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Kategorie: Wirtschaftsfaktor Energie
Fracking: Wer nicht „frackt“, verliert?
Die öffentliche Diskussion zu Hydraulic Fracturing – oder kurz Fracking – konzentriert sich derzeit wesentlich auf die mit dieser neuen Fördermethode einhergehenden Umweltbedenken. Befürworter des Fracking verweisen hingegen immer wieder auf die regionalen Energiepreisunterschiede und daraus resultierende Wettbewerbsvorteile für US-Firmen. Ohne Fracking könnten andere Volkswirtschaften, z. B. Deutschland, im internationalen Vergleich an Boden verlieren.
Die Autoren Dr. Tobias Rehbock und Peter Kolbe von KfW Economic Research haben diese Entwicklung in einer aktuellen Untersuchung näher betrachtet. Für Sie stellt sich die Frage, inwieweit die durch das Fracking hervorgerufenen regionalen Energiepreisunterschiede die internationale Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft, z. B. im Vergleich zu Deutschland, beeinflussen.
Zurzeit wird Fracking – für Erdgas wie für Erdöl – vorrangig in den USA eingesetzt. Dort ist diese Fördermethode inzwischen wirtschaftlich einsetzbar und trägt zudem dazu bei, die angestrebte Energieunabhängigkeit zu erreichen. Die internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass die USA im Jahr 2035 nahezu 100 % der im Land anfallenden Nachfrage durch heimische Energieproduktion werden decken können.
Der Einsatz von Fracking hat sicher Preiseffekte. Das trifft vor allem auf den Erdgaspreis zu. Dieser bildet sich nicht an einem universalen Weltmarkt, sondern an regionalen Märkten, weil die technischen (wie auch z. T. administrativen) Voraussetzungen, um Erdgas weltweit handeln zu können, noch nicht ausreichend erfüllt sind. Deshalb gibt es für Erdgas auch keine weltweit gültigen Referenzpreise, wie das bei Erdöl der Fall ist. Weil in den USA durch Fracking ein steigendes Angebot an Gas auf den Markt gekommen ist, ist dort der Gaspreis am Spotmarkt seit Januar 2010 um fast 45 % gesunken, in der Spitze waren es fast zwei Drittel (April 2012). In Deutschland hingegen ist der Preis für Importgas im selben Zeitraum um fast 60 % gestiegen. Auf den europäischen Gas- Spotmärkten war die Entwicklung ähnlich. Dabei liegt der Anteil von Erdgas im Primärenergiemix der USA bzw. Deutschlands mit ca. 25 % bzw. ca. 20 % in einer ähnlichen Größenordnung.
Wettbewerbsvorteil für die US-Wirtschaft?
Auf den ersten Blick stellen diese Entwicklungen einen enormen Wettbewerbsvorteil für die US-Wirtschaft dar. Niedrigere Primärenergiepreise – so die Vermutung – bedeuten geringere Energiekosten für Unternehmen und private Haushalte. Unternehmen können so billiger produzieren als ihre ausländischen Konkurrenten. Die verfügbaren Einkommen der Privathaushalte werden entlastet und es bleibt mehr Raum für Konsumnachfrage.
Ein Vergleich der Endenergiepreise zwischen den USA und Deutschland zeigt auch deutliche Unterschiede. Für Unternehmen in den USA sanken die Industriegaskosten seit 2010 um ca. 30 % und die Stromkosten um ca. 1 %. Deutsche Unternehmen mussten dagegen Preisanstiege verzeichnen: ca. 15 % für Gas bzw. 10 % für Strom. Für Privathaushalte ist der Unterschied zwischen Deutschland und den USA nicht so eklatant. Aber auch hier übertrifft seit 2010 der Strompreisanstieg für private Verbraucher in Deutschland denjenigen in den USA; die Anstiege bei Gas sind für beide Verbrauchergruppen ähnlich stark. Trotz nicht vernachlässigbarer Divergenzen in den nationalen Energiepreisen (v. a. im Unternehmenssektor), scheint aus Sicht der Autoren einiges dafür zu sprechen, dass gesamtwirtschaftlich keine langfristigen Wettbewerbsvorteile bzw. -nachteile entstehen dürften. So werden sich die divergenten Primärenergiepreisentwicklungen in den USA und Deutschland, insbesondere bei Gas, kaum auf die internationale preisliche Wettbewerbsposition auswirken. Für Unternehmen energieintensiver Branchen kann es in Einzelfällen aber dennoch ein Vorteil sein, ihre Produktion beispielsweise in die USA zu verlegen, weil dort der Bezugspreis für Gas niedriger ist. Entsprechende anekdotische Evidenzen gibt es auch bezüglich deutscher Unternehmen. An der Gesamteinschätzung sollte dies aber wenig ändern. (mü)