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< Stromnetze im Kontext mit dem Klimawandel
20.12.2022 15:17 Alter: 2 yrs

Ein WasserstoffStartnetz mit 900 Kilometern für Ostdeutschland

Droht die in vielen Studien als kosten- und zeiteffizienteste Lösung für die Energiewende, Strom- und grüne Gasnetze gemeinsam zu denken und die Wasserstoff-Infrastruktur aus dem bestehenden Gasnetz heraus zu entwickeln, ins Hintertreffen zu geraten? Wir sprachen darüber mit Ralph Bahke, Geschäftsführer der ONTRAS Gastransport GmbH.


Ralph Bahke, Geschäftsführer ONTRAS Gastransport GmbH Foto: Peter Eichler

Jede Erdgasleitung ist potenziell ein Rohr für den künftigen Wasserstofftransport. Wir als Netzbetreiber unternehmen große Anstrengungen, um die Transformation unseres Netzes in Abstimmung mit allen Beteiligten bedarfsgerecht und effizient umzusetzen.“ Ralph Bahke

Herr Bahke, Deutschland will eine grüne Wasserstoffwirtschaft etablieren. Wie passt dies mit Aussagen von Politikern zum Rückbau unserer Gasnetze zusammen?

Wir sind überzeugt: Wasserstoff wird zu einer tragenden Säule einer dekarbonisierten Energielandschaft. Ein Blick auf unseren Endenergieverbrauch zeigt, warum: Bisher sind nur 1/5 des gesamten jährlichen Endenergieverbrauchs in Deutschland grün erzeugt. Die restlichen 4/5 sind fossilen Ursprungs. Beim Stromverbrauch liegt der EE-Strom-Anteil gerade mal bei 50 Prozent. Für die benötigte Strom-Spitzenlast von heute etwa 80 Gigawatt (GW) stehen rd. 140 GW installierte Leistung (Windkraft+Fotovoltaik+Biomasse) bereit. Deren Aufbau dauerte mehr als 25 Jahre (Basis 1995: 2 GW).

Diese Spitzenlast erhöht sich allein bei einer Elektrifizierung des Wärmemarktes (i. W. Wärmepumpen) um weitere 86 bis 124 GW, entsprechend höher fiele die zusätzlich zu installierende Erzeugerleistung aus. Ein Großteil der zusätzlichen Erzeugerleistung müsste bereits in den kommenden acht Jahren entstehen, da laut Bundesregierung die CO2 -Emissionen im Wärmemarkt bis 2030 gegenüber 2020 um 43 Prozent sinken sollen. Dafür wären – wie auch zum Abdecken der Versorgung der übrigen Sektoren mit EE-Strom - die Stromnetze entsprechend auszubauen und ein Großteil der Gebäude wärmepumpentauglich zu sanieren. Dies wäre kaum bezahlbar.

Dagegen sind die geforderten Leistungsbereitstellungen für unser Gasnetz kein Problem: Schon heute stellen wir allein für den Wärmemarkt rund 230 GW bereit. Und wir können rund ¼ unseres Jahresbedarfs langfristig speichern. Würden wir jetzt bereits Gasnetze rückbauen, beraubten wir uns der Option, diesen Vorteil von Wasserstoff im Wärmemarkt zu nutzen.

Wie schätzen Sie den Bedarf an Wasserstoff ein?

Der Bedarf an Wasserstoff ist schon jetzt hoch. Allein die Stahl- und die Chemische Industrie in Deutschland benötigen bis 2030 rund 57 TWh grünen Wasserstoff. Aufgrund der auch langfristig begrenzten Verfügbarkeit von EE-Strom in Deutschland sind für diese Mengen schon bis dahin Importe zwingend notwendig. Experten rechnen bis 2030 mit dem Aufbau von etwa 5 Gigawatt inländischer Elektrolyseurleistung, das entspräche bei 4.000 Volllaststunden/Jahr einer Wasserstoffproduktion von etwa 17,5 TWh/a. Insgesamt werden wir kaum mehr als 25 Prozent Eigenproduktion erreichen können.

Diese Diversifizierung der Quellen erfordert von Anfang an eine organisch mitwachsende H2 -Infrastruktur, die Erzeuger und Verbraucher miteinander verbindet und durch Zugang zu Importpunkten und Speichern nachhaltige Versorgungssicherheit bietet. Basis dafür ist unser bestehendes Erdgasnetz. Unsere Stahlleitungen sind größtenteils wasserstofftauglich. Die Umstellung einer Erdgasleitung auf Wasserstoff erfordert gegenüber dem kompletten Neubau nur 20 – 30 Prozent der Kosten. Das spart Zeit und vermeidet zusätzliche Eingriffe in die Umwelt. Auch viele Leitungen in den Verteilnetzen können für Wasserstoff genutzt werden. Auch deshalb macht es keinen Sinn, jetzt einen Rückbau zu fordern und damit wertvolle Assets zu vernichten.

Wie steht es um die Pläne für ein Wasserstoff-Netz für Ostdeutschland?

Wir wollen bis Ende 2030 ein Wasserstoff-Startnetz mit über 900 Kilometern Leitungen in Ostdeutschland schaffen, knapp ¾ davon aus Bestandsleitungen. Aktuelle Studien zeigen, dass dieses Netz die benötigten Kapazitäten für den prognostizierten Wasserstoffbedarf bis 2030 bereitstellen kann. Kernstück ist eine rund 25 Kilometer lange Leitung, die wir seit September 2021 im Rahmen des Reallabors Energiepark Bad Lauchstädt auf Wasserstoff umstellen. Sie wird im ersten Quartal 2024 erstmals Wasserstoff transportieren.

