Nachricht

< Wasserstoff für die Wärmewende nutzen
19.08.2021 16:18 Alter: 3 yrs

EU-Taxonomie – Neue Messlatten für den Klimaschutz

Die Europäische Kommission hat am 21. April 2021 die delegierte Verordnung zur EU-Klimataxonomie vorgelegt. Ziel ist, Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu fördern. Die EU-Taxonomie wird auch weitreichende Auswirkungen auf die Unternehmen der Energiewirtschaft haben. Hierüber sprachen wir mit Stefan Reindl, Sprecher des Vorstandes der TEAG Thüringer Energie AG.


Stefan Reindl, Sprecher des Vorstandes der TEAG Thüringer Energie AG Foto: Steffen Becker

Die EU-Kommission hat mit ihren Vorschlägen zur Klimataxonomie festgelegt, welche Investitionen als nachhaltig gelten. So soll für regenerative Energieprojekte aus Wasserkraft, Geothermie, Wind-, Solar- und Bioenergie ein höchstzulässiger CO2 - Ausstoß von 100 Gramm pro kWh gelten. Diese Einstufung soll langfristig als Standard im Finanzsektor fungieren, beispielweise bei grünen Unternehmensanleihen oder Bonds.

Die EU-Verordnung erfasst wirtschaftliche Tätigkeiten von etwa 40 Prozent der börsennotierten Unternehmen in Sektoren, auf die knapp 80 Prozent der direkten Treibhausgasemissionen in Europa entfallen.

Herr Reindl, wie soll die Anwendung der Taxonomie erfolgen?

Angewandt wird die Taxonomie inklusive ihrer Kriterien im ersten Schritt von der Finanzwirtschaft, die „grüne“ Finanzprodukte anbietet. Zugleich werden alle Unternehmen der Realwirtschaft verpflichtet, bereits ab 2022 offenzulegen, inwiefern sie die Taxonomie-Kriterien einhalten. Die konkreten Details dieser neuen Offenlegungspflicht legt die EU-Kommission in einem weiteren Rechtsakt fest. Finanzinstitute werden künftig den Anteil der Finanzierungen offenlegen müssen, die in Wirtschaftstätigkeiten fließen, die den Taxonomie-Kriterien entsprechen („green asset ratio“).

Um als nachhaltig im Sinne der Taxonomie zu gelten, muss über detaillierte Kriterien nachgewiesen werden, dass durch eine wirtschaftliche Tätigkeit ein Beitrag zur Erreichung von einem der sechs Umweltziele der Taxonomie geleistet wird. Zudem ist zu belegen, dass zugleich keinem der anderen Umweltziele erheblich entgegengewirkt wird und Mindest-Sozialstandards eingehalten werden.

Welche Auswirkungen hat das Ganze auf Unternehmen?

Die Auswirkungen der Taxonomie der EU auf Unternehmen sind komplex. Für die Unternehmen der Realwirtschaft entsteht bürokratischer Aufwand für die Berechnung und Offenlegung der eigenen „Taxonomie-Compliance“. Abzusehen ist bereits, dass europäische und nationale Förderprogramme an den Kriterien der Taxonomie ausgerichtet werden. Auch in zukünftigen Gesetzgebungen sind Verweise auf die Taxonomie zu erwarten. Die Bewertungskriterien kommen ab 2023 vollständig zur Anwendung. Ein Ziel der EU ist die Vermeidung von „Greenwashing“ bei nachhaltigen Finanzprodukten – mit Folgen bei den Finanzierungsbedingungen der Unternehmen.

Kann dies den Finanzierungszugang verkomplizieren bzw. verschlechtern?

Dies ist zu befürchten. Wenn Unternehmen die Taxonomie-Kriterien nicht erfüllen, könnten sich die Finanzierungsbedingungen verschlechtern bzw. der Zugang zu Finanzierungen gar verwehrt werden. Für Unternehmen, die die Kriterien erfüllen, könnte wiederum der gegenteilige Effekt eintreten. Generell werden auf jeden Fall Finanzierungskonditionen und der Zugang zu frischem Kapital beeinflusst.

Wie steht es um die strittigen Regeln für Gasverstromung und Kernenergie?

Diese Regeln sollen noch 2021 folgen. Eine Festlegung zur Nachhaltigkeit von Investitionen in Erdgas- und Kernkraftprojekte hat die EU-Kommission aber vorerst verschoben. Ein erster Entwurf der EU-Kommission, der für neue Gaskraftwerke einen CO2 -Ausstoß von maximal 270 Gramm CO2 /kWh vorsah und diesen nach 2025 auf 100 Gramm CO2 /kWh absenken wollte, war in der Branche auf heftige Kritik gestoßen. Umweltverbände wiederum fordern, dass Investitionen in Gaskraftwerke oder Gasinfrastruktur überhaupt nicht mehr als nachhaltig gelten sollen. In der Verordnung vom 21. April kündigt die Kommission neben der späteren Festlegung von Nachhaltigkeitskriterien für Gaskraftwerke wiederum an, eine spezifische Gesetzgebung zu erwägen, die Investitionen in Gaskraftwerke fördern soll, wenn diese in einer Übergangszeit auf dem Weg hin zur Treibhausgasneutralität notwendig sind.

