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Eine Frage der Gerechtigkeit
Mit dem zunehmenden Ausbau der Stromproduktion aus Photovoltaik wird eine faire und verursachergerechte Verrechnung der Netzkosten an die Stromkunden nach dem bisherigen System auch außerhalb von Deutschland zu einem heißen Thema. Österreichs Energiewirtschaft diskutierte Probleme der Auswirkungen der Energiewende Anfang März 2015 im Rahmen eines Trendforums. Im Fokus stand auch das Spannungsfeld von dezentraler Stromerzeugung, Netzgebühren und Verteilernetze. Ernst Brandstetter von Oesterreichs Energie, der Interessenvertretung der österreichischen E-Wirtschaft, informiert in einem Gastbeitrag über wesentliche Aspekte der Diskussion im benachbarten Alpenland.
Die europäische – und in weiterer Folge auch die österreichische - Energiestrategie sieht unter anderem den forcierten Ausbau der dezentralen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien vor. Die Herausforderungen nennt Franz Strempfl, Spartensprecher Netze von Oesterreichs Energie: „Wind- und Photovoltaikanlagen, aber auch Kleinwasserkraftwerke, Biogas- und Biomasseanlagen werden in großer Zahl an das Verteilernetz angeschlossen und sollen zunehmend zur Stromaufbringung beitragen. Um dies zu ermöglichen, müssen sowohl das Übertragungsnetz als auch die Verteilernetze ausgebaut werden, da die hohe Volatilität der eingespeisten Leistungen zwangsweise eine deutliche Zunahme der lokalen und überregionalen Lastflüsse nach sich zieht.“ Allein die Erfüllung der Ziele der Energiestrategie von 2010 liegt über dieser Schwelle. So sollen bis 2020 etwa 1200 MW Photovoltaik angeschlossen werden. Unter der Annahme, dass 90 Prozent dieser Anlagen Kleinanlagen sind, bedeutet das den Anschluss von 200.000 Photovoltaik-Anlagen ins Verteilernetz. Eine Prognose von „Photovoltaik Austria“, spricht von 250.000 Anlagen. Allein diese Zunahme der Photovoltaik-Leistung löst somit die Verstärkung von 3000 km Niederspannungsnetzen, den Zubau von 300 MVA Trafoleistung und einen Finanzierungsbedarf von bis zu 300 Mio. Euro aus.
Gefährdeter Konsens zur Energiezukunft
Diese Entwicklung wird bewirken, dass wer Strom selbst produziert, auf Grund der überwiegend von der verbrauchten Menge abhängigen Tarife weniger für die Nutzung des Stromnetzes zahlt. Die entfallenden Erlösanteile müssen dann von den Haushalten mit bezahlt werden, die selbst keine Solaranlagen am Dach haben. Entweder, weil sie es sich nicht leisten können oder weil sie auf Grund der örtlichen Situation keine Möglichkeit haben, derartige Anlagen zu errichten.
„Oesterreichs Energie“ so deren Generalsekretärin Schmidt, „sieht hier die Gefahr steigender Ungerechtigkeit, die den Konsens über die erneuerbare Energiezukunft gefährden könnte.“ Denn die Netzinanspruchnahme bleibt durch die Inbetriebnahme einer Eigenerzeugungsanlage weitgehend erhalten, oft nimmt sie sogar zu, da zu verbrauchsarmen Zeiten die volle Leistung in das Netz eingespeist wird. Netzverstärkungen werden auch dann unumgänglich, wenn lokal verbreitete Photovoltaikanlagen gleichzeitig mehr in das Netz einspeisen, als vor Ort verbraucht wird.
Kostenfaktor Netzgebühren
Ein typischer Verteilnetzbetreiber bezieht (Netzebenen 3 bis 7) fast 80 Prozent seiner Einnahmen aus dem Netznutzungsentgelt, das als Zuschlag pro kWh, die man bezieht, eingehoben wird. Nur etwa ein Fünftel der Netzgebühren entfällt auf pauschalierte oder leistungsbezogene Entgelte.
