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Energie für Deutschland 2018
„Klimaschutz im Straßenverkehr“ ist das Schwerpunktthema der jährlichen Fachpublikation des Weltenergierats, der „Energie für Deutschland“. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Wirtschaft Köln e. V. wurde eine detaillierte Analyse der aktuellen Situation des globalen Verkehrssystems erstellt, die zukünftige Herausforderungen identifiziert und mögliche Maßnahmen adressiert.
In einem Interview für THEMEN|:magazin benennt Dr. Uwe Franke, Präsident Weltenergierat - Deutschland, Kernaussagen dieser aktuellen Einschätzung.
Foto: Florian Weisker
Über den eigenen Teller- beziehungsweise den eigenen Sektorenrand schaut der Weltenergierat – Deutschland in der diesjährigen Ausgabe der „Energie für Deutschland“. Mit „Klimaschutz im Straßenverkehr“ beleuchtet der Weltenergierat den bisherigen Beitrag im Verkehrssektor zum Klimaschutz und plädiert für eine klimapolitische Neuorientierung.
Herr Dr. Franke, warum gehört der Verkehrssektor in die klimapolitische Debatte?
Der Verkehrssektor ist für rund ein Viertel der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Agenda nach 1990 bedingte eine Zunahme des Verkehrs, was dazu führte, dass die CO2- Emissionen des Straßenverkehrs zwischen 1990 bis 2015 global um etwa 75 % anstiegen. Ca. 95 % der Emissionen des EU-28 Transportsektors resultieren aus dem Straßenverkehr – und seine Emissionen steigen derzeit wieder. In der EU war vor allem die Implementierung des Binnenmarktes Treiber der Mobilität und hauptverantwortlich für den Emissionsanstieg. Zusätzlich fand nach dem Mauerfall 1990 in Osteuropa ein signifikantes Aufholen der Teilhabe an Verkehrsleistungen statt. Im Jahr 2015 hatten allein Pkw in der EU-28 einen Anteil von gut 61 % an den Emissionen des Straßenverkehrs. (Vgl. Abb.1)
Vor welchen Herausforderungen steht der Verkehrssektor in der Zukunft?
Das Pariser Klimaabkommen hat das Ziel, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C zu begrenzen. Dies ist nur erreichbar durch eine globale Reduktion der Treibhausgasemissionen, bei der alle Länder und alle Sektoren ihren Beitrag leisten. Ein CO2-Reduktionsziel von 80 % oder sogar 95 % bis zum Jahr 2050 würde bedeuten, dass außer der Landwirtschaft praktisch alle anderen Sektoren bis zu 100 % frei von CO2-Emissionen werden müssten. Der Straßenverkehr ist deshalb gefordert, seine Emissionen ganz erheblich zu senken, und hierfür ist die Sektorenkopplung die wohl wichtigste Maßnahme. Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, die Emissionen zu senken. Das heißt, Hybride, Plug-in Hybride, Batterie, Wasserstoff, Erdgas, LNG by Trucks, und ganz besonders E-Fuels. Ferner alle Effizienzreduzierungsmöglichkeiten bei Verbrennungsmotoren.
Was bedeutet die Sektorenkopplung für den Verkehrssektor?
Der Verkehrssektor steht vor einem Paradigmenwechsel: die Verbrennung fossiler Kraft- und Brennstoffe wird langfristig durch eine weitgehend CO2-freie Energieversorgung abgelöst. Die Sektorenkopplung von Energie und Verkehr verbindet die einzelnen Sektoren auf Basis des Primärenergieträgers Strom.
Grundlegende Voraussetzungen hierfür sind:
• die frühzeitige Entwicklung der nötigen Versorgungsinfrastruktur für den Verkehr und die Schnittstelleninfrastruktur hin zum Stromsektor,
• ein technologieoffener Regulierungs- rahmen mit übergreifenden Instrumenten,
• ein übergeordneter Koordinations- mechanismus für die Begrenzung der CO2-Emissionen, also konsistente CO2-Preissignale in allen Sektoren.
Wie bewerten Sie die integrative Rolle von Strom?
