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< Energiepolitische Grundrichtung neu definieren
13.03.2018 15:16 Alter: 7 yrs

Gefragt ist mehr Ambition und Mut

„Ein neuer Aufbruch für Europa, eine neue Dynamik für Deutschland, ein neuer Zusammenhalt für unser Land“ ist der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD überschrieben. Ist hier auch die Energiewirtschaft eingeschlossen?


Eine erste Bewertung zum Koalitionsvertrag aus Sicht der Energiewirtschaft übernimmt Joachim Kempmann, Präsident des BDEW Bundesverband der Energieund Wasserwirtschaft exklusiv für themen|:magazin.

Foto: Gerhard Kassner

Herr Kempmann, wie beurteilt der BDEW in einer ersten Sicht das vorliegende Papier?

Aus energiewirtschaftlicher Sicht umfasst der Koalitionsvertrag (KoaV) viele richtige Vorhaben und ist erfreulicherweise frei von ideologischen Fixierungen. Andererseits fehlen die Ambition und der Mut zu einer notwendigen, gesamtheitlichen Herangehensweise für eine Energieversorgung von morgen.

Weder die Entlastung des Produkts Strom von Abgaben und Umlagen als Voraussetzung für eine gelingende Sektorkopplung, noch der Einstieg in eine CO2-Bepreisung im Nicht-ETSBereich, um im Wärme- und Verkehrsbereich CO2-Reduktionen stärker anzureizen, finden im künftigen Koalitionsvertrag eine Erwähnung. Ob eine Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ unter Einbeziehung von Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften sowie betroffenen Ländern und Regionen die Lösung für anstehende Fragen bringt, bleibt abzuwarten.

Wird das Thema Zukunft der Kohle und gesicherte Leistung angesprochen?

Auf Basis des Aktionsprogramms Klimaschutz 2020 und des Klimaschutzplans 2050 soll eine Kommission bis Ende 2018 ein Aktionsprogramm erarbeiten, um die Lücke zur Erreichung des 40-%-Reduktionsziels bis 2020 so weit wie möglich zu reduzieren. Dazu zählt auch ein Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung einschließlich eines Abschlussdatums und der notwendigen rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und strukturpolitischen Begleitmaßnahmen.

Voraussetzung für ein Gelingen ist aber die Beteiligung der wesentlichen Akteure, eine angemessene Entschädigungsregelung bei einem frühzeitigen Stilllegen von Kohlekraftwerken sowie die Sicherstellung von ausreichender gesicherter Leistung. Denn nach dem vollständigen Atomausstieg 2023 und der Stilllegung von Kohlekraftwerken muss ausreichend CO2-ärmere gesicherte Leistung zur Verfügung stehen. Der KoaV benennt diese Herausforderungen aber nur unklar. Deshalb wird der BDEW auch weiterhin auf diese Punkte hinweisen und Änderungen am Marktdesign einfordern.

Hat man beim Ausbau der Erneuerbaren Energien weiterhin nur den Stromsektor im Blick?

Die Anhebung des Ausbauziels für Erneuerbare Energien auf 65 % bis 2030 ist im Grundsatz positiv. Dies verlangt aber, dass das EEG weiterentwickelt wird, der Ausbau kosteneffizient erfolgt und mit dem Netzausbau synchronisiert wird. Bedauerlich ist, dass der KoaV bei der Aufnahmefähigkeit der Netze keine Alternativnutzung (z. B. Power-to-X) bedenkt. Wie eine EEG-Weiterentwicklung gelingen kann, zeigt der BDEW in seinem „3-Säulen- Modell“, das sowohl den marktlichen Ausbau Erneuerbarer Energien stärkt, als auch den politisch festgelegten Ausbaupfad garantiert und die aktive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern (so genannte Prosumer) regelt.

Zu begrüßen ist das Festhalten am Ziel der einheitlichen Stromgebotszone in Deutschland und die Einführung einer besseren regionalen Steuerung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien und Festlegung eines Mindestanteils über alle Erzeugungsarten für die Ausschreibungen südlich des Netzengpasses. Auch das Anreizen von Investitionen in Speichertechnologien und intelligente Vermarktungskonzepte durch eine stärkere Marktorientierung der Erneuerbaren Energien sehen wir als richtigen Schritt.

Welche Stelle nimmt der Netzausbau ein?

Es gibt eine starke Fokussierung auf den Netzausbau, dies entspricht durchaus unseren Erwartungen und Vorschlägen. Vorhaben wie ein ambitionierter Maßnahmenplan zur Optimierung der Bestandsnetze und zum schnelleren Ausbau der Stromnetze (u. a. durch neue Technologien sowie einer stärkeren Digitalisierung) als auch eine Novellierung und Vereinfachung des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes machen optimistisch.

