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Energiewende 2.0: Grüner Wasserstoff ersetzt fossile Moleküle
Der Bundesrat hat über erste Anpassungen des Rechtsrahmens im EnWG und der GasNZV abgestimmt und mit seinem klaren Votum die Regulierung von Wasserstoffnetzen im Rahmen des Bundesbedarfsplangesetzes aktuell auf die Tagesordnung gesetzt. Für Ralph Bahke, Vorsitzender des FNB Gas e.V. und Geschäftsführer der ONTRAS Gastransport GmbH ist nun der Stein ins Rollen gebracht, um noch in dieser Legislaturperiode die Weichen für den Aufbau einer regulierten Wasserstoffinfrastruktur zu stellen.
Die Zeit drängt, erste Wasserstoffprojekte mit Transportbedarf werden konkret. Es sind die Erzeugungskapazitäten für Wasserstoff zu ermitteln und parallel dazu muss die Transportinfrastruktur geschaffen werden. Sonst wiederholen wir die Fehler, die beim Ausbau der erneuerbaren Energien im Strombereich gemacht wurden. Darum können wir mit dem Aufbau der Infrastruktur nicht länger warten!“
Ralph Bahke
Der Klimaschutz in Deutschland hinkt hinterher. Experten sehen das Erreichen des 2030-Ziels stark gefährdet. Laut Umweltbundesamt gab es 2019 sogar ggü. 2018 steigende CO2-Äquiv.-Emissionen in den Sektoren Verkehr (+0,7 %) und Wärme (+ 4,2 %). Die Ursache liegt in der Struktur unseres Energieverbrauchs: Vier Fünftel unseres jährlichen Endenergiebedarfes decken wir mit Molekülen, also fossilen und regenerativen Brennstoffen, nur ein Fünftel durch elektrische Energie. Zwar sind wir bei der Energiewende Strom schon zu 44 Prozent regenerativ unterwegs, erreichen aber bei den Molekülen erst zehn Prozent. In Zahlen: Von den 2019 insgesamt verbrauchten 2.500 Terrawattstunden sind lediglich 425 TWh regenerativ erzeugt. Unsere gesellschaftliche Aufgabe ist es, auch die verbleibenden gut 2.000 TWh noch grün zu machen.
Multitalent Wasserstoff
Wasserstoff ist ein Energieträger, der einen wesentlichen Teil dieser Aufgabe übernehmen kann. Er ist regenerativ erzeugbar, verbrennt ohne THG-Emissionen, lässt sich in großen Mengen über lange Zeit speichern und kann vorhandene Gasinfrastrukturen mit nutzen. Wie Erdgas und Biomethan ist er vielseitig verwendbar und wird in vielen Sektoren maßgeblich zur Reduzierung und Vermeidung von THG-Emissionen beitragen.
Das sieht mittlerweile auch die Politik so. Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, flankiert durch die Wasserstoffstrategien der Bundesländer, sowie der Wasserstoffstrategie der EU liegen seit Sommer dieses Jahres endlich belastbare Grundlagen vor, um die Entwicklung hin zu einer Energiewirtschaft mit Wasserstoff einzuleiten. Auch die Gaswirtschaft hat ihre Hausaufgaben dafür gemacht. Noch vor der Nationalen Wasserstoffstrategie veröffentlichten die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber ihr visionäres Wasserstoffnetz.
Vision 2050: 6.000 Kilometer Wasserstoffleitungen in Deutschland
Die deutschen FNB haben dieses visionäre H2-Netz auf der Grundlage einer Studie der Forschungsstelle für Energiewirtschaft sowie einer Marktabfrage von Grüngasprojekten im Jahr 2019 für den Szenariorahmen für den NEP Gas 2020-2030 entwickelt. Es verbindet Regionen zur Wasserstofferzeugung und mögliche Importpunkte mit regionalen Verteilnetzen, industriellen Verbrauchern und Kohleausstiegsregionen. Zudem erschließt es vorhandene Kavernenspeicher. Über dieses H2-Netz ließen sich etwa 80 Prozent des deutschen Fahrzeugbestandes und ein Teil des nicht elektrifizierten Schienenverkehres erreichen.
Erste Wasserstoffprojekte (z.B. Reallabore als Keimzelle einer Wasserstoffwirtschaft) könnten bereits bis 2025 entstehen. Der Aufbau des H2-Netzes erfolgt aus heutiger Sicht von Norden nach Süden, da die potenziellen Quellen und Speicherstandorte für Wasserstoff überwiegend nördlich der Mainlinie liegen. Das H2-Netz ist technologieoffen und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Es nutzt zu 90 Prozent umgerüstete Bestandsleitungen. Nur etwa zehn Prozent der Verbindungen müssten neu gebaut werden. Dass dieses visionäre Netz konkrete Ansätze hat, zeigte sich bei den im Auftrag der BNetzA vorgenommenen Modellierungen einer Grüngasvariante für die Jahre 2025 und 2030 für den derzeit entstehenden NEP Gas 2021- 2030. Das sich ergebende, etwa 1.200 Kilometer Leitungen umfassende H2-Startnetz 2030 verbindet danach im Wesentlichen Bedarfsschwerpunkte in Nordrhein- Westfalen und Niedersachsen mit Grüngas-Projekten zur Wasserstoff-Erzeugung in Norddeutschland. Importe kommen über die Niederlande. Erste, auf H2 umgestellte Leitungen wären schon ab Ende 2022 möglich. Insgesamt werden nur 100 Kilometer neu gebaute Verbindungen benötigt. Das übrige Netz lässt sich durch Umstellen von Bestandsleitungen aufbauen. Dafür sind bis Ende 2030 Investitionen von rund 660 Mio. € notwendig.
