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Experimentierklauseln gegen rechtliche Hemmnisse der Sektorenkopplung
Im Auftrag des Ministeriums für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern (MV) hat das Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) untersucht, wie die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Sektorenkopplung verbessert werden können. Mit den Ergebnissen der Studie soll die Diskussion inhaltlich unterstützt werden.
Über die Studie informieren im Gespräch Christian Pegel (r.), Minister für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung MV und Caspar Baumgart, kaufmännischer Vorstand der WEMAG AG.
Foto: (r.) Jan Pauls, Stephan Rudolph-Kramer
Herr Minister Pegel, warum hat Ihr Haus die Studie in Auftrag gegeben?
Mecklenburg-Vorpommern ist ein Vorreiter beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Sektorenkopplung. Im Jahresmittel erzeugt das Bundesland mehr Strom aus erneuerbaren Quellen, als es selbst verbraucht. Sobald jedoch Netzengpässe auftreten oder die Nachfrage zu gering ist, müssen Erneuerbare- Energien-Anlagen abgeregelt werden. Im Jahr 2017 ging so eine Leistung von rund 5.500 Gigawattstunden ungenutzt verloren.
Eines unserer wichtigsten Anliegen ist, dass die saubere Energie, die wir bei uns im Land erzeugen, auch vollständig genutzt wird. Nur dann wird der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien die erforderliche öffentliche Akzeptanz finden. Deshalb ist die Sektorenkopplung unverzichtbarer Bestandteil der Energiewende. Es gibt aber Hemmnisse für den Einsatz des verfügbaren Stroms in anderen Sektoren. Grund dafür sind unter anderem wirtschaftliche Herausforderungen, die jedoch vor allem durch die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen und bedingt sind. Das soll sich künftig dank der Experimentierklauseln ändern.
Herr Baumgart, wie betrachtet WEMAG die Studie?
Diese juristische Studie zielt auf Experimentierklauseln zur Schaffung verbesserter Rahmenbedingungen bei der Sektorenkopplung, also der Verknüpfung von Strom-, Verkehrsund Wärmesektor. Auslöser ist der Umstand, dass in Teilen Deutschlands erzeugter und erzeugbarer Strom aus erneuerbaren Energien in Zeiten von drohender oder bestehender Netzinstabilität nicht genutzt wird. Zugleich besteht aber der politische Wille, diesen Strom nutzbar zu machen und die Dekarbonisierung der Energieversorgung insgesamt damit voranzutreiben. Technischer Mittelpunkt der Sektorenkopplung sind Anlagen, die Strom zur Erzeugung anderer Energieträger einsetzen. Obgleich die technischen Lösungen für das so genannte Power-to-X größtenteils vorliegen, werden solche Anlagen bisher aber nicht umfangreich oder gar flächendeckend eingesetzt.
Durch die Kopplung von Erzeugungs- und Entnahmeanlagen mit Speicheranlagen, die dazwischen stehen, wird die Lieferung von Strom aus erneuerbaren Energien planbar. Das fluktuierende Aufkommen der erneuerbaren Energie wird damit steuerbar und der Einspeisevorrang kann bedarfsgerecht gestaltet werden. Damit könnte man insbesondere Wettbewerbsnachteile ausgleichen, die aus einer mangelnden Planbarkeit der erneuerbaren Energien erwachsen. Kann dieser Wettbewerbsnachteil durch die Kopplung der Anlagen ausgeräumt werden, entfällt ein wesentlicher Grund für den uneingeschränkten, d. h. nicht bedarfsorientierten Einspeisevorrang.
Herr Pegel, sind Experimentierklauseln die Problemlösung?
Sie sind sicher ein Angebot zur Problemlösung. Die Sektorenkopplung verspricht, die Energiewende auch auf Mobilität und Wärmeerzeugung zu übertragen. Rechtliche Hürden verhindern aber bislang den wirtschaftlichen Einsatz solcher Verfahren und Anlagen. Experimentierklauseln können hier Abhilfe schaffen und die Umsetzung der Sektorenkopplung ermöglichen, ohne ein neues Förderregime zu etablieren.
