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Energiezukunft braucht Gas
Der künftige Energiemix besteht aus Erneuerbaren Energien in Kombination mit Gas. Auf dem Weg dorthin benötigen wir einen Masterplan. In diesem muss und wird die Erdgasinfrastruktur eine wichtige Rolle spielen. Diesen Appell richtete Jens Schumann, Vorsitzender der Geschäftsführung von Gasunie Deutschland, auf dem BDEW Fachkongress Treffpunkt Netze 2015 an die Teilnehmer. In einem Gastbeitrag nennt Jens Schumann wesentliche Aspekte, die seine Sicht auf das Thema unterstreichen.
Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kosteneffizienz nicht der einzige Treiber für den Umbau unseres Energiesystems ist. Vielmehr zeigen sich Entwicklungen, die wir nicht negieren können. Da ist beispielsweise die intelligente physische Verbindung zwischen Strom und Gas - mit den Begriffen ‚System Integration‘ und ‚Hybride Solutions‘ bezeichnet. Was bedeutet das? Konsumenten werden auch zu Produzenten, die Energieproduktion findet zunehmend “Downstream” und dezentral statt. Vor diesem Hintergrund ist es absolut zu kurz gedacht, wenn sich die allgemeine Diskussion um Netze und Versorgungssicherheit nur auf Stromleitungen reduziert. Gerade der Stellenwert von Erdgasinfrastruktur darf vor diesem Hintergrund nicht ausgeblendet werden.
Das neue Energiesystem wird anders sein …
Deutlich zunehmende Komplexität wird in den Energiemarktdesigns zu Anomalien führen, die eine zentrale Koordination erfordert. „Stand alone“ Business Cases werden schwieriger; die Wertschöpfungsstufen übergreifende Kooperation hingegen wird immer wichtiger – aber auch eindeutig schwieriger durch die Regulierung. Gegenwärtig verzeichnen wir wenige Richtungsentscheidungen, allerdings mit vielen Reparatureingriffen. Und noch ein wesentlicher Einflussfaktor: Das Management des gesellschaftlichen Umfelds wird immer entscheidender, der Dialog mit betroffenen Stakeholdern angesichts der allgemeinen Kommunikationskultur gestaltet sich aber häufig sehr aufwändig.
Der Energiemix in Europa verändert sich. Entgegen mancher Meinungen, auch solchen aus der Politik, wird Erdgas einen stabilen Anteil am Energiemix der Zukunft haben. Erneuerbare Energien werden Marktanteile gewinnen, Kernkraft und Kohle an Bedeutung verlieren. Gas wird Marktanteile von der Kernkraft gewinnen und zugleich Marktanteile an die Erneuerbaren abgeben. Wenngleich Gas aktuell auch Marktanteile an die Kohle verliert, wird es diese aber zurückgewinnen. Denn der künftige Energiemix besteht aus Erneuerbaren (Wind & Solar) in Kombination mit Gas.
Modulare, flexible Konzepte zur Netzentwicklung
In der Diskussion taucht heute oft das Szenario einer Versorgungslücke auf. Hierzu sollten wir eine Betrachtung von Erdgas produktion und Kapazität vornehmen. Und zwar vor dem Hintergrund, dass der zu erwartende Gasverbrauch in Nordwest Europa keine eindeutige Tendenz erkennen lässt. Wir verzeichnen 2035 eine Bandbreite von minus 18 % bis plus 12 % für Nordwest Europa im Jahr gegenüber 2015. Insgesamt ist der Forecast als unsicher zu bezeichnen. Wesentliche Gründe hierfür liegen in den Schlüsselfaktoren:
• Nachhaltigkeit / Energiewende
• Wirtschaftsentwicklung
• Geopolitik.
Tatsache ist: Die konventionelle Erdgasproduktion in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien geht teilweise sehr stark zurück. Wenn auch die inländische Produktion zurückgeht, könnten Zeitraum und Umfang des Rückgangs durch die Schiefergas produktion gedämpft werden. Aber die Verfügbarkeit von Schiefergas ist unsicher und der Höhe nach begrenzt. Die norwegischen Gasmengen gehen langfristig ab 2030 ebenfalls zurück. LNG wird einen Teil der Lücke wirtschaftlich schließen können, aber selbst bei einer Verdopplung der heutigen LNG-Importe erscheint zusätzliches russisches Gas notwendig.
Das heißt, wenn wir von einer Versorgungslücke sprechen, ist diese nur durch Gas von außerhalb Europas zu schließen. Allerdings wird in dieser Diskussion die Betrachtung geopolitischer Risiken eine Rolle spielen. Hinzu kommt: Hohe Transportkosten für Gas aus dem kaspischen Raum oder dem Iran lassen sich nicht ausblenden.
