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21.12.2022 12:47 Alter: 2 yrs

Energiekrise sorgt für Engpässe in Klärwerken

Die Energiekrise trifft immer mehr Bereiche - darunter auch die Klärwerke in Deutschland. Um Abwasser zu reinigen, brauchen sie bestimmte Chemikalien. Aufgrund hoher Energiekosten produzieren viele Hersteller kaum noch Salzsäure, ein Grundprodukt für die Herstellung von Fällmitteln. Jörg Schulze, Geschäftsführer SWH.Hallesche Wasser und Stadtwirtschaft GmbH, einem kommunalen Unternehmen und verantwortlich für die Stadt Halle (Saale) in Sachsen/ Anhalt mit rd. 241.000 Einwohnern im Gespräch mit THEMEN!magazin.


Jörg Schulze, Geschäftsführer Hallesche Wasser und Stadtwirtschaft Foto: HWS

„Die Folgen einer weiteren Lieferunterbrechung mit Fällmitteln sind absehbar. Wir können als Betreiber der Kläranlagen nicht mehr genügend Phosphate aus dem Abwasser entfernen und sind gezwungen Abwässer mit erhöhtem Phosphatgehalt in die Gewässereinzuleiten und damit Grenzwerte zu überschreiten.“ Jörg Schulze

Herr Schulze, können Sie die vorgegebenen Umweltgrenzwerte noch einhalten?

Wir betreiben in der Stadt Halle eine Kläranlage mit einer Kapazität von 340.000 Einwohnerwerten. Für das Gebiet des AZV Elster-Kabelsketal betreiben wir zwei Kläranlagen mit einer Größenordnung von 6.500 bzw. 10.000 Einwohnerwerten. Wir halten noch alle Parameter ein. Haben aber, wie andere Kläranlagen auch, extreme Beschaffungsprobleme bei Fällmitteln.

Laut EU-Umweltrecht müssen wir als Betreiber von Kläranlagen vorgegebene Grenzwerte einhalten. Die mit der größten Relevanz sind wie folgt festgelegt: anorganischer Stickstoff (Nges.) 13 mg/l, Ammonium (NH4+) 10 mg/l und Phosphor (Pges.) 1,0 mg/l.

Seit Monaten verzeichnen wir einen Rückgang der Belieferung mit wichtigen Fällmitteln, wie Eisensalzen. Damit ist die Einhaltung der uns gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Phosphor mehr oder weniger in Frage gestellt. Denn die als Fällmittel bezeichneten Eisen- oder Aluminiumsalze binden bei der chemischen Wasserreinigung im Abwasser gelöste Phosphate und sorgen dafür, dass sich diese mit dem Klärschlamm vermischen, der nicht wieder ins Gewässer eingeleitet wird. Diese Salze fallen normalerweise als Nebenprodukt bei der Herstellung von Salzsäure (als Eisen-II/III-chlorid) oder Titandioxid (Eisen-II-Sulfat) an. Diese Produktion wiederum stockt seit Wochen.

Welche Gründe gibt es für die Engpässe?

Hier werden zwei Gründe angeführt: Erstens ist die Produktion von Salzsäure energieintensiv und damit in Zeiten hoher Strom- und Gaspreise sehr teuer. Zweitens sinkt die Nachfrage nach Produkten, für deren Herstellung Titandioxid normalerweise gebraucht wird. Das sind zum Beispiel Farben und Lacke. Darüber hinaus hat die chemische Industrie auf Grund hoher Energiepreise die Produktionskapazität reduziert.

Für die Einhaltung der umweltrechtlichen Vorgaben benötigen wir für unsere Kläranlage im Jahr von den aufgeführten Chemikalien einen durchschnittlichen Einsatz von: 500 T Grünsalz (Eisen-II-Sulfat). Diese Produkte beziehen wir von mehr als drei Unternehmen, was zugleich die aktuelle Problemlage unterstreicht. Denn die Hersteller sind unterschiedlich in ihren Prozessketten durch hohe Energiepreise belastet bzw. vielfach handelt es sich um Nebenprodukte. Damit besteht eher die Gefahr, dass solche Produkte aussortiert werden.