Im Projekt doing hydrogen verbinden wir dieses Kernstück über ein Netz von rund 620 Kilometern mit Rostock, dem Großraum Berlin, Eisenhüttenstadt und dem mitteldeutschen Wirtschaftsraum. Projektpartner sind GASCADE sowie erste Erzeuger und Anwender von Wasserstoff. Im Projekt Green Octopus Mitteldeutschland erschließen wir mit einem Wasserstoffring die Region Leipzig (ehem. Projekt LHyVE Transport), verbinden diese Region mit dem Energiepark Bad Lauchstädt und dem dortigen, gleichnamigen Speicher der VNG Gasspeicher GmbH und führen sie weiter Richtung Stahlregion Salzgitter.

Eingebunden ist unser H2 -Startnetz in den European Hydrogen Backbone. Damit bringen wir Ostdeutschland ins zukünftige Wasserstoffherz Europas und schaffen die Voraussetzungen für den europaweiten Wasserstofftransport. Für beide Vorhaben haben wir eine aussichtsreiche Förderung im Rahmen der Important Projects of Common European Interest (IPCEI) beantragt. Wir sind zuversichtlich, dass wir noch in diesem Jahr mit den ersten Arbeiten für diese Mammutprojekte beginnen können.

Das klingt alles sehr positiv, gibt es auch Hindernisse?

Es gibt zwei wesentliche Hürden, die schnellstens zu beseitigen sind, 1. energiepolitische und 2. marktrelevante: Wir sind als Gasbranche in Vorleistung gegangen. Die Fernleitungsnetzbetreiber haben für Deutschland die H2 -Netze 2030 und 2050 entworfen und den European Hydrogen Backbone mit zahlreichen Infrastrukturprojekten angedacht und erste belastbare Zahlen vorgelegt. ONTRAS ist mit den oben beschriebenen H2 -Projekten am Start. Die Politik hat dafür Strategien entwickelt und erste Förderprogramme wie IPCEI für einen schnellen Start aufgelegt. Diese müssen jetzt schnell zum Laufen gebracht werden.

Was jedoch fehlt, sind energiepolitische und regulatorische, langfristig verlässliche Rahmenbedingungen, die Investoren ein annehmbares Geschäftsmodell bieten und Gaskunden eine bezahlbare Netznutzung ermöglicht. Setzt sich das aktuell diskutierte Gaspaket der Europäischen Kommission durch, müssten wir aufgrund der strengen Entflechtungsregeln nach 2030 als Betreiber von Erdgasnetzen auf den Betrieb der Wasserstoffnetze verzichten. Damit würden die etablierten europäischen Player konsequent ausgeschlossen und eine Realisierung der politisch quasi schon als gesetzt geltenden Infrastrukturprojekte im Rahmen des European Hydrogen Backbone nicht nur bei uns weit nach hinten geschoben. Denn niemand investiert in ein Asset mit 50 Jahren Abschreibungsdauer, wenn er es schon nach acht Jahren abgeben muss. Der Vorschlag ist zudem auch volkswirtschaftlich unsinnig, da real vorhandene Synergien und wertvolle Assets vernichtet würden und der Neubau eines Wasserstoffnetzes länger dauerte und wesentlich teurer würde.

Sie bleiben trotzdem optimistisch?

Wir arbeiten gemeinsam mit Partnern der Branche intensiv daran, hier noch rechtzeitig praktikable Rahmenbedingungen zu bekommen, damit die dringend notwendigen Investitionen in die Wasserstoff-Infrastruktur getätigt werden können. Gerade im Hochlauf dürfen die anfangs hohen Kosten nicht durch die noch wenigen Kunden getragen werden, auch dafür muss der Rahmen eine Lösung offerieren.

Ein stagnierender Zubau von Windkraft-Anlagen wie auch die zunehmende Bevorzugung von Strom und Stromanwendungen gegenüber anderen klimaneutralen Energien und Technologien kann den Markthochlauf von Wasserstoff erheblich verzögern. Auch europaweit hat Wasserstoff noch nicht den für einen zügigen Hochlauf notwendigen Stellenwert, wie ich kürzlich wieder auf dem Copenhagen Infrastructure Forum erfahren musste. Der postulierte Mehrbedarf an EE-Strom und die bevorzugte Förderung von EE-Stromanwendungen in allen Segmenten blockiert die Verfügbarkeit von grünem Strom für die Wasserstofferzeugung.

Dabei benötigen wir bereits zur Deckung des aktuell angezeigten Wasserstoffbedarfs von vornherein auch die inländische Produktion, um zusammen mit den sich anbahnenden Importen in absehbarer Zeit einen versorgungssicheren Quellenmix zu erreichen. Deshalb fordern wir von der Politik schnelle Entscheidungen mit Augenmaß und dem Blick auf das gesamte Energiesystem – nur dann kann grüner Wasserstoff schnell zu einer Stütze der Energiewende werden.

Im Energiepark Bad Lauchstädt, einem Projekt, in dem die gesamte H2 -Wertschöpfungskette abgebildet werden soll, wurde bei dem von Erdgas auf Wasserstoff umzustellenden Leitungsabschnitt erstmals das Prüfverfahren der EMAT-Molchung der Fa. Rosen angewandt. Die Molchung ist ein technisches Prüfverfahren, um den Zustand der unterirdisch verlegten Gasleitung umfassend zu bewerten. Der Molch wird dabei – ähnlich wie bei einer Rohrpost – ins Rohr eingeschleust und mit dem Gasstrom durch die Leitung transportiert.