Als Zwischenfazit ist festzuhalten: Im Erdgasmarkt bestehen derzeit erhebliche Unsicherheiten sowohl auf der Absatz- als auch auf der Aufkommensseite. Die heute vorhandene Erdgasinfrastruktur wird auch langfristig benötigt, sie wird sinnvoll nutzbar sein und zugleich einen wesentlichen Beitrag im Energiesystem leisten. Allerdings werden Neuinvestitionen nur noch mit sehr großer Zurückhaltung getätigt werden. Sie erfordern ein anderes Marktumfeld sowie entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen. Die Versorgungssicherheit ist mittelfristig gewährleistet. Aber Weichenstellungen sind nach 2020 zwingend geboten. Der Schwerpunkt ist dabei auf modulare, flexible Konzepte zur Netzentwicklung zu legen.
LNG als Heilsbringer?
Durchaus kontrovers verläuft momentan die Diskussion um Erdgasspeicher. Auf der einen Seite sagen die Experten, dass Speicher zur Versorgungssicherheit notwendig sind. Auf der anderen Seite hingegen wird die Meinung vertreten, dass bei rückläufigem Gasabsatz Speicher auf lange Sicht gar nicht mehr erforderlich sind. Zudem durch LNG ausreichend Versorgungssicherheit gegeben sei.
Zusätzliches LNG aus Dünkirchen, Zeebrugge oder Rotterdamer Gate-Terminal kann durchaus mit relativ angemessenem Aufwand in die nordwesteuropäischen Märkte gebracht werden. Auch die LNG-Regasifizierungskapazi täten sind derzeit nicht ausgelastet. LNG aus dem Westen hat kurze Antransportwege und damit Kostenvorteile gegenüber LNG aus dem Mittelmeerraum. Aber reicht dieser Lösungsansatz aus? Auch wenn der Ansatz wirtschaftlich sinnvoll und machbar erscheint, sind doch Investitionen in zusätzliche Trans portkapazitäten, und hier insbesondere in West- Ost-Richtung, noch näher zu untersuchen.
Bestehende Versorgungssysteme nicht vernachlässigen
Insbesondere sollten wir den Blick auf bestehende Versorgungssysteme nicht vernachlässigen. Das benötigte zusätzliche russische Gas kann mit relativ geringem Aufwand in die nordwesteuropäischen Märkte gebracht werden. So ist die Nordstream Pipeline operativ noch nicht vollständig ausgereizt. Ein Ausbau der Nordeuropäischen Erdgasleitung (NEL) mittels Verdichter ist mit dreijähriger Vor laufzeit machbar. Die bestehende L-Gas Infra struktur wird durch den Rückgang der Pro duktion in Deutschland und den Niederlan den frei und kann sinnvoll in das H-Gassystem eingebunden werden. Auch können existierende L-Gas Entry-Punkte von Benelux nach Deutschland für H-Gas nutzbar gemacht werden.
Erdgasspeicher können den Bedarf nach Spitzenleistung flexibel decken und stellen so eine wirtschaftliche Diversifizierungsoption dar. Zusätzliche nationale Erdgasspeicher sind mit vertretbarem Aufwand in die Erdgasnetze integrierbar bzw. können - sofern sie an der richtigen Stelle positioniert und vernünftig genutzt werden - den Netzausbaubedarf sogar verringern. Das geologische Potenzial dafür in Deutschland ist jedenfalls gegeben.
Langfristig erscheinen Erdgasspeicher bei einer hybriden Erdgasnutzung (‚Peak Supplier‘) sinnvoller als saisonal schwankend ausgelastete neue Transitleitungen oder LNG Terminals.
Allerdings unterstützt das derzeitige Marktumfeld Speicherinvestments noch weniger als Investitionen in neue Erdgasnetze. Ferner sind die Vorlaufzeiten zwischen Planung und Inbetriebnahme deutlich länger, was aus Investorensicht durchaus ein Hemmnis sein kann.
Ein Fazit
Deutschlands hervorragend ausgebaute Erdgasinfrastruktur ermöglicht eine hohe Marktliquidität und damit attraktive Gaspreise bei hoher Versorgungssicherheit. Im Hinblick auf ihren ‘life cycle’ kann sie sehr gut mit der Energiewende und dem Umbau unseres Energiesystems in Einklang gebracht werden. Stichworte hierfür sind Fuel switch, Hybride Systeme, Speicherung oder Back-up.
Allerdings fordern die hohen Markt unsicherheiten eine schnelle und flexible Anpassungsfähigkeit der Erdgasnetze an sich ändernde Gasströme. Diese Unsicherheiten führen in Verbindung mit dem Regulierungsrahmen der zeit zu einem eher zurückhaltenden Inves titionsverhalten und werden mittelfristig zu einer Verringerung der Marktliquidität und Versorgungssicherheit führen. Notwendig sind deshalb dem ‚life cycle‘ angepasste regulatorische Abschreibungshorizonte für Neuinvestitionen.
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