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21.12.2022 09:47 Alter: 2 yrs

Gibt es einen „Fast Track“- Ansatz für Großprojekte der Energiewende?

Die Beschleunigung der Energiewende ist das zentrale Thema der Branche. Vor allem bei Großprojekten ist die Fähigkeit, Komplexität mit praktischen Ansätzen zu managen unverzichtbar. Auf welche Faktoren es bei sich ständig wechselnden Herausforderungen ankommt, um dem zunehmenden Termindruck zu begegnen, erläutert Henrik Töpelt, Head of Energy / Associate Partner bei DREES & SOMMER in einem Gastbeitrag für THEMEN!magazin.


Henrik Töpelt, Head of Energy / Associate Partner, DREES & SOMMER Foto: DREES & SOMMER

„Bei Großprojekten kommt der Anwendung essentieller Grundlagen und dem partnerschaftlichen Umgang eine weit höhere Bedeutung zu, als gemeinhin angenommen wird.“ Henrik Töpelt

Die Brisanz der gegenwärtigen Energiekrise führt zu enormem Handlungsdruck. Auch wenn die aktuelle Krisensituation den Fokus verändert und andere Themen in den Vordergrund rücken, bleibt die Kernfrage, kann mehr Tempo bei der Realisierung von Projekten aufgenommen werden. Dies gilt nicht nur für kurzfristig priorisierte Bereiche wie den Neubau von LNG-Terminals und deren Gasanbindungen. Die Transformation hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung kann nur durch gleichmäßigen Fortschritt auf allen wichtigen Handlungsfeldern erreicht werden – sei es beim Zubau Erneuerbarer Energien, dem Stromnetzausbau, dem Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft inklusive der Umnutzung bestehender Gasnetze und nicht zuletzt bei der grünen Wärmewende.

 

In allen Bereichen wird eine Vielzahl von Investitionsvorhaben parallel realisiert. Stets gilt es, das jeweilige Vorhaben effizient durch alle Phasen bis zum Abschluss zu führen. Das termingerechte Durchführen von Projekten ist schon bei normaler Projektgröße und beherrschbaren Randbedingungen eine Herausforderung. Die Anzahl der Risiken – insbesondere der Terminrisiken – nimmt mit der Größe und Komplexität von Projekten zu. Es ist daher notwendig zu verstehen, welche Faktoren eine Beschleunigung im Projektablauf ermöglichen und welche Faktoren Verzögerungen verursachen.

 

 

Einsatz digitaler Tools als unerwartete Hürde

Digitalisierung gilt oft als Allheilmittel. In der Praxis vieler Projekte scheitern jedoch selbst einfache digitale Ansätze bereits in frühen Phasen oder können oft nach ihrer Umsetzung nicht den erhofften Nutzen erbringen. Die Ursachen hierfür sind vielfältig.

Häufig achten die Verantwortlichen bei der Auswahl und Einführung neuer IT-Tools nicht ausreichend auf bereits etablierte Tools und die bestehende IT-Landschaft im Projektumfeld.

Zudem wird die Beschaffung neuer Software durch überhöhte oder zu spezifische Erwartungen an die Funktionen der Software erschwert. In den Projekten sind dann gewachsene Dokumentenablagen mit neuen digitalen Arbeitsplattformen zu kombinieren. Allerdings fehlen meistens ganzheitliche Strategien zum Datenmanagement. Die Einführung von KollaborationsPlattformen als „Single Source of Truth“ ist daher noch zu selten von Erfolg gekrönt.


Zentrales Datenmanagement als anspruchsvolles Ziel

Gelingt es jedoch, strategisches Datenmanagement richtig zu planen und umzusetzen, ergeben sich Vorteile in der Koordination von Gewerken und in der Kontrolle der Fortschritte im Projekt. Zudem entsteht nur durch strukturiertes Datenmanagement eine solide Grundlage für den Einsatz zukunftsfähiger Arbeitsmethoden und die Verknüpfung von Datenbanken, zum Beispiel mit GISAnwendungen und BIM-Tools. Für große und sehr große Projekte werden daher inzwischen integrierte Datenmodelle angestrebt, um die Abhängigkeit zwischen einzelnen Teilprojekten über die verschiedenen Projektphasen bestmöglich zu managen.