Ist für Erdgas dann noch eine Zukunft darstellbar?

Gasbasierte Strom- bzw. gekoppelte Strom/Wärmeerzeugung (KWK) gilt nur noch als nachhaltig und zuschussfähig, wenn sie zunehmend erneuerbare oder dekarbonisierte Gase nutzt. Investitionen in Gasnetze gelten künftig nur als nachhaltig, wenn sie der Erhöhung der Wasserstoffeinspeisung dienen oder Methanemissionen reduzieren. Der im Verordnungsentwurf genannte Grenzwert von 100 g CO2 /kWh Brennstoffinput ist jedoch so niedrig, dass er auch bei 20 Jahren Anlagenlebensdauer mit Gas kaum erreichbar ist – selbst bei Grüngas-Beimischung. Erdgas liegt derzeit bei ca. 240 g.

Für eine Volkswirtschaft, die bei gesicherter Leistung nicht auf Kernkraft zurückgreifen kann, ist eine einzelanlagenbezogene Bewertung demzufolge nicht praktikabel. Eine Division des Grenzwertes durch den Anteil der konventionell erzeugten Arbeit ist für solche Volkswirtschaften opportun. Ansonsten würde der Kernenergieausstieg in Deutschland durch Importe aus den europäischen Nachbarstaaten unterwandert.

Warum ist es falsch, dass Erdgas lt. Taxonomie als nicht nachhaltig gilt?

Nach dem Kohle- und Atomausstieg sind Gas-KW/KWK die einzige Möglichkeit zur Bereitstellung gesicherter Leistung bei steigendem Anteil erneuerbaren Energien. Der Import von Atomstrom aus Frankreich kann diese Lücke nicht schließen. Im ÜNB-Netzentwicklungsplan 2035 beträgt diese Lücke - dabei Gaskraftwerke bereits mit berücksichtigt - ca. 25 GW (abhängig von Entwicklung Netzbezugslast).

Gas setzt halb so viel CO2 wie Kohle frei, und kann durch dekarbonisierte Anteile ersetzt werden. Als CO2 - freie Brennstoffe kommen Wasserstoff oder Biogas in Betracht. Deren Hochlauf in 2020-45 wird aber so gesteuert, dass die Ressourcen- und Preissituation am Markt beherrschbar bleibt. Aber: Weder Wasserstoff noch Biogas werden zeitnah die gesicherte Leistung tragen können (zu teuer, fehlende Elektrolyseurleistung und Biogasressourcen).

Die vorhandene Gasinfrastruktur wird derzeit für CO2 - freie Gase vorbereitet. Bei der Neubeschaffung von Leitungsmaterialien wird bspw. die H2 -readiness in der Spezifikation gefordert. Da die vollständige Umstellung der Grüngas-Versorgung auch im Rahmen eines Europäischen H2 -Backbones erst bis 2045 realisiert werden kann, ist die Verknüpfung der Nachhaltigkeit mit dem sofortigen Betrieb mit Grüngas nicht sachgerecht.

Foto: Bertram Bölkow

Der Untergrundgasspeicher (UGS) im nordthüringischen Allmenhausen hat ein Arbeitsvolumen von 62 Mio. Kubikmetern. Der Porenspeicher liegt in einer Tiefe von rund 450 Metern und kann selbstverständlich auch mit regenerativ erzeugtem Gas befüllt werden.

Das gespeicherte Erdgas würde ausreichen, um ganz Thüringen in einer winterlichen Heizsaison bei 5 Grad minus zwei Wochen lang zu versorgen. Der UGS wird von der TEAG-Tochter TEP Thüringer Energiespeichergesellschaft mbH betrieben.

Wie wird es weitergehen?

Aktuell arbeitet eine Expertengruppe der Kommission an Vorschlägen für Bewertungskriterien für die verbleibenden vier Umweltziele. Es geht um Schutz der Wasserund Meeresressourcen, den Übergang zur Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung sowie den Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität. Deren Anwendung durch die Finanzwirtschaft ist laut Taxonomie-Verordnung im Jahr 2025 vorgesehen. Die Offenlegungspflicht für Unternehmen greift bereits ab dem Jahr 2024.

Ob ein Unternehmen die eigene „Taxonomie-Compliance“ offenlegen muss, hängt u.a. davon ab, ob es unter den Anwendungsbereich der CSR-Richtlinie fällt. Die Kommission strebt die Ausweitung des Anwendungsbereiches an. Die Anzahl der berichtspflichtigen Unternehmen in der EU würde danach von 11.000 auf 50.000 steigen.

Herr Reindl, vielen Dank für das Gespräch.

Opens external link in new windowwww.teag.de