Warum sind Fällmittel notwendig für Klärwerke?

Kläranlagen brauchen Fällmittel, um Abwasser von Phosphaten zu reinigen. Bei der chemischen Reinigung des Wassers in den Klärwerken lösen sich Phosphate. Würden diese Phosphate nach der Reinigung wieder zurück in den Wasserkreislauf geraten, könnten sie in Seen und Flüssen als Nährstoffe für Pflanzen agieren und deren Wachstum anregen. Die Folge wäre eine sogenannte Eutrophierung.

Eutrophierung hat zahlreiche ökologische und ökonomische Auswirkungen, zum Beispiel könnten großflächig Algenblüten auftreten, die zum Teil Giftstoffe produzieren und so die Wasserqualität verschlechtern. Kippen Gewässer aufgrund zu geringen Sauerstoffgehalts um, dann werden Lebewesen sterben. Gelangen zu viele Phosphate ins Meer, können dort Algenteppiche entstehen, die zusätzlich das Sonnenlicht blockieren und so anderen Lebewesen schaden.

Manche Bundesländer erlauben jetzt höhere Grenzwerte, löst das die Probleme?

Es reflektiert die Lage und passt diesen Teil des rechtlichen Rahmens an, löst das Problem aber natürlich nicht. Die norddeutschen Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern sowie Nordrhein-Westfalen haben bereits entsprechende Erlasse an die zuständigen Wasserbehörden geschickt. In Thüringen hat das Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz als Obere Wasserbehörde auf Veranlassung des Umweltministeriums gegenüber den Landkreisen Regelungen getroffen, die inhaltlich etwa mit denen in Schleswig-Holstein bzw. Niedersachsen vergleichbar sind.

Im Ministerium für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt sind erste Meldungen eingegangen, in denen Kläranlagenbetreiber berichten, dass sie nur noch über einen sehr begrenzten Vorrat an Fällmitteln verfügen. Aus diesem Grund wurde durch das Ministerium ein Erlass herausgegeben, in dessen Rahmen erhöhte Phosphor-Eintragungen im unbedingt erforderlichen Umfang und für die unbedingt erforderliche Zeit geduldet werden.

Dies ist eine pragmatische und zugleich dringend notwendige Maßnahme. Gleichzeitig ist aber auch der Bund gefordert, bundeseinheitliche Regelungen für die Krise zu initiieren, damit erhöhte Abwassergebühren verhindert werden.

Foto: HWS

Die Kläranlage in Halle-Nord ist eine der modernsten biologischen Großkläranlagen ihrer Art. Bis zu 75.000 m³ Abwasser kann die voll ausgelastete Anlage am Tag reinigen.

Wie reagiert ihr Unternehmen auf die Mangellage?

Wir betreiben 1. sehr intensiv Marktakquise, um die notwendigen Fällmittel zu beschaffen. Im Rahmen der Möglichkeiten versuchen wir bei Vorhandensein auch Mehrmengen zu binden. Wir reduzieren 2. die eingesetzten Mengen an Fällmitteln und fahren die Anlagen mit niedrigeren Sicherheitspuffer als sonst üblich und weichen, wenn möglich auch auf Substitute aus, wenn sie verfügbar sind. So haben wir Grünsalz, welches nicht erhältlich ist, durch Aluminiumsulfat ersetzt. Das ist nicht nur eine Herausforderung für den Prozess, sondern auch eine Kostensteigerung um 350 Prozent.

Können höhere Grenzwerte zu einer erhöhten Abwassergebühr führen?