Durch die Sektorenkopplung wird die Nachfrage nach regenerativem Strom gemäß aller Prognosen stark ansteigen. Strom wird die Energieversorgung des Straßenverkehrs direkt durch Batterien als auch indirekt durch die sogenannten E-Fuels gewährleisten. E-Fuels sind gasförmige oder flüssige Kraftstoffe, welche unter Nutzung von Strom hergestellt werden. Jede stoffliche Umwandlung erfordert allerdings den Einsatz von Energie und geht mit Umwandlungsverlusten einher. Die E-Fuels können eine wichtige Rolle für die Energieversorgung des Verkehrs spielen, da der heutige Stand der Technik nicht absehen lässt, ob Batterien die volumen- und gewichtsspezifischen Energiedichten erreichen, die gerade im Gütertransport oder im Luftverkehr notwendig sind.
Viele Regierungen versuchen diesen Transformationsprozess durch Fördermaßnahmen zu beschleunigen, wobei sich im globalen Vergleich die Förderungen in Norwegen und China als besonders hoch erweisen. China hat sich durch starke industriepolitische Förderung zum größten Absatzmarkt für Elektrofahrzeuge entwickelt, gefolgt von der EU-28 sowie, mit Abstand, den USA. Es ist zu erwarten, dass Elektroautos im nächsten Jahrzehnt auch ohne Förderung marktfähig werden. Gemessen am Gesamtfahrzeugbestand werden sie ihren Anteil aber insgesamt nur langsam steigern.
Haben wir die richtigen Instrumente zur Förderung dieses Transformationsprozesses?
Aktuell lässt die Regulierung leider wichtige Faktoren außer Acht. Herstellergrenzwerte und hohe Kraftstoffsteuern verfehlen bisher ihre Steuerungswirkung, um die Elektrifizierung des Verkehrssektors zu stärken. Die Herstellergrenzwerte setzen bei einem theoretisch bemessenen Emissionspotenzial eines kleinen Teils der Fahrzeugflotte an. Faktoren wie der Infrastrukturbestand, Staus und auch die zurückgelegten Fahrstrecken wurden bisher weitgehend nicht beachtet.
Bislang konnten die teilweise hohen Mineralölsteuern keine signifikante Steuerungswirkung entfalten. So verursacht die Verbrennung von einem Liter Diesel 2,64 kg CO2, bei Benzin entstehen 2,33 kg CO2 pro Liter. Legt man die gewichtete europäische Besteuerung von Kraftstoffen an, die sich laut EU-Kommission im März 2018 auf 71,8 Cent je Liter Diesel und 85,6 Cent je Liter Benzin belief, so errechnet sich in der EU-28 eine implizite CO2- Besteuerung von etwa 368 Euro pro Tonne bei Benzin beziehungsweise 272 Euro bei Diesel.
Die EU-28 übt in Form von Grenzwerten und Steuersätzen deutlich mehr Druck auf den Straßenverkehr aus als China, die USA oder der Rest der Welt. Die Mineralölsteuern in China liegen seit Januar 2015 bei etwa 19 Cent pro Liter. Damit bewegen sie sich auf dem USNiveau, welches seit 1993 unverändert geblieben ist. Der implizite CO2-Preis der Mineralölbesteuerung liegt in den USA und China bei etwas mehr als 80 Euro pro Tonne CO2. Die Verwendung CO2-neutraler E-Fuels wird vom Regulierungssystem des Verkehrs bisher nicht als Beitrag zum Klimaschutz honoriert.
Auch die Sektorenkopplung fehlt derzeit. Bislang ist die Regelung für den Einsatz von Strom im Verkehrssektor sehr einfach: Alle CO2-Emissionen werden dem Stromsektor zugeschlagen. Für den Verkehr gilt ein strombetriebenes Fahrzeug als Null-Emissions- Fahrzeug. Ein integrierter Ansatz, der möglichst alle emissionsrelevanten Faktoren in ein stimmiges Gesamtkonzept einbettet, könnte die Steuerungswirkung erhöhen. Der Aspekt der Planbarkeit sollte bei allen Maßnahmen im Vordergrund stehen, um langfristige Investitionsentscheidungen der Wirtschaft und der Konsumenten zu steuern. So ist Mobilität für die Bürger unverzichtbar, um die verschiedenen Aspekte ihres Lebens zu vernetzen. Der Verkehr ist daher stets eine aus diversen individuellen Entscheidungen abgeleitete Größe. Verhaltensänderungen lassen sich oft nur mittel- bis langfristig herbeiführen.
