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Grenzbereich Systemverantwortung
Die Wahrnehmung der Systemverantwortung ist eine wertschöpfungs- und spartenübergreifende Aufgabe, bei der viele Fragen noch offen sind. Keiner der Beteiligten kann heute alleine die Energiewende volkswirtschaftlich sinnvoll gestalten oder Versorgungssicherheit garantieren. Systemverantwortung ist das übergreifende Thema. Wo sieht ein Ferngasnetzbetreiber (FNB) Probleme bei der Systemverantwortung und gibt es Lösungsansätze dazu? Ralph Bahke, Geschäftsführer der ONTRAS - VNG Gastransport GmbH will mit seinem Beitrag die Diskussion aufrechterhalten. THEMEN:magazin Energie wird dieses Thema weiter begleiten.
Die deutschen Energienetze gelten mit zu den zuverlässigsten in ganz Europa und gewährleisten seit Jahrzehnten eine sichere Strom- und Gasversorgung. Unbestritten aber ist, der aktuell bevorstehende parallele Um -und Ausbau der Netze wie auch Überlegungen zu einer erweiterten Nutzung der Gasnetze werfen Fragen auf und verlangen zugleich Antworten zu künftiger Versorgungssicherheit und Systemstabilität.
Die Energiewende bewirkt, dass schon heute Biogasanlagen ins Erdgasnetz einspeisen. Allein an das Ontras-Netz werden 22 Biogasanlagen bis zum Jahresende 2015 angeschlossen. Mit jährlich bis zu 190 Millionen Kubikmetern ins Gasnetz eingespeistem Biogas wird sich damit die CO2- Bilanz von Erdgas weiter verbessern. Das Dilemma: Es gibt eine Förderung für die Einspeisung von Biogas ins Gasnetz einseitig zu Lasten der Kunden eines Marktgebiets, aber keine Anreize für Verbraucher, Biogas zu verwenden. Nicht verbrauchtes Biogas muss daher teilweise aus nachgelagerten Netzen ins Fernleitungsnetz zurückgespeist werden! Das ist volkswirtschaftlicher Nonsens! Hier muss die Politik Anreize für Verbraucher schaffen und Biogaskosten gleichmäßig verteilen.
Ebenso rücken andere regenerative Gase stärker ins Blickfeld. Mit Power to Gas besteht künftig die Möglichkeit, mit überschüssigem Wind- und Solarstrom erzeugten Wasserstoff oder synthetisches Methan ins Gasnetz einzuspeisen. So umgewandelt wird Strom langfristig speicherfähig. Eine Herausforderung für die übergreifende Systemverantwortung.
Power-to-Gas ersetzt den Ausbau der Stromnetze nicht, könnte jedoch regional zu deren Systemstabilität beitragen. Voraussetzung dafür ist jedoch ein von der Politik koordiniertes Zusammenwirken aller Beteiligten, Anlagen-, Strom- und Gasnetzbetreiber sowie die Implementierung eines volkswirtschaftlich sinnvollen Marktmodells.
Versorgungssicherheit ist übergreifend
Entscheidungen zur Einordnung und dem Status der Strom -und Gasnetze unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit stehen aktuell auf der Tagungsordnung. Die Ausgangslage wird hierbei durch das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) bestimmt. Laut § 16 EnWG sind die FNB für die Sicherheit und Zuverlässigkeit ihres Gasversorgungssystems verantwortlich.
Bei einem Gasengpass sind u. a. systemrelevante Kraftwerke und geschützte Kunden weiter zu versorgen. Nach Ausschöpfen von netz- und marktbezogenen Maßnahmen (§ 16 Abs. 1) können feste Transportverträge und interne Bestellungen gekürzt, Letztverbraucher abgeschaltet sowie Speicher und Produktionsquellen zur Einspeisung angewiesen werden (§ 16 Abs. 2 unter Beachtung von § 53a EnWG und EU SoS-VO).
