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Energienetze in der EU – Rollen und Aufgaben
Ein vollständig integrierter Energiebinnenmarkt muss einen europaweit ungehinderten Energiefluss durch adäquate Infrastruktur sowie die Beseitigung technischer und regulatorischer Hemmnisse ermöglichen. Nur dann kann sich ein effizienter Weg zu sicherer Energieversorgung zum besten Preis eröffnen. Gerade Deutschland belegt, die Diskussion zu Rolle und Aufgaben der Energienetze bleibt auf dem Weg zu einer „Neuen Energiewelt“ weiterhin auf der Tagesordnung.
Prof. Dr. Klaus-Dieter Borchardt, Direktor Energiebinnenmarkt, Generaldirektion Energie bei der Europäischen Kommission in Brüssel benennt im Gespräch mit unserer Redaktion Ansätze zur sachlichen Betrachtung von Rollen und Aufgaben der Energienetze.
Foto: Europäische Kommission
Herr Prof. Borchardt, in Deutschland wird nach wie vor zum Thema Energienetze diskutiert. Sehen Sie eine solche Diskussion als nationale Besonderheit?
Sicher nicht, denn das europäische Energiesystem befindet sich gegenwärtig in einem grundlegenden Umbruch. Größte Herausforderung dabei ist die Integration der stetig wachsenden erneuerbaren Energien in unseren Energiemarkt. Sehen wir allein den Anteil an der Energieerzeugung: heute stehen wir bei 12 %. Bis 2030 sollen daraus 29 % werden. In der Stromerzeugung sind das zur Zeit 29 %. Für 2030 beträgt das Ziel 50 %.
Ein hoher Anteil der Erneuerbaren (Wind und Solar) geht direkt ins Verteilnetz, in Deutschland rund 90 %. Dies bedeutet einen enormen Druck auf die Verteilnetze, vor allem im Hinblick auf den Betrieb der Netze und den Investitionsbedarf. Dieser Druck wird noch weiter verstärkt, wenn es kurz- oder mittelfristig zur Elektrifizierung des Verkehrs- und/oder Wärmesektors kommt.
Welche Orientierung bietet hier das sogenannte „Winterpaket“ der EU-Kommission?
Der Kommissionsvorschlag zum Marktdesign als Teil des Winterpakets „Saubere Energien für alle Europäer“ nimmt sich diesen Herausforderungen an und setzt Regeln für mehr Flexibilität, Kosteneffizienz und Verbraucherrechte. Soweit es die Rolle der Verteilnetzbetreiber betrifft, liegen die Schwerpunkte auf:
- Nutzung von Flexibilitätsdienstleistungen durch Verteilnetzbetreiber
- Neue Rolle der Verteilnetzbetreiber in spezifischen Aufgabenbereichen
- Einbindung der Verteilnetzbetreiber in das europäische Institutionengeflecht.
Nachfragemanagement, Speicher und Eigenerzeugung sind wichtige Quellen für die notwendige Flexibilität in den Verteilnetzen. Die Verteilnetzbetreiber sind zunächst dafür verantwortlich, diese Ressourcen zu integrieren, aber sie können von der Flexibilität auch profitieren, um ihre Netze auf lokaler Ebene zu stabilisieren und zu optimieren.
Gibt es dafür bereits die entsprechende Rechtsgrundlage?
Der Kommissionsvorschlag sieht für das neue Marktdesign die Schaffung einer klaren Rechtsgrundlage für Verteilnetzbetreiber im Hinblick auf Zugang und Nutzung der Flexibilität durch marktkonforme Verfahren vor. Verteilnetzbetreiber sollen in die Lage versetzt werden, die Dienstleistungen für den Tagesbetrieb ihrer Netze und für die Auflösung von Engpässen zu nutzen.
Der nationale regulatorische Rahmen soll es den Verteilnetzbetreibern ermöglichen und zugleich Anreize bieten, auf Flexibilitätsdienstleistungen zurückzugreifen anstatt in Hardware (Kabel, Transformatoren etc.) zu investieren. Verteilnetzbetreiber sollen mehr in OPEX und weniger in CAPEX investieren. Entscheidend dafür ist aber eine vernünftige Anreizregulierung, die offen ist für Innovationen und auch Fehlschläge zulässt und diese nicht einseitig den Verteilnetzbetreibern aufbürdet.
