marktes und ein kosteneffizienter Flexibilitätseinsatz ist nicht sichergestellt.
Mindestmaßnahme zur Systemsicherheit: Einschränkungen bei der Abrufbarkeit von Flexibilitäten im Verteilnetz müssen rechtzeitig durch den Verteilnetzbetreiber signalisiert werden.
Ein sicherer Netz- und Systembetrieb erfordert, dass der Abruf von Flexibilitäten zu system- und netzdienlichen Zwecken gewährleistet werden muss. Ist die Abrufbarkeit aufgrund der Netzsituation – nach erfolgtem Einsatz aller erforderlichen Engpassmanagementverfahren – dennoch eingeschränkt, so muss dies rechtzeitig den entsprechenden Marktakteuren mitgeteilt werden.
Der Verteilnetzbetreiber muss deshalb regelmäßig Netzverträglichkeitsprüfungen durchführen, um Situationen mit eingeschränkter Abrufbarkeit von Flexibilitäten rechtzeitig zu erkennen. Die Ausgestaltung der Netzverträglichkeitsprüfung, bspw. unter welchen Kriterien eine „Red Flag“-Situation ausgerufen werden kann und die finanziellen Konsequenzen muss in Zusammenarbeit mit allen Marktparteien erfolgen.
Weitere Kostensenkungen sind durch örtlich differenzierende Märkte für Flexibilitäten zu erreichen. Heute bestehen unterschiedliche Beschaffungsmechanismen für die diversen Flexibilitätsprodukte. So steht für systemdienliche Anwendungszwecke (Regelleistung) ein regelzonenweites Flexibilitätspotential zur Verfügung. Für Redispatch auf Übertragungsnetzebene lassen sich die Flexibilitätspotentiale zumindest (über-)regional substituieren. Lokale Engpässe im Verteilnetz können jedoch nur mit lokal verfügbaren Flexibilitäten behoben werden.
Ein Marktplatz für Flexibilitäten mit örtlicher Komponente könnte die Nutzung der jeweils günstigsten Flexibilitäten fördern und damit hohe Kosteneinsparungen erreichen. Eine erste Abschätzung liefert Kosteneinsparpotenziale von 15 bis 20 %, wenn der Verteilnetzbetreiber Zugriff auf die günstigsten Flexibilitäten hätte. Eine Umsetzung regionaler Märkte mit netz- und systemdienlichen Flexibilitäten sollte erst mittel- und langfristig angestrebt werden. Dabei ist sicherzustellen, dass die Effizienz der Großhandels-Preissignale nicht gefährdet wird und eine ausreichende Marktliquidität bei der Preisbildung herrscht.
- Mehr als 40 Millionen zusätzliche E-PKW, mehr als 15 Millionen zusätzliche elektrische Wärme-Lösungen und mehr als 5 Millionen zusätzliche Erzeugungsanlagen und Speicher im Verteilnetz
- E-Bridge Consulting; Institut für elektrische Anlagen und Energiewirtschaft; Offis (2014). Moderne Verteilernetze für Deutschland. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), Bonn, Aachen, Oldenburg
- Definition Flexibilität: Kurzfristige technische Steuerbarkeit von Wirk- und Blindleistungen
Handlungsempfehlungen für eine sichere und effiziente Koordinierung von Netzbetreibern in einer digitalen Energiewende:
► Ein voll umfängliches Engpassmanagement für Verteilnetzbetreiber ist auszugestalten und einzuführen, einschließlich einer Weiterentwicklung der Planungsgrundätze.
► Die Betriebsführung von engpassbehafteten Verteilnetzen muss digitalisiert und automatisiert werden.
► Ein Red Flag-Mechanismus ist einzuführen und auszugestalten. Dazu müssen sowohl die Netzverträglichkeitsprüfung als auch die daraus resultierende Beschränkung des Flexibilitätsabrufs spezifiziert und ordnungspolitisch anerkannt werden.
► Ein Markt für Flexibilitäten mit örtlicher Komponente ist perspektivisch - insbesondere vor dem Hintergrund der Beschaffungs- und Preisfindungsmechanismen - auszugestalten Und das zu erwartende Effizienzpotential gegenüber möglichen Marktrisiken abzuwägen.