Ebenso die Aussicht auf ökonomische Anreize für eine Optimierung der Netze, mehr Erdverkabelung insbesondere im Wechselstrombereich und die Umsetzung der bereits beschlossenen bundesweit einheitlichen Übertragungsnetzentgelte. Mit einer Reform der Netzentgelte die Kosten verursachergerecht und unter angemessener Berücksichtigung der Netzdienlichkeit zu verteilen sowie bei Stromverbrauchern unter Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit mehr Flexibilität zu ermöglichen, dies sehen wir durchaus positiv.

Eine notwendige Aufgabe bleibt die Anerkennung der zunehmenden Verantwortung der Stromverteilnetzbetreiber und Weiterentwicklung des Regulierungsrahmens, um Investitionen in intelligente Lösungen (Digitalisierung) – gerade auch im Bereich der Verteilernetze – zu flankieren.

Bleibt die Sektorkopplung ein Sorgenkind?

Die Ausführungen zur Sektorkopplung bleiben im KoaV nur vage. Es fehlt der Mut, das Produkt Strom auf der Abgaben- und Umlagenseite zu entlasten. Positiv sehen wir die Anerkennung der Bedeutung von Stadtwerken und Verteilernetzen sowie der Gas- und Wärmeinfrastruktur, was dem BDEW-Ansatz einer infrastrukturellen Sektorkopplung entspricht.

Bedauerlicherweise betrachtet der KoaV die Energiewende zu wenig als Gesamtkonstrukt. Vorgeschlagene Maßnahmen zur Wärmeund Verkehrswende lassen noch nicht die erforderlichen CO2-Reduktionen erwarten. Bleibt zu hoffen, dass das vorgeschlagene „parallele Vorgehen für den Bau- und Verkehrssektor“ die Kommission im Strombereich zu wirksamen Maßnahmen anregt.

Man hat den Eindruck, der Wärmemarkt bleibt weiter unterbelichtet?

Leider wurde im KoaV auf einen Einstieg in eine CO2-Bepreisung im Nicht-ETS-Bereich verzichtet. Und für die wichtigste Maßnahme einer Modernisierungsoffensive im Wärmebereich, die steuerliche Absetzbarkeit bei der energetischen Gebäudesanierung, sind die für die nächsten vier Jahre für das Gesamtpaket „Steuerliche Förderung von mehr Wohneigentum“ eingeplanten 2 Mrd. Euro doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Eine klare Aussage ist, dass die Kraft-Wärme- Kopplung (KWK) weiterentwickelt und modernisiert werden soll (sie soll „CO2-ärmer ausgestaltet und flexibilisiert werden“). Auch soll die Fernwärmeinfrastruktur ausgebaut und effizienter gemacht werden. Um das Potenzial der KWK-/Wärmenetzsysteme für die Realisierung der Wärmewende tatsächlich zu heben, wäre allerdings wichtig gewesen, das Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz (KWK-G) bis mindestens 2025 zu verlängern oder ganz zu entfristen. Der BDEW wird sich weiterhin dafür einsetzen. Andernfalls droht ab 2022 ein völliger Ausbaustopp.

Was sagt das Papier zu Verkehr und Elektromobilität?

Das Thema Verkehr wird im KoaV umfassend beleuchtet und aus energiewirtschaftlicher Sicht einige relevante Punkte angesprochen: die Förderung emissionsarmer Antriebsformen, die verstärkte Förderung der Ladeinfrastruktur oder die Bedeutung der Digitalisierung. Wir begrüßen, dass die Technologieoffenheit mehrfach betont wird; das gilt vor allem für „grünen Wasserstoff“ und Erdgas. Die Ausführungen sind aber stark von Willensbekundungen geprägt; konkrete Vorhaben finden sich kaum. Es ist kein klares Konzept erkennbar, wie ausreichend CO2 reduziert werden soll. Auch die einzurichtende Kommission, die bis Anfang 2019 eine Strategie „Zukunft der bezahlbaren und nachhaltigen Mobilität“ erarbeiten soll, lässt eine klare Aufgabenstellung vermissen.

Die Elektromobilität (batterieelektrisch, Wasserstoff und Brennstoffzelle) soll deutlich vorangebracht und die bestehende Förderkulisse ggf. aufgestockt und ergänzt werden. Man bekennt sich zu Elektromobilität und dem Aufbau der Ladeinfrastruktur (auch im privaten und Wohnbereich). Der BDEW wird weiterhin darauf drängen, dass es einer Synchronisierung von Ladesäulenbau, Autobau und Netzausbau bedarf.