Welche regionalen Unterschiede gibt es bei der Regulierung?
Die Europäer sind bisher am progressivsten. Das zentrale Klimaschutzinstrument der EU im Straßenverkehr sieht vor, ab 2021 den durchschnittlichen CO2-Ausstoß aller neu zugelassenen Pkw in der EU auf 95 g CO2/km zu begrenzen. Für das Jahr 2015 war ein Wert von 130 g CO2/km vorgegeben, und dieser wurde mit einem Durchschnittswert von 119,5 g CO2/km deutlich unterschritten. Für die Zeit nach 2021 ist derzeit vorgesehen, die Emissionen der neuzugelassenen Pkw bis 2025 um weitere 15 % beziehungsweise bis 2030 um 30 % zu reduzieren. Die Grenzwerte der EU-28 für die nächste Dekade liegen damit deutlich unter den Vergleichswerten aus den USA, China oder Japan. (Vgl. Abb. 3)
Welche globalen Trends lassen sich beobachten?
Nach wie vor gibt es zwei gegenläufige Trends zu beobachten. Einerseits nimmt durch technischen Fortschritt die Effizienz der Fahrzeuge zu, andererseits ist die Tendenz zu höheren Verkehrsleistungen ungebrochen. So stoßen die Hersteller bei der Effizienzsteigerung der Verbrennungsmotoren langsam an physikalische Grenzen und sind daher schon jetzt gezwungen, alternative Antriebskonzepte zu entwickeln und marktfähig zu machen. Neben den verschiedenen Formen der Elektrifizierung des Antriebsstranges, wie Plug-In- Hybriden oder vollständig batteriebetriebenen Fahrzeugen, sind hier erdgasbetriebene Antriebe und die Brennstoffzelle zu nennen.
Im Pkw- Bereich heben die Autokäufer mit dem Trend zu großen Fahrzeugen wie SUV die Effizienzgewinne wieder auf. Technischer Fortschritt überträgt sich somit nur zögerlich auf die globale Emissionsentwicklung.
Bemerkenswert: Obwohl der Onlinehandel in den letzten Jahren stark zugenommen hat, sind die Emissionen der leichten Nutzfahrzeuge nach 2013 weiter gesunken. Dass der zunehmende kleinteilige Lieferverkehr mit sinkenden Emissionen zusammenfällt, lässt auf Effizienzsteigerungen im Bereich der leichten Nutzfahrzeuge schließen, die die Auswirkungen der Verkehrszunahme kompensieren. Der tatsächliche Treibhausgasausstoß eines Fahrzeugs hängt zwar mit dem betrachteten Emissionspotenzial zusammen, bestimmt sich allerdings auch durch die Fahrleistungen und durch das Verhalten des Fahrzeugführers.
Eine abschließende Frage: Wie wirkt sich die aktuelle Debatte um Dieselfahrzeuge auf die Emissionsziele des Verkehrssektors aus?
Durch die Debatte um die Stickoxide sind die Absatzzahlen von Dieselfahrzeugen massiv gesunken. In Deutschland betrug der Dieselanteil an den Neuzulassungen im Dezember 2014 noch 47 % und sank auf 33 % im Dezember 2017. Eine Anmerkung: Dieselfahrzeuge stoßen aufgrund effizienterer Verbrennungstechnologie bei vergleichbarer Motorisierung etwa 15 % weniger CO2 pro Kilometer aus als Benzinfahrzeuge.
Darüber hinaus werden Diesel-Pkw typischerweise von Verkehrsteilnehmern mit einer hohen jährlichen Fahrleistung genutzt. Der fallende Marktanteil von Dieselfahrzeugen führt also dazu, dass sich die Energieeffizienz der Neufahrzeuge tendenziell verschlechtert. Damit nimmt die Stickoxiddiskussion einen direkten Einfluss auf die Klimabilanz des Straßenverkehrs in Europa, und das mit einer langanhaltenden Wirkung. Die emissionsstärkeren Neuwagen, die jetzt zugelassen werden, haben eine Lebenserwartung von etwa 17 Jahren in der EU-28. Sie werden somit über einen langen Zeitraum die Klimabilanz beeinflussen. Zur energiepolitischen Diskussion sind deshalb auch künftig sachliche Beiträge gefragt.