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Wasserstoff im Wärmesektor: Enormes Potenzial zur Dekarbonisierung
Der politische Wille ist klar formuliert: Die Europäische Union soll bis 2050 klimaneutral sein, Deutschland bis 2045. Eine maßgebliche Rolle bei der Erreichung dieser ambitionierten Klimaschutzziele wird die Dekarbonisierung des Wärmesektors spielen. Dies unterstreicht Dr. Constantin H. Alsheimer, Vorsitzender des Vorstandes des Frankfurter Energieversorgers Mainova AG in seinem Gastbeitrag für THEMEN!magazin.
„Nötig ist die gesellschaftliche Akzeptanz, um die Energiewende erfolgreich zu vollziehen. Um dies zu erreichen, müssen wir technologieoffen vorgehen. Dabei ist Wasserstoff ein Schlüssel. Seine technologieoffene Erzeugung und Nutzung in allen Sektoren muss möglich sein. Auch und gerade im Wärmesektor“. Dr. Constantin H. Alsheimer
Ohne Zweifel muss der Ausbau der erneuerbaren Energien weiter vorangetrieben werden. Aus meiner Sicht steht aber fest: Für ein klimaneutrales Energiesystem benötigen wir keine dogmatische „All Electric Society“, die in jedem Sektor hauptsächlich auf die direkte Nutzung von erneuerbarem Strom setzt. Wichtig ist, dass wir die Klimaschutzziele erreichen, den wirtschaftlichen Wohlstand unseres Landes sichern und die Wärmewende auch für die Verbraucher erschwinglich halten.
Potenzial von Wasserstoff
Das Potenzial von Wasserstoff für den Wärmesektor wird weitestgehend unterschätzt. Dies zeigt insbesondere die nationale und europäische Strategie zur Implementierung einer Wasserstoffwirtschaft aus dem Jahr 2020 deutlich. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung ist das Potenzial noch relativ unbekannt, wie eine Umfrage in Hessen zeigt. Hierbei wurde u. a. gefragt, in welchen Sektoren Wasserstoff als zukünftiger Ersatz für fossile Energien gesehen wird: Eine Mehrheit von 66 % der hessischen Bevölkerung sehen hier den Verkehr als geeignet an. Bei der Gebäudeheizung zu Hause oder der Strom- und Wärmeerzeugung in Heizkraftwerken glaubt allerdings nur knapp die Hälfte der Befragten, dass Wasserstoff die fossilen Energien ersetzen wird. An dieser Stelle herrscht Aufklärungsbedarf.
Vorhandene Infrastruktur nutzen
Heute leistet Erdgas mit über 40 % den größten Beitrag zur Wärmeversorgung in Deutschland. Über 21 Mio. Haushalte, Industriebetriebe und Unternehmen werden zuverlässig mit Erdgas versorgt. Deutschlandweit ist mit dem bestehenden Gasnetz bereits eine rund 560.000 km umfassende ausgebaute Infrastruktur vorhanden. Mit überschaubarem Modernisierungsaufwand können diese auch zukünftig mit Gasen, wie eben klimaneutralem Wasserstoff und klimaneutralem Methan, versorgt werden.
Und genau hierin besteht eine große Chance zur Dekarbonisierung von ganzen Quartieren und Gebäuden. Denn nicht bei allen ist die Versorgung durch die klimafreundliche Fernwärme möglich oder der Einsatz von Wärmepumpen technisch und wirtschaftlich sinnvoll. Der Einbau einer Wärmepumpe zum Beispiel geht in der Regel einher mit umfangreichen energetischen Sanierungsmaßnahmen, die mit hohen Kosten verbunden sind.
