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04.02.2015 07:30 Alter: 10 yrs

Energiezukunft braucht Gas

Wer eine schnelle Integration der Erneuerbaren Energien in das Energiesystem will, kommt an Gas nicht vorbei. Gas ist nicht nur der Motor, Gas ist die entscheidende Schlüsselressource, die zum Erfolg der Energiewende maßgeblich beitragen wird.


Foto: Bettina Fürst-Fastré

Wir sprachen mit dem Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW), Prof. Dr. Gerald Linke, über die Sicht der Gaswirtschaft auf den Verlauf der Energiewende in Deutschland.

Herr Prof. Linke, die Energiewende in Deutschland ist im Wesentlichen stromgetrieben. Bleibt die Gaswirtschaft auf der Strecke?

Nein, wir benötigen Erdgas und erneuerbare Gase für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende. Tatsächlich sind zunächst viele der energiepolitischen Herausforderungen am Thema Strom festgemacht, etwa die Integration von Überschussstrom aus dezentralen Wind- und Solaranlagen, der Zeit- und Investitionsbedarf beim Stromnetzausbau, oder der zunehmend unrentable Einsatz von Kraftwerken. Diese Probleme lassen sich aber dann mildern oder lokal gänzlich lösen, wenn man in die Betrachtungen die vorhandenen Erdgasinfrastrukturen – also im Wesentlichen die Transportleitungen und Verteilsysteme – und die mit dem Energieträger verbundenen Flexibilitäten mit einbezieht.

Lassen Sie mich das mit einigen einfachen Zahlen verdeutlichen: Wir können über das Erdgasnetz in Deutschland etwa zweimal so viel Energietransportieren wie im Stromnetz. Dabei sind die Leitungssysteme in der Lage, als Energiesammler auch Gas aus Biomethananlagen aufzunehmen. Selbst Überschussstrom kann, wie fast zwei Dutzend Demoprojekte in Deutschland belegen, über Gasnetze transportiert werden, wenn man aus dem Strom absolut emissionsfreien Wasserstoff oder künstliches Erdgas herstellt.

Worauf beruht Ihre Zuversicht?

Zum einen beruht meine Zuversicht auf den Eigenschaften des Energieträgers selbst, zum anderen belegen unsere Forschungsergebnisse, dass nur in der Gesamtoptimierung Strom und Gas die Lösung liegt. Zunächst zum Erdgas selbst: Erdgas weist unter allen fossilen Energieträgern mit Abstand die geringsten CO 2 -Emissionen auf. Erdgasbetriebene Kraftwerke emittieren nur halb so viel wie Kohlekraftwerke und lassen sich wesentlich flexibler einsetzen. Grund genug, Erdgas gegenüber der Kohle den Vorzug zu geben.

Aber mehr noch: Mit über 8000 Biogasanlagen und mehr als 110 großtechnischen Biomethananlagen, die im Netz sind, wird auch Erdgas immer sauberer. So richtig spielt der Energieträger aber seine Vorteile im Mobilitäts sektor aus, denn gegenüber Benzin und Diesel ließen sich mit Erdgas als Kraftstoff bis zu 24 Prozent des klimaschädlichen Treibhausgases einsparen. Auch im Bereich des Schwertransports ist Erdgas in Form von verflüssigtem Erdgas (LNG) eine umweltfreundliche und kosteneffiziente Alternative. Erwähnen will ich hier den Einsatz von LNG in der Schifffahrt, erst kürzlich wurde das 100. Schiff mit LNG-Antrieb in Betrieb genommen.

 

Können Sie einige Informationen zum Stand der Forschung geben?

Den Erkenntnissen aus unseren Forschungsvorhaben möchte ich vorwegschicken, dass wir im gesamten Bundesgebiet übernamhafte Gasforschungsinstitute verfügen, die im Auftrag unserer 13.700 Mitglieder Möglichkeiten ermittelt haben, die Energiewende nicht nur voranzutreiben, sondern auch bezahlbar zu halten.