Sehen Sie dabei auch die Tarifstruktur als einen Schwerpunkt?
Verteilnetztarife müssen den Prinzipien der fairen Kostenzuweisung, Transparenz und Nichtdiskriminierung genügen, vor allen im Hinblick auf Verbraucher, die in neue Technologien investieren und am Markt teilnehmen. Investiert z. B. ein Verbraucher in PV oder Speicher und nimmt über Aggregatoren am nationalen oder grenzüberschreitenden Handel teil, muss der Zugang zum Netz unter transparenten und die Kosten reflektierenden Tarifen erfolgen, die ein „level playing field“ garantieren.
Man kann also von einer neuen Rolle der Verteilnetzbetreiber sprechen?
Dies ist durchaus so zu sehen. Neue Rollen ergeben sich für die Verteilnetzbetreiber in Zukunft in den Bereichen Speicher, Elektro-Autos und Datenmanagement. Hierfür werden auch spezifische Rahmenbedingungen im Kommissionsvorschlag gesetzt.
Als einen Ausgangspunkt sehe ich hier das Verständnis der Verteilnetzbetreiber als neutrale Marktorganisatoren. Deshalb sollten die Aktivitäten in den Bereichen Speicher und Ladestationen für Elektro-Autos auch dem Markt und dem dortigen Wettbewerb überlassen bleiben. Verteilnetzbetreiber sollten nur dann und insoweit eigenständige Aktivitäten in diesen Bereichen ausüben, als es für die Sicherheit des Netzbetriebs oder die Unterstützung der Marktentwicklung unbedingt erforderlich ist.
Verteilnetzbetreiber sollten auch grundsätzlich nicht Eigentümer von Speichern und Ladestationen sein, sondern sich diese Leistungen, soweit nötig, über den Markt besorgen. Die nationalen Regulierungsbehörden können hiervon eine Ausnahme im Interesse von Systemsicherheit zulassen, wenn eine Marktabfrage das Fehlen von jeglichem Angebot oder Interesse von Marktteilnehmern ergibt. Die Marktabfrage muss alle fünf Jahre wiederholt werden und falls Marktinteresse vorhanden ist, sind die Ausnahmen unter Wahrung des Investitionsschutzes zu beenden.
Von dieser Regelung bleibt natürlich die Möglichkeit der Verteilnetzbetreiber unberührt, durch eigene, aber getrennt vom Verteilnetzbetrieb eingerichtete Unternehmen am Markt teilzunehmen. Und das Datenmanagement durch die Verteilnetzbetreiber muss transparent und nicht diskriminierend sein; dazu sind nach unserer Auffassung eine Zertifizierung und Compliancekontrollen notwendig.
Wie bewerten Sie den Stand der Einbindung der Verteilnetzbetreiber in das europäische Institutionengeflecht?
Hier hat die Kommission auf Defizite reagiert und schlägt die Schaffung einer neuen EU-Verteilnetzbetreiber-Einheit vor. Denn wir brauchen die Verteilnetzbetreiber-Expertise für die Fortentwicklung des regulatorischen Rahmens auf EU-Ebene. Zugleich benötigen Verteilnetzbetreiber eine starke Stimme in Europa in den Bereichen, die ihre Netze und die Integration der Erneuerbaren betreffen.
Deshalb wurden Aufgabenbereiche formuliert, welche die Koordinierung der Planung und des Betriebs der Verteil- und Übertragungsnetze sowie die Kooperation zwischen Verteilnetz- und Übertragungsnetzbetreiber umfassen. Dazu zählen u.a.
- Integration der Selbsterzeuger
- Nachfragemanagement
- Digitalisierung und Smart Grids
- Datenmanagement, Datenschutz, Cybersecurity
- Entwicklung von Network Codes
und Guidelines.
Problematisch bleibt aber gegenwärtig noch die Repräsentanz. Die Kommission hat allen entflochtenen Verteilnetzbetreibern den Zugang eingeräumt; dies sind aber nur 11 % aller Verteilnetzbetreiber in der EU, die allerdings 80 % aller Verbraucher erfassen. Gleichwohl braucht es für eine akzeptable Repräsentanz noch eines Korrektivs, das den Mindestzugang vor allem kleinerer Verteilnetzbetreiber ermöglicht.