Wasserstoff als Energiespeicher
Neben den Kosten spielt die Frage der Versorgungssicherheit eine entscheidende Rolle. Gerade bei einem erhöhten Strom- und Wärmeverbrauch im Winter müssten bei einer vollelektrischen Wärmeversorgung erheblich mehr gesicherte Kapazitäten für die Erzeugung von erneuerbarem Strom zur Verfügung stehen, da Strom nur sehr begrenzt speicherbar ist. Das naheliegende Speichermedium sind daher klimaneutrale Gase, insbesondere Wasserstoff. Denn er kann aus erneuerbarem Strom erzeugt werden, wenn dieser im Überschuss anfällt, und für die Zeiten, in denen erhöhter Energiebedarf besteht, gespeichert werden - zum Beispiel in unterirdischen Kavernen. Diese sind in Deutschland bereits vorhanden und dienen momentan zur Speicherung von Erdgas. Darüber hinaus kann Wasserstoff über das bereits bestehende Gasnetz in der Fläche transportiert werden. Mit moderatem Modernisierungsaufwand lässt sich Wasserstoff in die bestehende Gasnetz- und Gasspeicherstrukturen integrieren. Das macht ihn zur volkswirtschaftlich sinnvollsten Lösung. Die bereits vorhandene Infrastruktur kann so weiter genutzt und den Letztverbrauchern, ob Industriebetriebe oder Privathaushalte, direkt zur Verfügung gestellt werden.
Transformation der Gasinfrastruktur
Unerlässlich für die dazu notwendige Transformation der Gasinfrastruktur ist eine gemeinsame Regulierung von Wasserstoff und Erdgas. Diese muss auch die Beimischung von Wasserstoff ins Gasverteilnetz erlauben und nicht allein auf den Aufbau einer eigenen Wasserstoffinfrastruktur setzen. Wasserstoff wird zum Beispiel in Frankfurt dringend benötigt, um das Frankfurter Fernwärmenetz, an das u. a. viele Hochhäuser, die Messe und Deutschlands größter Flughafen angeschlossen sind, zu dekarbonisieren. Auf diese Weise werden Unternehmen auf ihren Weg in die Klimaneutralität unterstützt – bei vollem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Frankfurt.
Als Mainova sind wir bestrebt, die Energiewende mit energetisch, wirtschaftlich und ökologisch sinnvollen Lösungen umzusetzen. So werden wir bereits 2026 aus der Kohle aussteigen und die beiden Kohleblöcke im Heizkraftwerk West durch Gasturbinen ersetzen. Diese werden „H2 -ready“ sein und mittels klimaneutraler Gase wie Wasserstoff, Wärme und Strom erzeugen können - sobald Wasserstoff in ausreichender Menge in Frankfurt zur Verfügung steht.
Teile der Industrie bereiten die Umstellung ihrer Prozesse vor, Prototypen für Wasserstoff-Heizgeräte sind vorgestellt, ÖPNV und Individualverkehr nutzen zunehmend Wasserstoff.
In Frankfurt werden bereits im kommenden Jahr (2022) 27 Züge des Herstellers Alstom im Einsatz sein. Diese fahren komplett mit Wasserstoff und werden im Industriepark in Höchst mit Wasserstoff betankt. Mit an Bord ist Infraserv. Deutsche Bahn Regio und der RMV (RheinMain-Verkehrsverbund) sprechen von einer der größten Wasserstoff-Zugflotte weltweit.
Die politischen Strategien müssen realistisch sein
Die nationale und die europäische Wasserstoffstrategie unterstützen unsere Beiträge zur Erreichung der Klimaziele aus meiner Sicht leider nur unzureichend. Als Hessens größter Energieversorger begrüßen wir es deshalb ausdrücklich, dass die Hessische Landesregierung an einer eigenen Wasserstoffstrategie arbeitet. Denn um einen schnellen Markthochlauf von Wasserstoff zu gewährleisten, benötigen wir die passenden politischen Rahmenbedingungen, auch direkt vor Ort. Gemeinsam mit sechs weiteren Unternehmen aus Hessen – Heraeus, Infraserv Höchst, Messer, Opel, Viessmann und dem RMV – haben wir bei den politisch Verantwortlichen für eine hessische Wasserstoffstrategie geworben, die auf eine technologieoffene Erzeugung und sektorübergreifende Nutzung setzt.
