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Energiewende erhält ein digitales Gerüst
Die Energiewirtschaft erlebt einen Veränderungsprozess. Zu etablierten Energieunternehmen stoßen neue Marktteilnehmer aus IT und Big Data, Automotive und Technologieentwicklung sowie der Wohnungswirtschaft. Die Energiewende zeigt sich als ein Wachstumstreiber für die Energiewirtschaft, allerdings verändert sich durch die Digitalisierung die bisherige Wertschöpfung grundlegend. Ein Beitrag für die Diskussion zur Weiterführung der Energiewende von Elmar Burgard, Vorstand AGFW e. V. (Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK). Foto: Silvia Steinbach
In seiner Veröffentlichung „The Computer for the 21st Century“ prägte Mark Weiser 1991 den Begriff vom „Internet der Dinge“ als allgegenwärtige Computer. Statt selbst Gegenstand der menschlichen Aufmerksamkeit zu sein, soll das „Internet der Dinge“ die Menschen bei ihren Tätigkeiten unmerklich unterstützen. Immer kleinere Computer sollen Menschen begleiten ohne abzulenken oder überhaupt aufzufallen. Viele einzelne Dinge, intelligent vernetzt, schaffen nach dieser Vorstellung ganz neue Lebensmöglichkeiten für die Menschen.
Neben Arbeit, Rohstoff und Kapital wird den Daten und der Information eine neue tragende Rolle als neuer Produktivfaktor und wertvolle Handelsware zugewiesen. Durch „Big Data“ sollen Unternehmen schneller, produktiver, effizienter und innovativer werden. Immer mehr Daten unterschiedlichster Form werden verarbeitet und gespeichert. Hinzu kommen neue Internettechnologien und -anwendungen, neue Geschäftsprozesse und -modelle, aber auch ein verändertes Kundenverhalten und steigender Wettbewerbsdruck durch neue, branchenfremde Marktteilnehmer. Die Schlagadern der Energiewelt können nur pulsieren, wenn durch sie neben dem Stromkreislauf zusätzlich ein Datenkreislauf fließt. Die Politik hat dies erkannt und mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende und dem Entwurf des Messstellenbetriebsgesetzes die Marschrichtung vorgegeben. Smart Grid, Smart Meter und Smart Home erhalten künftig verstärkt Einzug in Industrieanlagen, Haushalte, Leitwarten und Netzstationen. Die Energiewende erhält sozusagen ein digitales Gerüst.
Ein Baustein für die Energiewende
Die Digitalisierung der Energiewirtschaft betrifft alle Bereiche von der Energiebereitstellung über die Übertragung und Verteilung bis hin zum Vertrieb. Wesentliche Treiber sind die zunehmende Komplexität des Energiesystems infolge Dezentralisierung und Kleinteiligkeit auf der Erzeugungsseite, die Notwendigkeit der Flexibilisierung des Gesamtsystems, die Vernetzung mit anderen Sektoren wie Wärme und Verkehr sowie der Kostendruck. Nach der Strompreisanalyse des BDEW zu Beginn dieses Jahres werden Steuern, Abgaben und Umlagen in 2017 mehr als die Hälfte (54 %) des Strompreises ausmachen. Die Umlage zur Förderung der Erneuerbaren Energien (EEG-Umlage) macht hier den größten Anteil unter den staatlichen Abgaben. Allein 24 Milliarden Euror müssen die Stromkunden hierfür in 2017 aufbringen. Dabei beträgt der von den Energieversorgern selbst beeinflussbare Anteil am Strompreis (Strombeschaffung und Vertrieb) aktuell weniger als 22 %. Dieser Anteil wird in 2017 voraussichtlich weiter sinken. Vertriebe können Strompreise kaum beeinflussen. Neben den Steuern und Abgaben sowie den Kosten für Beschaffung und Vertrieb sind die Netzentgelte der dritte Bestandteil am Strompreis für Haushalte, sie lagen 2016 bei durchschnittlich 24 %. Auch hier rechnet der BDEW für 2017 wegen des erforderlichen Aus- und Umbaus der Stromnetze mit einer Steigerung. Kann die Digitalisierung ein Lösungsweg sein, um aus dieser Spirale auszubrechen?
