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Energie für Deutschland 2023 - Schwerpunkt Wasserstoff
„Wasserstoff (H2) ist ein Schlüsselelement für das Erreichen von Klimaneutralität in Deutschland und Europa. Für einen schnellen Markthochlauf ist der Auf- und Ausbau der notwendigen H2 -Infrastruktur zentral.”
Mit der „Energie für Deutschland“ informiert der Weltenergierat – Deutschland jährlich über aktuelle und relevante Energiefragen in der Welt, in Europa und in Deutschland. Vorgestellt werden Fakten, Perspektiven und Positionen zur Energieversorgung im nationalen und internationalen Kontext. Das Schwerpunktkapitel der Ausgabe 2023 ist die „Neuausrichtung der Gas- und Wasserstoff-Infrastruktur in Nordwesteuropa“. Zu den Kernaussagen sprach THEMEN!magazin mit Dr. Uwe Franke, Präsident des Weltenergierat – Deutschland.
Herr Dr. Franke, warum steht die Gas- und Wasserstoff-Infrastruktur in Nordwesteuropa als Schwerpunktthema?
Wasserstoff (H2 ) spielt in Nordwesteuropa (BeneluxStaaten und Deutschland) eine wichtige Rolle: Bereits jetzt ist die Region einer der weltweit größten Verbraucher von Wasserstoff. Perspektivisch wird dessen Nutzung in den nächsten Jahren noch deutlich wachsen, da er als Schlüsselelement zum Erreichen von Klimaneutralität gilt. Die benötigte Infrastruktur für Wasserstoff ist jedoch sehr komplex, weil sie an allen Stufen der Wertschöpfungskette ansetzt: Von der Produktion bzw. dem Import über den Transport, die Speicherung bis hin zur Nutzung. Nordwesteuropa (NWE) steht gleichzeitig nicht allein in der Welt: Die Konkurrenz im Wasserstoffbereich, u.a. aus Asien ist groß. Darauf gilt es, zu reagieren. Bereits jetzt ist Nordwesteuropa einer der weltweit größten H2 -Verbraucher und zudem potenziell eine Region, in der erhebliche Mengen an Wasserstoff erzeugt werden können. Dies setzt allerdings die entsprechende Infrastruktur für die Produktion, den Transport, die Speicherung sowie den Import von H2 voraus. Das Schwerpunktkapitel der „Energie für Deutschland 2023“ beleuchtet deshalb die gegenwärtige Nutzung von H2 in NWE sowie die aktuellen und geplanten Strukturen der einzelnen Stufen der Wertschöpfungskette. Hinzukommend werden der zukünftige Wasserstoffbedarf in NWE prognostiziert und Empfehlungen für den Aufbau eines konkurrenzfähigen Marktes, insbesondere gegenüber Asien, abgeleitet.
Grundlage für Wasserstoff sind Erneuerbare Energien, wie zeigt sich hier die Entwicklung?
Der weltweite Ausbau erneuerbarer Energien (EE) nahm – allen Krisen zum Trotz – in den letzten Jahren weiter stetig zu. Erneuerbare sind aufgrund ihrer Kostenreduktion gegenüber konventioneller Erzeugung zunehmend attraktiv geworden. Auch durch technologische Innovationen und zunehmende Akzeptanz erfahren sie einen immensen Kapazitätszuwachs. Mit ca. 80 % des globalen Zubaus sind sie deutlich dominant gegenüber konventionellen Erzeugungsarten. Derzeit sind weltweit über 3.000 Gigawatt (GW) an Erneuerbaren installiert, mit einem jährlichen Zuwachs von ca. 300 GW. Betrachten wir den weltweiten LNG-Markt, so ist der weltweite Handel mit Flüssigerdgas (LNG) dank hoher Investitionen in die Infrastruktur in den vergangenen 10 Jahren um 57 % auf über 500 Mrd. m3 Gas p. a. gewachsen. Nach dem plötzlichen Lieferausfall großer Mengen russischen Pipeline-Gases hat Europa seine LNG-Importe 2022 um 60 Mrd. m³ erhöht. LNG wurde zu einem äußerst knappen Gut. Mittels schwimmender Terminals wurde und wird in Deutschland und der Europäischen Union (EU) die Importkapazität schnell erhöht. Allerdings zeigt sich der Abschluss von Lieferverträgen als eine größere Herausforderung.
