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Energie- und Regulierungswende Hand in Hand
„Aktuelle EnWG-Novelle springt zu kurz“
Was darf wer in Deutschland nach dem EuGH-Entscheid in Sachen Regulierung? Die 17. BBH-Regulierungskonferenz versuchte darauf Antworten zu geben. Mit Blick auf die Diskussion zum Spannungsfeld Energie- und Regulierungswende freuen wir uns über den Gastbeitrag von Prof. Dr. Christian Theobald, Rechtsanwalt und Partner bei BBH.
Infrastrukturen müssen gestärkt werden, damit die Umsetzung der Energie- und Klimawende gelingt und die Wirtschaft in guten Rahmenbedingungen arbeiten kann. Fast auf den Tag genau vor 25 Jahren ist mit dem damals neu in Kraft getretenen EnWG die Liberalisierung des deutschen Strommarktes eingeläutet worden. Das Mittel der Wahl war seinerseits der „verhandelte Netzzugang“, d.h. das „ob“, das „wie“ und das „wie teuer“ der damals sogenannten Durchleitung sollte, so jedenfalls die Vorstellung des Gesetzgebers, zwischen den Marktteilnehmern selbst verhandelt werden. Dieser Versuch mittels Selbstregulierung der natürlichen Monopole Strom- und Gasnetze war letztlich zum Scheitern verurteilt. Der Liberalisierung zum Durchbruch verhalf sieben Jahre später die gesetzgeberische Neuordnung zugunsten eines normativ-administrativen Regulierungssystems; eine Kombination aus Eckpunkten des Netzzugangs und der Netzentgelte bzw. Erlösobergrenzen durch den Gesetz- und Verordnungsgeber, einer Feinjustierung der vertraglichen bzw. betriebs- und energiewirtschaftlichen Kriterien mittels Festlegungen bzw. der konkreten Anwendung auf die einzelnen Netzbetreiber administrierend jeweils durch die Bundesnetzagentur bzw. Landesregulierungsbehörden (Allgemeinverfügung bzw. ex-ante-Genehmigungen).
Deutsches Erfolgsmodell
Die Ergebnisse der administrierenden Regulierung als Verwaltungsakte sind seit 2005 zugleich gerichtlich überprüfbar. Abweichend von der Regulierung der Post und Telekommunikationsmärkte sind für die gerichtliche Kontrolle von Regulierungsentscheidungen bezogen auf Strom- und Gasnetze nicht die Verwaltungsgerichte, sondern bemerkenswerterweise die ordentlichen Gerichte zuständig. Dass ausgerechnet dieses deutsche Erfolgsmodell der normativ-administrierenden Regulierung im September 2021 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) als europarechtswidrig wegen Verstoßes gegen die Vorgaben der Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur kassiert wurde, ist gewissermaßen ein Treppenwitz der jüngeren Geschichte der leitungsgebundenen Energiewirtschaft.
Wird der Gesetzgeber ausgehebelt?
Der nunmehr vorliegende Referentenentwurf zur Umsetzung der EuGH-Entscheidung droht das über Jahre hinweg sorgfältig austarierte Verhältnis zwischen Legislative, Exekutive und Indikative in Deutschland auszuhebeln. Aufgaben und Funktionen des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers soll künftig weitestgehend die Bundesnetzagentur als Teil der Exekutive übernehmen. Über sogenannte Festlegungen würde sie sich künftig die Regeln selbst setzen, die sie später bei Regulierungsentscheidungen im Einzelfall umsetzt. Gewissermaßen Legislative und Exekutive in Personalunion. Bei einer anschließenden Kontrolle durch die Judikative werden sich die Gerichte fragen, an welchem Maßstab sie die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidungen der Bundesnetzagentur zu überprüfen haben. Die typische Kontrolle anhand der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, Gesetz und Verordnung, würde jedenfalls weitgehend leerlaufen. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der bisher keine Beachtung fand: Regulierung und Unbundling, diese beiden Schwestern im Geiste, korrelieren mit dem Zugang zum natürlichen Monopol der Netze; nur darauf zielten von Anfang an die beiden europäischen Binnenmarktrichtlinien 1996/1997 ab. Die Energiewende und die dafür nötige Sektorenkopplung machen aber nunmehr eine ganzheitliche Betrachtung über alle Wertschöpfungsstufen notwendig. Ein überspanntes Verständnis von Regulierung über die Netze hinaus wäre gar nicht vom europäischen Recht legitimiert und kann sich dann schnell als neues Hindernis darstellen.
Flucht aus der Verantwortung?
Aktuell scheint sich die Politik hinter der EuGH-Entscheidung zu verstecken und aus der Verantwortung zu stehlen, wenn künftig wichtige gesellschaftliche und hochpolitische Entscheidungen zur Energiewende von einer Behörde getroffen werden sollen. Es darf aber gerade keine Verschiebung im verfassungsrechtlich garantierten und sorgfältig austarierten Gewaltenteilungssystem zu Lasten von Legislative und Judikative eintreten. Ferner ist Regulierung im Sinne staatlicher Steuerung der natürlichen Monopole Netze im Interesse einer ganzheitlichen Energie-, Wärme- und Verkehrswende auf das notwendige Maß zurückzuführen. Eine „Energie- und Regulierungswende Hand in Hand“ ist vielmehr das Gebot der Stunde.
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