Das visionäre Wasserstoffnetz ist auch ein zentraler Bestandteil des von Gas for Climate 2050 – einem Konsortium aus zehn führenden europäischen Gasunternehmen und zwei Verbänden für erneuerbare Gase - entwickelten European H2 Backbone für 2040. Es soll etwa 26.000 Kilometer umfassen und bereits bis 2030 auf 6.000 Kilometer Leitungen anwachsen. Diese Vision passt zur Wasserstoffstrategie der EU, die vorsieht, dass die Betreiber der heutigen Gasinfrastruktur auch die künftige Wasserstoffinfrastruktur errichten und betreiben sollen.
FNB Gas
Jeder wartet auf den Start ...
Die Wasserstoffstrategien der EU, des Bundes und der Länder weisen den richtigen Weg. Die Nachfrage nach Wasserstoff ist vorhanden. Doch greifen die Annahmen der zu installierenden Elektrolyseurleistung für grünen Wasserstoff zu kurz. Studien prognostizieren für 2030 in Deutschland einen H2-Bedarf bis zu 334 TWh (rd. 115 Mrd. m³; Quelle: Ludwig-Bölkow-Systemtechnik, 2019); die in der Nationalen Wasserstoffstrategie vorgesehenen 5 GW Leistung reichen gerade für rund 9 Mrd. m³ H2. Die Fokussierung auf grünen Wasserstoff ist dabei löblich, geht aber am tatsächlichen Marktbedarf vorbei. Für die Hochlaufphase benötigen wir zunächst auch blauen und violetten Wasserstoff, der erst mit der Zeit durch grünen Wasserstoff ersetzt werden kann. Und wir brauchen Technologieoffenheit – die Beschränkung auf Elektrolyse beim grünen Wasserstoff verhindert künftige Entwicklungen.
... doch noch fehlen die Spielregeln
Vor allem aber fehlen uns nach wie vor national wie europaweit grundlegende gesetzliche und technische Voraussetzungen, um Wasserstoffprojekte überhaupt zum Laufen zu bringen. So ist die Nutzung der bestehenden Infrastruktur derzeit auf Elektrolyse-Wasserstoff beschränkt. Auch fehlen europaweit einheitliche Regeln für die Umwidmung von Gasleitungen für Wasserstoff wie für die Beimischung zum Erdgas. Die Gültigkeit der in Deutschland erst ansatzweise vorhandenen Regelungen endet an der Staatsgrenze.
Vorschläge liegen auf dem Tisch
Diese rechtlichen und regulatorischen Hindernisse sind zu beseitigen. So dürfen Gasnetzbetreiber bisher keine H2-Netze errichten oder betreiben. Die H2-Netze sollten analog zum Gasnetz reguliert werden. Denn die Folgenutzung des Gasnetzes ist volkswirtschaftlich effizient: Das heutige Erdgasnetz und das zukünftig daraus erwachsende Wasserstoffnetz sind als Einheit der öffentlichen Gasversorgung zu betrachten. Abgaben und Umlagen sollten der Sektorkopplung gerecht werden und z. B. Elektrolyseure als systemrelevante Energiewandler davon komplett befreien.
Für einen schnellen Markthochlauf empfiehlt sich, so auch ein Vorschlag der Power-to-X-Allianz, die Einführung einer Grüngas-Quote sowie europäisch frei handelbarer Zertifikate für Wasserstoff. Notwendig für die intelligente Sektorkopplung ist zudem eine integrierte Netzplanung Strom und Gas, z. B. eines TYNPD unter Berücksichtigung des Strom-, Methan (Erdgas)- und Wasserstoffbedarfs. Maßstab für alle Vorgaben sollten die dadurch erreichbaren THG-Einsparungen sowie industrieund technologiepolitische Aspekte sein.
In einer zweiten Phase sollten dann weitere regulatorische und ordnungspolitische Anpassungen im europäischen und deutschen Recht den Rahmen verfeinern und präzisieren, um die Rolle des Energieträgers Wasserstoff in einem alle Sektoren und Infrastrukturen einschließenden Energiesystem zu gestalten. Gelingt uns das, gibt es schon in wenigen Jahren auch spürbare Erfolge beim Ablösen fossiler durch grüne Moleküle.
Bundesrat weist realistischen Lösungsweg
Wenn die Bundesregierung ihre ambitionierten Ziele im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie ernst meint, bietet der Vorschlag der Länderkammer einen realistischen Lösungsweg. Die beschlossenen Rechtsanpassungen legen den Grundstein für den Aufbau einer regulierten Infrastruktur für den technologieoffenen Transport von Wasserstoff. Sie ermöglichen die Weiternutzung der Erdgasinfrastruktur durch Umwidmung der bestehenden Netze für den reinen Wasserstofftransport sowie eine integrierte Netzplanung für die zukünftigen Gasinfrastruktur.
Und die Regulierungsvorschläge sind ein erster unabdingbarer Schritt für die Entwicklung eines wettbewerblichen Wasserstoffmarktes. Denn sie lehnen sich an die Erdgasregulierung an, die sich im Markt bewährt hat und von Marktteilnehmern und Investoren anerkannt wird. Im Sinne einer lernenden oder dynamischen Regulierung kann dieser Rechtsrahmen sukzessive an die Bedarfe des zukünftigen Wasserstoffmarktes angepasst werden.
Weitere Information: www.fnb-gas.de
Neu gebaute Leitungsabschnitte wie hier bei Neustrelitz sind für die Aufnahme von Wasserstoff vorbereitet.