Entwicklung standardisierter Lastmanagementlösungen
Deutschland hat eines der zuverlässigsten Energieversorgungssysteme weltweit. Die Entwicklung hin zu hohen Anteilen volatiler, zentral und dezentral eingespeister erneuerbarer Energie erfordert aber auch die Entwicklung neuer Lösungen für intelligente Netze. Die Anzahl der Elektrofahrzeuge steigt potentiell, Erzeugungsanlagen, Wärmepumpen und Batteriespeicher halten Einzug in die Haushalte. Damit ändert sich das Lastprofil in der Verteilnetzebene fundamental. Die Netzbetreiber müssen auf unvorhersehbare Lastspitzen dynamisch reagieren, um kritische Netzzustände zu vermeiden. Eine Lösung hierfür wäre ein über höhere Netzentgelte finanzierter, teurer Netzausbau; dies ist jedoch nicht die einzige verfügbare Option. Hier regt der Elektrotechnikverband VDE an, mit Hilfe intelligenter, interoperabler Lastmanagementlösungen diesen für den Stromkunden teuren Weg vorerst zu vermeiden oder zumindest abzumildern. Mit seinem Ansatz zur Entwicklung standardisierter Lastmanagementlösungen zeigt der VDE, wie die Innovation zur Digitalisierung der Energieversorgung voranschreitet. Konzeptionell verfolgt man das Ziel, so lokal wie möglich und sinnvoll, organisiert durch einen Energie- und Leistungsmanager, einen hohen Grad an Eigenstromnutzung zu erzielen. Der Energiemanager ist dabei die Einheit, die alle intelligenten Verbraucher und Erzeuger in einem Haushalt miteinander verbindet und die vorhandene Leistung entsprechend der Kundenvorgaben verteilt. Der Kunde kann somit seine Stromverbraucher individuell priorisieren. Übersetzt heißt das für das Lastmanagement, dass nur im Bedarfsfall Leistung aus übergeordneten Netzebenen angefordert beziehungsweise in diese zurück gespeist wird. Über eine Kaskadierung von Energie- und Leistungsmanagern soll über die unterschiedlichen Netzebenen hinweg die im Netz vorhandene Energie marktgesteuert optimal genutzt werden. Dabei muss aber auch gelten, dass solch marktgesteuertes Lastmanagement durch ein netzdienliches ergänzt werden muss, damit im Falle kritischer Netzsituationen die Netzbetreiber regelnd auf die Energiemanager und damit alle mit diesen verbundenen Verbrauchern und Erzeuger einwirken können. Nur so kann der Netzbetreiber die zwingend zu priorisierende Netzstabilität garantieren, lautet die Aussage des VDE.
Kundendaten - Das Gold der Zukunft
Noch einige Gedanken zum Thema Kundendaten. Die Basis von an Kundenwünsche individuell anzupassenden Produkten sind Kundendaten, die zum Teil bereits heute bei den traditionellen Energieversorgern schlummern. Zwar werten diese bereits heute Kundendaten für Marketingkampagnen aus, allerdings auf Basis zum Teil nicht mehr aktueller Datenstände. Die Kampagnen funktionieren meines Erachtens nach dem Gießkannenprinzip. Im Zeitalter der steigenden Wechselbereitschaft der Kunden muss es für jeden Energieversorger Ziel sein, anhand von individuellen Kundendaten den „Wert“ eines Kunden zu ermitteln und im Idealfall auch die Wahrscheinlichkeit einer Kündigung vorhersagen zu können. Auf dieser Datenbasis könnten dann passgenaue Aktivitäten zu deren Vermeidung angestoßen werden. Denn die Akquise neuer Kunden ist kostspielig und aufwändig, vor allem bei hohen Wechselprämien. Gelingt es Kündigungen zu verhindern, garantiert dies stabile Kundenzahlen. Ist das Zukunftsmusik? Nein, das ist bereits Tagesgeschäft. So bietet z. B. der Kundenservicespezialist A/V/E aus Halle (Saale) mit einem speziellen IT-Programm eine Lösung an, mit der das Energieunternehmen den Wert seiner Kunden bestimmen sowie die Kündigungswahrscheinlichkeit ermitteln kann. Damit kann ein Frühwarnsystem eingerichtet werden, um rechtzeitig passgenaue Maßnahmen der Kundenbindung einzuleiten. Ein Beispiel für das digitale Gerüst der Energiewende.
www.agfw.de