Systemrelevante Gaskraftwerke bevorzugt zu behandeln ist sicher nachvollziehbar. Eine solche Entscheidung kann aber dazu führen, das ein Gasnetzbetreiber vertraglich vereinbarte Gasmengen für Industriekunden, Grenzübergangspunkte oder nachgelagerte Netzbetreiber reduzieren oder die Lieferung ganz einstellen muss. Im Bild sollen hier nur Stahlwerke, Automobilhersteller oder Großbäckereien stehen.
Wie ein solches Real-Szenario zeigt, fehlt für viele Stellschrauben der volkswirtschaftliche Ansatz. Die Regelungen bei Auftreten eines Engpasses sind ziemlich unklar. Wir kommen nicht umhin, in der Branchedie Regeln für ein solches Vorgehen zu diskutieren. Fragen wie Haftungs- und Entschädigungsforderungen der von solchen (hier nur fiktiven) Maßnahmen betroffenen Kunden verlangen eine Regelung. Zumal wenn der Gasnetzbetreiber mit diesen Kunden kein Vertragsverhältnis eingegangen ist.
Ohne Kommunikation geht es nicht
Das Unbundling bewirkt divergierende Interessen von Händlern sowie Kraftwerks-, Netz- und Speicherbetreibern. Im Fall eines Engpasses sollen diese plötzlich wieder unter einem Hut vereinigt werden. Doch wie soll dies ablaufen? Keiner der Beteiligten verfügt derzeit über genügend Rechte, um allein für Versorgungssicherheit zu sorgen oder diese zu koordinieren. Die zuständigen Behörden lehnen diese Verantwortung ab. Stattdessen wurde den Ferngasnetzbetreibern diese Verantwortung aufgebürdet. Somit obliegt es uns, das Problem gemeinsam mit den Marktteilnehmern zu lösen. Rechtsrahmen, Kooperation und Marktwirkungen sind hierbei notwendige thematische Komponenten für weitere Überlegungen.
Notwendig ist ohne Frage eine spartenübergreifende Kommunikation. Deshalb haben wir gemeinsam mit den ÜNB ein erstes Kommunikationskonzept für einen Leitfaden erarbeitet. Grundsätze sind erstmals in der ab Oktober geltenden KoV VI in § 21 verankert. Die noch fehlenden Grundlagen für die operative Umsetzung sollen später im Leitfaden zusammengefasst werden. Auch für den bisher nicht geregelten Umgang mit ungeschützten Kunden sowie die grenzüberschreitenden Auswirkungen von Versorgungsengpässen bzw. netzstabilisierenden Maßnahmen haben wir als FNB erste Lösungen dem BMWiT vorgeschlagen.
In einer entflochtenen Welt kann keiner der Akteure allein die Versorgung sichern. Zwar verfügen Importeure und Händler über Gasmengen. Eine Garantie für Kapazitäten können sie aber nicht abgeben. Gasnetzbetreiber wie ONTRAS können im Bedarfsfall zwar zusätzliche Kapazitäten bereitstellen, dürfen aber keine Gasmengen handeln. Und Speicherbetreiber lagern Gasmengen, die ihnen eigentlich nicht gehören. Grund sind vom Gesetzgeber vorgegebene Regeln, die auf den Prüfstand müssen, aber eine intensive Kommunikation zwischen allen Beteiligten nicht ausschließen dürfen.
Rechte und Pflichten laut Gesetz schaffen nicht automatisch Versorgungssicherheit. Die wichtigste Basis hierfür ist nun einmal unternehmerisches Handeln. Da fehlen uns einfach Freiheitsgrade und entsprechende Handlungsanreize. Hier muss die Politik Klarheit schaffen. Wir benötigen Modelle, bei denen die Belange von Strom -und Gaswirtschaft gleichermaßen Berücksichtigung finden und eine sachgerechte Kostenverteilung auf alle Beteiligten erfolgt.