Trotz des weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energien wird es auf absehbare Zeit nicht möglich sein, allein mit dem daraus erzeugten „grünen“ Wasserstoff den gesamten Wasserstoffbedarf in Deutschland zu decken. Zum einen wird der Strombedarf in den nächsten Jahren wahrscheinlich deutlich ansteigen und zum anderen werden die verfügbaren Elektrolysekapazitäten schlicht nicht ausreichen. Daher müssen jetzt die Weichen gestellt werden, damit Wasserstoff in ausreichendem Umfang und zu wirtschaftlichen Bedingungen erzeugt werden kann. Technologieoffenheit ist hierfür der Schlüssel.
Es ist ratsam und mit Blick auf die verschärften Klimaziele notwendig, die ausschließliche Förderung von „grünem“ Wasserstoff zu überdenken. Diese begrenzt nicht nur die Verfügbarkeit von Wasserstoff am Markt, sondern schränkt auch den Preiswettbewerb drastisch ein. Aus Erdgas erzeugter „blauer“ bzw. „türkiser“ Wasserstoff hingegen, bei dem durch Abscheidung keine CO2 -Emissionen in die Atmosphäre gelangen, könnten zumindest für einen Übergangszeitraum das Angebot von Wasserstoff deutlich erhöhen und für niedrigere Marktpreise sorgen. Am Ende kommt es doch darauf an, wirksamen Klimaschutz zu erreichen. Und hierbei sollten wir über einen Energieträger verfügen, der dabei hilft, die Treibhausgasemissionen signifikant zu verringern. Wasserstoff, ob grün, blau oder türkis, ist dazu in der Lage.
Darüber hinaus darf sich die Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff nicht allein auf Strom aus bestimmten erneuerbaren Energien wie Photovoltaik oder Windkraft beschränken. Es muss auch Strom aus biogenen Quellen, das heißt Biogas, Biomasse und der biogene Anteil der Müllverbrennung anerkannt werden. In vielen Regionen Deutschlands könnten so schon innerhalb weniger Jahre auch regionale Wasserstoffprojekte und -märkte entstehen, ehe der Wasserstoff in großem Volumen zur Verfügung steht.
Ein regionales Wasserstoff-Netz: Startpunkt für die hessische Wasserstoffwirtschaft
Auch in Frankfurt und der Rhein-Main-Region besteht Potenzial für einen regionalen Wasserstoffmarkt. In der Region gibt es mehrere Müllheizkraftwerke und Biomasseanlagen, an denen per Elektrolyse „grüner“ Wasserstoff erzeugt werden könnte. Mit dem Bau eines regionalen Wasserstoff-Netzes könnten zunächst verschiedene Elektrolyseure in der Region und der Industriepark Höchst verbunden werden. Ein solches Wasserstoff-Netz könnte den Startpunkt einer regionalen Wasserstoffwirtschaft bilden und wäre ein Pilotprojekt von überregionaler Strahlkraft.
Verlässliche politische Rahmenbedingungen schaffen
Die Anwendungsmöglichkeiten für Wasserstoff sind vielfältig und sektorübergreifend möglich. Perspektivisch ist eine flächendeckende Nachfrage zu erwarten und das lässt den Wasserstoffbedarf steigen. Diesen Bedarf werden wir unter den derzeitigen Rahmenbedingungen in Deutschland nicht aus eigener Kraft bedienen können. Daher ist auch der Import von Wasserstoff absehbar.
Ich bin der Überzeugung, dass Wasserstoff auch im Wärmemarkt unverzichtbar ist. Nur wenn es uns gelingt, ihn in großen Mengen herzustellen, zu importieren und zu nutzen, können wir Klimaneutralität bis 2045 erreichen. Dazu benötigen wir Technologieoffenheit bei der Erzeugung, eine sektorübergreifende Nutzung, marktorientierte Anreize und verlässliche politische Rahmenbedingungen.