Wegen der gegenwärtigen Ausnahmesituation können die Klärwerke die Einhaltung der Überwachungswerte für Phosphor nicht garantieren. Der Anteil von Phosphor im Wasser ist eine wichtige Kenngröße und wird durch entsprechende Grenzwerte reguliert. Die Höhe der Grenzwerte ist von der jeweiligen Größenordnung der Kläranlage abhängig. Wir müssen bei unserer KlärWelche Chemikalien werden in kommunalen Kläranlagen am häufigsten eingesetzt? - Metallsalze (anorganische Fällmittel: Al- und Fe-Salze), - Polymere (organische Polymere als Flockungs- und Flockungshilfsmittel), - Kalkprodukte [CaO oder Ca(OH)2 ] als Zuschlagstoff in Schlamm bzw. Abwasser, - C-Quellen (Methanol, Ethanol, Essigsäure, Glycerin, Zuckerlösung und Zubereitungen), - Salzsäure (Reinigungsmittel für Kammerfilterpressen), - Bleichlauge (Reinigungsmittel auf Basis NaClO für Membranen). [HWS] anlage einen Grenzwert von maximal 1,0 mg/l einhalten, der Wert kann aber für eine Kläranlage beispielsweise in einer anderen Stadt niedriger erklärt werden und 0,8.mg/l betragen.

Für die Einleitung unter anderem von Phosphor-Verbindungen bezahlen wir als Abwasserentsorger eine Abwasserabgabe an den Staat. Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass möglichst wenig eingeleitet wird, unabhängig von den Grenzwertvorgaben. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie die, von den Kläranlagenbetreibern nicht verursachten möglichen Überschreitungen der Grenzwerte, die aus der Wirtschaftslage resultieren, auch bei der Abwasserabgabe berücksichtigen und diese für den Zeitraum durch klare rechtliche Handlungen aussetzt.

Kann der Fällmittel-Mangel im Frühjahr zum Problem werden?

Da müsste man vorausschauen können. Realität ist, dass im September bereits jede vierte Kläranlage Ausfälle bei den Lieferungen der Fällmittel gemeldet hat. Nach einer Umfrage der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) hat rund jede zweite Kläranlage für den Monat Oktober Probleme angezeigt. Lieferprobleme bedeuten nicht sofort, dass keine Fällmittel mehr vorhanden sind. Üblicherweise haben Kläranlagen einen Vorrat, der für mehrere Wochen oder Monate reicht. Aber die Lieferzeiten sind jetzt schon hoch und nach Information durch unsere Lieferanten wird dies auch noch prekärer. Und auf dem Spotmarkt wird momentan das bis zu 20/30-fache für Salzsäure gezahlt. Diese Knappheit und diese Preisexplosion werden ja zum Jahresende nicht beseitigt sein. Also steht uns ein problemgeladenes Frühjahr bevor.

Entspannung ist nicht in Sicht ...

Es ist ein Spagat. Behörden haben darauf zu achten, dass Kläranlagen nicht zu viele Phosphate aus den Kläranlagen in Flüsse einzuleiten. Fraglich bleibt, wie lange Umweltministerien in den Bundesländern per Erlass die Grenzwerte für Phosphate kurzfristig erhöht belassen. Die Kläranlagen müssen in den meisten Fällen aber genau nachweisen, dass die höhere Konzentration unbedingt erforderlich ist. Im Winter sind höhere PhosphatKonzentrationen in Flüssen möglich, weil Algen in der kalten Jahreszeit sowieso kaum wachsen. Problematisch kann es werden, wenn die Notlage auch im kommenden Frühjahr oder gar Sommer noch anhält.

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Welche Chemikalien werden in kommunalen Kläranlagen am häufigsten eingesetzt?

- Metallsalze (anorganische Fällmittel: Al- und Fe-Salze),

- Polymere (organische Polymere als Flockungs- und Flockungshilfsmittel),

- Kalkprodukte [CaO oder Ca(OH)2 ] als Zuschlagstoff in Schlamm bzw. Abwasser,

- C-Quellen (Methanol, Ethanol, Essigsäure, Glycerin, Zuckerlösung und Zubereitungen),

- Salzsäure (Reinigungsmittel für Kammerfilterpressen),

- Bleichlauge (Reinigungsmittel auf Basis NaClO für Membranen).