In der Studie wurden jetzt die Hemmnisse für den Einsatz der Sektorenkopplung identifiziert und auch analysiert: die erheblichen Stromnebenkosten und die fehlende Weitergabe der „grünen“ Eigenschaft des Stroms aus erneuerbaren Energien.
Mit der Studie wurden auch Möglichkeiten untersucht, diese Hemmnisse durch Änderungen des Rechtsrahmens abzubauen und zu überwinden. Dabei folgt die Studie dem Ansatz, dass es aus aktueller Sicht nicht sinnvoll ist – und zudem viel zu lange dauern würde – das Energiewirtschaftsrecht zur verbesserten Integration der Sektorenkopplung grundlegend zu überarbeiten. Stattdessen sollen in so genannten Reallaboren Abweichungen von den rechtlichen Rahmenbedingungen zugelassen und deren Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit und Machbarkeit der Sektorenkopplung untersucht werden.
Grundlage für diese Reallabore sind Experimentierklauseln. Sie schaffen den Rechtsrahmen für die ergebnisoffene Erprobung von skalierbaren Lösungen für die wirtschaftlichen, technischen und vor allem regulatorischen Herausforderungen. Die Vereinbarkeit solcher Experimentierklauseln mit dem Verfassungsrecht und dem Recht der Europäischen Union wurde ebenfalls geprüft. Im Ergebnis entstand aktuell der rechtliche Rahmen für die vorgeschlagenen Experimentierklauseln.
Herr Baumgart, wie sieht der Fachmann die Studienergebnisse?
Bislang belasten die Stromnebenkosten den wirtschaftlichen Betrieb von Speichern und Power-to-X-Anlagen, da Steuern als auch Abgaben auf den über die Netze transportierten Strom und das veredelte Endprodukt fällig werden. Experimentierklauseln sollen ermöglichen, dass neue Anlagen erprobt werden können, bei denen Erzeugungsanlagen, Energiespeicher und Power-to-X-Anlagen virtuell über das Stromnetz gekoppelt sind.
Durch diese Kopplung wird die Stromerzeugung aus volatilen Energieträgern planbarer. Strom aus erneuerbaren Energien, der nicht innerhalb der Anlagenkopplung genutzt werden soll, kann vorhersehbar und planbar in das Netz eingespeist werden. Erneuerbare Energie nach Fahrplan sozusagen. Außerdem verbleibt der Großteil der Wertschöpfung in der Region.
Ein Kernpunkt der Studie ist die Schaffung eines neuen Anlagentypus, der so genannten Anlagenkopplung. Hierbei sind die Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien mit Anlagen zur Wandlung von Strom aus erneuerbaren Energien in andere Energieträger über eine Direktleitung oder das Netz (virtuell) gekoppelt. Trotz räumlicher Trennung und möglicher Personenverschiedenheit können die gekoppelten Anlagen als eine Einheit fungieren. Diese rechtliche Grundlage soll dann ein perfekt abgestimmtes Erzeugungs- und Entnahmemanagement ermöglichen.
Herr Pegel, welchen abschließenden Impuls geben Sie?
Experimentierklauseln bringen die Energiewende voran, ohne sie mit neuen Förderungen zu belasten. Mehr noch: Das vorgeschlagene Modell ist eine regulatorische Befreiung. Der Abbau rechtlicher Hemmnisse verleiht innovativen Geschäftsmodellen so einen neuen Schub und trägt damit zum Klimaschutz bei.
Mit der Studie liegt nun ein vollständiger Gesetzentwurf für Experimentierklauseln vor. Im Interesse der Energiewende muss das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Experimentierklauseln jetzt eingeleitet werden. Das kann etwa im Bundesrat durch ein Bündnis der Länder erfolgen, die dazu bereit sind. Ein Gesetzgebungsverfahren kann zugleich im Bundestag angestrebt werden. Und die Studie richtet sich auch an die Bundesregierung: Teile der Experimentierklauseln lassen sich in die bereits für 2019 geplanten Innovationsausschreibungen integrieren.
Wir danken für das Gespräch.
Die Studie ist abrufbar unter: www.ikem.de
(www.ikem.de/wp-content/uploads/2019/03/ Experimentierklausel-für-verbesserte-Rahmenbedingungen- bei-der-Sektorenkopplung.pdf)