Auf Netzebene 5 stammen 56 Prozent der Entgelte aus dem Arbeitspreis, 64 Prozent sind es auf Netzebene 6. Auf Netzebene 7, wo die Haushalte angeschlossen sind, stammen 89 Prozent der Netzentgelte aus dem Arbeitspreis. Umgelegt auf einen durchschnittlichen Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 3500 kWh beträgt das Netznutzungsentgelt 26,85 Prozent der gesamten Stromkosten (Energie, Netz, Steuern und Abgaben).
Betrachtet man ein Einfamilienhaus mit einem Jahresverbrauch von 4500 kWh Strom, dann zahlt dieser Haushalt in einem typischen Netzbereich 895 Euro für Strom. Davon entfallen 308 Euro auf die Energie, 237 Euro auf die Netzkosten, 217 Euro kassiert der Staat an Abgaben und Gebühren, 33 Euro gehen an die Gemeinde (Verbrauchs- abgabe) und 101 Euro fallen für die Ökostromförderung an.
Mit einer in diesem Haus installierten Photovoltaikanlage mit 4 KWpeak, verändert sich die Stromrechnung deutlich: Der Haushalt speist dann rund 2800 kWh pro Jahr Strom ins Netz ein und bezieht 3300 kWh Strom aus dem Netz. Dass mehr als die Hälfte des selbst erzeugten Stroms eingespeist wird, liegt daran, dass der größte Stromverbrauch des Haushalts nicht zu jenen Zeiten stattfindet, wo die Photovoltaikanlage die größte Leistung bietet.
Mehr Photovoltaik, weniger Netzgebühr
In der Stromrechnung ergibt sich daraus, dass der Haushalt mit Photovoltaikanlagen um 51 Euro weniger an Netzgebühren zahlt als bisher und zudem 76 Euro an Ökostromförderung und Abgaben erspart. Das hat aber keinen Einfluss auf die Finanzierung der Netzbetreiber. Jedoch müssen deren regulierte Kosten in zunehmendem Ausmaß von den anderen Strom kunden gezahlt werden.
Haushalte ohne Photovoltaik müssen demzufolge steigende Anteile der Netzkosten und auch der Ökostromförderung schultern. Hier wird sichtbar: die heutige Tarifstruktur in Österreich erfüllt nur noch eingeschränkt die Grund sätze der Kostenorientierung und der weitestgehenden Verursachergerechtigkeit.
Da in Österreich ein Anstieg von Photovoltaik- Anteilen an der Stromeinspeisung zu er warten ist, wird dies zu einem neuen Regelungsbedarf bei den Netztarifen führen. Bereits das geltende Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (ElWOG) fordert eine Neuregelung der Gebührenbelastung: Der § 51 sieht vor, das Systemnutzungsentgelt muss dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Systembenutzer, der Kostenorientierung und der weitestgehenden Verursachergerechtigkeit entsprechen.
Den Zeithorizont für eine neue Tarifstruktur sieht Oesterreichs E-Wirtschaft mittelfristig, spätestens mit der vierten Regulierungsperiode ab 2019, wobei auf eine kundenverträgliche Übergangsphase zu achten sein wird. Not wendig wird sein, die Leistungskomponente der Netzfinanzierung zu stärken und im Gegenzug die Arbeitskomponente abzusenken.
Investitionsbedarf
Muss ein Netz verstärkt werden, treten zwei Folgeerscheinungen auf: Anlagenbetreiber, die später kommen, müssen mehr zahlen als jene, die ihre Anlagen installieren konnten, ohne dass das Netz verstärkt werden musste. Zudem sind die insgesamt steigenden Netzkosten von der Allgemeinheit zu tragen. Ist das gerecht?
Investitionsbedarf in den Verteilernetzen entsteht parallel auch aus anderen Gründen: Allein die Einführung der Smart Meter wird gesamt rund zwei Mrd. Euro kosten. Dazu kommen Netz verstärkungen für die Einbindung der Windkraft und steigender Ersatzbedarf durch eine Überalterung des Netzes, so dass bis 2020 Investitionen von rund acht Mrd. Euro erforderlich werden. Erste Verschiebungen bei der Netzfinanzierung sind bereits sichtbar. In wenigen Jahren könnte die Netzfinanzierung spürbare Ausmaße annehmen, das ergaben Berechnungen der Austrian Energy Agency auf Basis von Datenerhebungen der österreichischen Netz betreiber.
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