Dabei konnte etwa in Studien belegt werden, dass eine dezentrale Erzeugung von Wärme und Strom aus Erdgas direkt beim Kunden vor Ort - in sogenannten Kraftwärmekopplungsanlagen - uns die Emissionsminderungsziele erreichen läßt. Das Ganze dabei zu einem Bruchteil der Investitionen, die ein einseitiger Ausbau der Erneuerbaren mit all seinen Folgekosten verursacht.

Auch hier erweisen sich systemische Lösungsansätze dem Spartendenken überlegen. Die sogenannte Konvergenz von Strom und Gas ist der Schlüssel zum Erfolg. Und dazu gehören auch Technologien, die heute noch als gewagt gelten, wie etwa Power-to-Gas, d. h. Möglichkeiten, Strom sinnvoll in Gase umzuwandeln, um die Energie so speicher- und einfach transportierbar zu machen. Zu den Themen zählen ebenso die Strategien und Potenziale im Querverbund, der wirtschaftliche Betrieb integrierter Strom- und Gasnetze und die Planung und Errichtung konvergenter Netze.

Sollte der Nachhaltigkeitsaspekt von Erdgas nicht stärker hervorgehoben werden?

Unbedingt: Erdgas ist im globalen Maßstab der Energieträger, mit dem Nachhaltigkeit bei gleichzeitig steigendem Energiehunger möglich ist. In Deutschland scheint mir manchmal der Umgang mit Erdgas – etwa im Heizungssektor, wo wir jeden zweiten Haushaltversorgen – als so vertraut und selbstverständlich, dass wir hier Gefahr laufen, den Begriff „bewährt“ mit „unmodern“ gleichzusetzen. Tatsächlich sorgen aber fortlaufende Innovationen wie Erdgaswärmepumpen und Brennstoffzellenheizgeräte dafür, dass das Gesamte, d. h. der Energieträger mit der Anwendung, in der Lage ist, höchste Energieeffizienzen umzusetzen. Diese Innovations Pipeline ist noch lange nicht zu Ende. Der gesamte Mobilitätssektor bedarf noch einer weiterschreitenden Dekarbonisierung.

Und schließlich die Erneuerbaren Energien und deren Ausbau: Der für viele als Synonym für Nachhaltigkeit stehende wachsende Anteil der Erneuerbaren kann nur dann vonstatten gehen, wenn es gelingt, deren fluktuierende Stromproduktion zu integrieren. Damit gewinnen innovative gasbasierte Speichertechnologien zunehmend an Bedeutung. Ohne Erdgas geht es also nicht. Deshalb sollte man sich auch klar dazu bekennen und eher den Fakten den Vortritt lassen, als über eine in ferner Zukunft liegende Energieversorgung zu streiten, die zwar erdgasfrei gedacht werden kann, zu der aber kein realistischer Pfad führt.

Welche Anforderungen stellen Sie an die Energiepolitik der Bundesregierung?

Die Energiewende ist keine reine Stromwende. Sie wird dann am effizientesten gelingen, wenn spartenübergreifende Synergien über die Systeme Strom und Gas realisiert werden. Durch die Nutzung vorhandener Konvergenzpotenziale und das Zusammenwachsen der Versorgungsstrategien kann ein effizienterer Netzbetrieb ermöglicht werden.

Wir müssen stärker in Richtung Systemintegration denken, stärker die Verbindungspunkte von Gas und Strom beleuchten. Die Konvergenz von Gas- und Stromnetzen wird der entscheidende Schlüssel zum Erfolg der Energiewende sein. Die Kopplung von Strom und Gas hat das Potenzial, Klimaschutz und Energieeffizienz zu verbessern. Und wir müssen das gewaltige Klimaschutz- und Energieeffizienzpotenzial der Kopplung beider Energieträger stärker in den politischen Meinungsprozess einbringen.

Gas ist eine Schlüsselressource und Deutschland kann zur Blaupause für eine nachhaltige, sichere und effiziente Entwicklung der Energieversorgung werden – in Europa und weit darüber hinaus. Der DVGW wird sich an dem Entwurf dieser Blaupause für das Jahr hundertprojekt Energiewende weiter maßgeblich beteiligen.

www.dvgw.de