Wie spiegelt sich die Energiesituation in der Europäischen Union?
2022 war ein Jahr der multiplen Krisen für den Energieund Stromsektor der EU. Die hohen Gaspreise übertrugen sich auf den Strommarkt und führten auch dort zu so nie dagewesenen Preisausschlägen in vielen Mitgliedstaaten. Zeitgleich wurde der Stromsektor von historisch niedrigen Erzeugungsmengen aus Kern- und Wasserkraft auf eine zusätzliche Belastungsprobe gestellt. Die resultierende Erzeugungslücke musste teilweise durch Kohlekraftwerke geschlossen werden. Gleichzeitig war 2022 auch ein Rekordjahr in Bezug auf die Produktion von Wind- und Solarstrom, deren Anteil an der Bruttostromerzeugung erstmals über demjenigen von Erdgas lag. Als Reaktion auf die Energiekrise und die zeitweise sehr hohen Energiepreise in Europa reagierten die politischen Verantwortlichen mit unterschiedlichen Marktinterventionen. Diese Notfallmaßnahmen sollten einerseits der Verbesserung der Versorgungssituation und andererseits dem Schutz der Verbraucher vor den Auswirkungen hoher Energiepreise dienen. Unter dem Eindruck der Energiekrise entwickelte sich auf EUEbene zudem nach und nach eine Debatte über strukturelle Reformen des Strommarktdesigns.
Ohne Investitionen geht es nicht. Gibt es eine Reaktion auf den US Inflation Reduction Act (IRA)?
Um im Wettbewerb mit den USA und China um die Ansiedlung von Produktionsstätten nicht ins Hintertreffen zu geraten, hat die EU-Kommission am 01. Februar 2023 einen Green Deal Industrial Plan vorgelegt. Dabei wird kurzfristig vor allem auf eine Aufweichung der EUBeihilferegeln gesetzt, um Steuernachlässe analog dem IRA gewähren zu können. Hierfür soll den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, noch verbliebene Mittel aus dem COVID-19-Aufbaufonds einzusetzen. Um einer Verzerrung im Standortwettbewerb entgegenzuwirken, sollen Unternehmen, denen Subventionen für Investitionen in Drittländern in Aussicht gestellt werden, vom jeweiligen EU-Staat Mittel in derselben Höhe bekommen können. Mitte März 2023 hat die EU-Kommission eine Gesetzgebung für die Förderung von Clean Energy-Technologien vorgeschlagen (Net Zero Industry Act), die konkrete Ziele für Technologien wie Photovoltaik und Batterien setzt. Zusätzlich sieht ein Verordnungsvorschlag für kritische Rohstoffe, wie Kobalt, Kupfer oder Seltene Erden, für 2030 konkrete Zielwerte für die Förderung, Verarbeitung und das Recycling vor.
Welche Kernaussagen trifft der Report zum Energiemarkt Deutschland?
2022 stellte für den deutschen Energiemarkt ein herausforderndes Jahr dar. Die Energiepreise stiegen, u. a. infolge des Russland-Ukraine-Kriegs, auf ein nie dagewesenes Niveau. Der Aspekt der Energieversorgungssicherheit, der in den letzten Jahren vernachlässigt worden war, rückte verstärkt in den Fokus der Energiedebatte. Dieser Entwicklung wurde durch eine stärkere Diversifizierung der Energielieferanten, den Bau von LNG-Terminals sowie beschleunigte Genehmigungsverfahren im Energiebereich Rechnung getragen. Der Energieverbrauch in Deutschland hat sich 2022 um 5,4 % im Vergleich zum Vorjahr auf 401,6 Mio. t Steinkohleeinheiten (SKE) verringert und erreichte den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. So betrug der Primärenergieverbrauch an Erdgas 2022 (2021) rund 773,0 (917,4) TWh. In allen Verbrauchssektoren, außer dem Verkehrssektor, wurden 2022 Rückgänge verzeichnet. Im weltweiten Durchschnitt war der Energieverbrauch 2022 – gemessen an der Wirtschaftsleistung – doppelt so hoch wie in Deutschland. Haupttreiber dieser Entwicklung waren der Anstieg der Energiepreise, die Invasion Russlands in die Ukraine und die witterungsbedingt gesunkene Heizenergie-Nachfrage. Deutschland verzeichnet einen großen Anteil von Erneuerbaren an der Stromerzeugung. Die EE-Stromerzeugung nahm 2022 um 8,3 % gegenüber 2021 zu. Windenergie (125,3 TWh), gefolgt von Photovoltaik (60.8 TWh) und Biomasse (44,6 TWh) machten den größten Teil an der EE-Bruttostromerzeugung aus. Ende 2022 entfielen auf Windanlagen 45 % der insgesamt in Deutschland auf Basis erneuerbarer Energien installierten Stromerzeugungskapazität.