Vertragliche Konflikte als Ursache für Verzug

In zahlreichen Fällen führen Streitigkeiten über die Anwendung vertraglicher Klauseln zu zeitlichen Verzügen oder sogar Stillständen in Projekten. Ursache dafür sind oft Vertragskonstrukte, die in Ausschreibungsphasen häufig unter hohem Zeitdruck entstehen. Der Umgang mit dem resultierenden „vertraglichen Korsett“ bindet auf beiden Seiten wertvolle Ressourcen wichtiger Entscheidungs- und Verantwortungsträger.

Auch wenn es sich um eine Selbstverständlichkeit handelt, die zu unserer Art des Wirtschaftens gehören sollte, ist zu betonen: Grundsätzlich müssen die Verantwortlichen in jedem Projekt-Setup mit Vertragsfragen und kaufmännischen Themen gewissenhaft und bewusst umgehen. Die Auftrennung von technischen und kommerziellen Funktionen und eine entsprechende Allokation im Projektteam ist hier ein Lösungsansatz. Weiterhin sollten in der Besprechungs- und Entscheidungsstruktur eines Projekts Gremien und Methoden eingeführt sein, die es ermöglichen, praktische Aspekte und kommerzielle Vertragsfragen getrennt zu behandeln.

Klassische ManagementMethoden als Basis

Mit zunehmender Komplexität in Projekten gewinnen die klassischen Management- und Steuerungsansätze – und deren konsequente Anwendung – eine zentrale Bedeutung. Dazu zählen etwa ein schlankes Besprechungswesen, einfache Reporting-Strukturen und ein effizientes Entscheidungs- und Änderungsmanagement. Alles eingebettet in eine klare und zweckmäßige Projektorganisation. Sowohl für die eingesetzten Tools als auch die implementierten Prozesse gilt: Weniger ist mehr. Prozesse müssen einfach ausgestaltet sein.

Für mehrjährige Vorhaben ist die frühzeitige Erarbeitung von Vergabestrategien und daraus resultierend der Fokus auf die Beschaffung von Long-Lead Items besonders wichtig. Ein umfassendes Risikomanagement ist ebenfalls unverzichtbar. In der Bauphase haben sich mittlerweile auch Methoden wie „Lean Construction Management“ als agile Arbeitsweisen etabliert.

Weiche Faktoren wie Projektkultur als Erfolgsgaranten

Großprojekte sind häufig durch besonders komplizierte Strukturen und eine Vielzahl von Schnittstellen gekennzeichnet. Zudem weichen die Interessen der Stakeholder voneinander ab. Nur in den wenigsten Fällen entsteht eine konstruktive Kultur der Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Allerdings führt nur diese positive Kultur zu einer maximalen Identifikation der Projektbeteiligten mit den übergeordneten Zielen des Projekts – und einem entsprechend hohen Einsatz, um diese Ziele auch zu erreichen. Die Atmosphäre in Projektteams und die Kultur der Zusammenarbeit zwischen Vertragsparteien lässt sich nur schwer messen. Trotzdem ist sie ein zentraler Erfolgsfaktor für wirkliche Fortschritte. Auch vernachlässigen es viele Gesamtverantwortliche nahezu chronisch, eine gemeinsame Projektvision zu entwickeln.

Foto: Countrypixel - Adobe Stock

Stromnetzausbau als Beispiel aktueller Infrastrukturprojekte

Fazit

Der Mangel an Fachkräften wird auch in den kommenden Jahren anhalten und die termingerechte Umsetzung zahlreicher Energiewende-Projekte erschweren. Auch bei der Verfügbarkeit von Materialien, Baufirmen und Anlagenlieferanten werden Engpässe eher zur Regel.

Ob es einen „Fast Track“-Ansatz in Großprojekten geben kann, hängt umso mehr davon ab, ob das Beschleunigungspotenzial digitaler Ansätze tatsächlich gehoben wird. Und ob die Verantwortlichen einfachste Steuerungs- und Managementmethoden konsequent anwenden, ohne gleichzeitig weiche Faktoren wie eine gemeinsame Projektkultur aus den Augen zu verlieren. Nur dann ist das Optimum im jeweiligen Projekt-Setup zu erreichen.

Weitere Informationen unter: Opens external link in new windowwww.dreso.com/de/branchen/energy