Wird nun endlich die Rolle von Gas und Gasinfrastruktur erkannt?

Die Rolle von Gas und Gasinfrastruktur bleibt im KoaV – gemessen an ihrer Bedeutung – unzureichend bedacht. Zentral fehlt ein klares Bekenntnis zum Energieträger Gas als Beitrag zur sowohl kurz- als auch langfristigen Reduzierung der Treibhausgasemissionen und als Speicher.

Positiv erwähnt wird die Gasinfrastruktur mit Bezug zur Sektorkopplung und zur Schlüsseltechnologie Power-to-Gas. Daran knüpft die Forderung an, Deutschland zum Standort für LNG zu machen. Die damit einhergehende Diversifizierung der Bezugsquellen als auch die Kopplung der LNG-Infrastruktur (Verdampfungsanlagen, Speicher) mit der bestehenden Gasinfrastruktur unterstreicht die Bedeutung von Gas insgesamt. Das klare Bekenntnis einer weiteren Förderung von (Gas-)Brennwertkesseln als moderne und effiziente Heizungsanlagen in dieser Legislaturperiode (und damit über 2020 hinaus) sehen wir als Erfolg der Gasstrategie des BDEW.

Bleibt beim Thema Digitalisierung die Energiewirtschaft so gut wie ausgeblendet?

Positiv ist, dass der KoaV der Digitalisierung viel Aufmerksamkeit schenkt – leider ohne dabei die Energiewirtschaft als sich ebenfalls digitalisierende Schlüsselbranche konkret ins Auge zu fassen. Die Frage dezentraler, intelligenter Vernetzung (u. a. in Smart Cities und durch Smart-Meter, Glasfaserausbau) wird zwar angerissen, aber die Umsetzung vor Ort (z. B. durch Stadtwerke als Grundversorger) kommt zu kurz. Richtigerweise wird allerdings die Bedeutung der Digitalisierung beim Netzausbau betont. Die Energiewirtschaft ist nach der Finanzbranche der Sektor, der aktuell die meisten Anwendungsfälle der Blockchain aufweist. Notwendig ist eine Blockchain-Strategie, in der die Energiewirtschaft stärker in den Fokus gerückt wird. Sich wandelnde Geschäftsmodelle und Vertriebswege benötigen einen verlässlichen nationalen und europäischen Rechtsrahmen, der gleichzeitig Freiraum und Augenmaß für sich rasch entwickelnde digitale Innovationen und technischen Fortschritt lässt.

Werden wir in Sachen Energieeffizienz weiter vorankommen?

Mit einer Effizienzstrategie („Efficiency first“) bekennt sich der KoaV zu ambitionierten und weitreichenden Zielen. Zentral ist, dass in einer zu ermittelnden Gesamtbetrachtung die Verantwortlichkeiten aller Sektoren deutlich werden und nicht zu Lasten der Energiewirtschaft diffundieren. Die Ankündigung der Zusammenfassung von EnEG/EnEV und EEWärmeG zu einem Gebäudeenergiegesetz (GEG) lässt Hoffnung auf eine deutliche Vereinfachung und mehr Spielräume für Markt und Innovation für Effizienz im Gebäudebereich aufkommen. Wobei das Fortschreiben der aktuellen, bereits bestehenden hohen energetischen Anforderungen für Bestand und Neubau ein gutes Signal für den Ausgleich von Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz ist. Negativ zu Buche schlägt allerdings das Fehlen eines Bekenntnisses zur Bedeutung der Energiedienstleistungen (insbesondere Contracting), ein wichtiges Feld auch für Stadtwerke und Start-Ups.

Zum Abschluss die Frage nach dem Kapitel Energieforschung?

Zur Forschungs- und Innovationspolitik und auch zur Energieforschung im Speziellen finden sich im KoaV einige gute Ansätze, die auch der BDEW gefordert hat. Das beinhaltet die verstärkte Unterstützung der Marktvorbereitungs- und Markteinführungsphase, die Förderung und Schaffung von Experimentierräumen oder die steuerliche Forschungsförderung. Hier müssen nun konkrete Maßnahmen und Programme folgen.

Auch wenn viele Punkte im KoaV in die richtige Richtung weisen, so die Fokussierung auf den Netzausbau, das Bekenntnis zu Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und Speichern, der Ausbau der Erneuerbaren Energien oder der Versuch, die Zukunft der Kohle im Konsens zu klären - der Teufel wird noch im Detail stecken.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die wenig ideologische Debatte zum Thema Energie auf das Handeln im Alltag der Koalition überträgt. Dann kann Vieles auch in sehr konkrete und praxisnahe Politik übertragen werden.

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