Werfen wir noch einen Blick auf die Stromerzeugung ...
2022 betrug die gesamte Brutto-Stromerzeugung 577,3 Terawattstunden (TWh). Erneuerbare machten mit 44 % den größten Anteil am Strommix aus, gefolgt von Braunkohle und Steinkohle. Der Nettoverbrauch an Strom von 483,4 TWh (ohne Netzverluste, Pumparbeit und Kraftwerkseigenverbrauch) verteilte sich 2022 mit 39 % auf die Industrie, mit 29 % auf private Haushalte, mit 27,6 % auf Handel, Gewerbe und Dienstleistungen. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich der Netto-Stromverbrauch um 4,2 % verringert.
Und wie steht es um Energieimporte?
Wir erleben weiter eine hohe Abhängigkeit von Energieimporten, denn Deutschlands eigene Energiereserven sind gering. Der Anteil der Importe an der Deckung des Primärenergiebedarfs betrug 2022 bei Mineralöl 98 %, bei Erdgas 95 % und bei Steinkohle 100 %. Importierte Energien deckten 69 % des Energieverbrauchs. Im Jahr 2021 wurden in Deutschland 5,7 Mrd. m3 Erdgas gefördert, was rund 6 % des inländischen Jahresverbrauchs entspricht. Die Importe an Rohöl und Mineralölprodukten sind hinsichtlich der Menge unter allen Energieträgern am höchsten – gefolgt von Erdgas und Steinkohle. Die bedeutendsten Energie-Rohstofflieferanten der Bundesrepublik Deutschland waren 2022 Russland, Norwegen und die USA.
Das Schwerpunktkapitel der „Energie für Deutschland 2023“ wurde unter Leitung von Prof. Dr. Stefan Ulreich, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule Biberach, erarbeitet.
Die „Energie für Deutschland 2023“ kann kostenfrei heruntergeladen werden unter: https://www.weltenergierat. de/publikationen/energiefuer-deutschland/
Warum kann sich Nordwesteuropa als globaler Wasserstoff-Hub und Leitmarkt für Wasserstoffanwendungen entwickeln?
Nordwesteuropa hat sich ambitionierte Klimaziele gesetzt: Deutschland plant bis 2045 klimaneutral zu werden, Belgien und Luxemburg bis 2050 und die Niederlande wollen ihre Emissionen bis 2050 um 95 % reduzieren. Ohne Wasserstoff und/oder seine Derivate könnten diese Ziele nicht erreicht werden. Kaum eine Region der Welt ist so stark industriell und infrastrukturell miteinander verflochten wie Nordwesteuropa. Sie hat damit unter anderem das Potenzial, sich zur Keimzelle für ein europäisches H2 -Netz zu entwickeln. Die Pläne der deutschen Bundesregierung zum Aufbau eines deutschen H2 -Kernnetzes bis 2032 sind hier bereits ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es gilt, nun schnell Synergien zu nutzen und durch ein gemeinsames Vorgehen der vier Länder die immensen Investitionskosten für den Aufbau der notwendigen H2 - Infrastruktur zu teilen.
Herr Dr. Franke, wir bedanken uns für das Gespräch.