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< Speicher zwischen Flexibilität und Kapazität
05.08.2015 15:58 Alter: 9 yrs

Ein Strommarkt für die Energiewende

Das Ergebnispapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat als Weißbuch „Strommarkt für die Energiewende“ die Energiewirtschaft erreicht und steht in der öffentlichen Diskussion. Es scheint nunmehr die Erkenntnis zu reifen, dass eine bürokratische Steuerung des Energiesystems nicht weiter möglich und die fortgesetzte Subventionierung ohne Einbezug von Marktmechanismen unwirtschaftlich ist.   Dr. Norbert Schwieters, Leiter Energiewirtschaft bei PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, gibt die folgende Einschätzung zum Stand der Diskussion.


Foto: Claudia Zurlo

Musterbeispiel für die bürokratische Begleitung der Energiewende ist bislang das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das nach Jahren der Subventionierung der verschiedenen Technologien seit 2011 bereits den Fokus auf die Markt- und Systemintegration der erneuerbaren Energien verschoben hat. Mit der vorläufig letzten Novelle aus 2014 wurde die bislang optionale durch die verpflichtende Direktvermarktung ersetzt. Zur weiteren Marktintegration soll ab 2019 die Ausschreibung der erforderlichen Förderniveaus (Offshore Windenergie ab 2021) eingeführt werden. Bereits in 2015 erfolgten die ersten Ausschreibungen für Freiflächen-Photovoltaik.

Das Weißbuch setzt die eingeschlagene Richtung der Marktintegration
der Erneuerbaren Energie fort. Aus der Grundsatzentscheidung, das
Energiesystem zur flexibilisieren und Märkte für Flexibilität zu schaffen,
werden verschiedene Ziele und Maßnahmen abgeleitet, dem
Konzept des Kapazitätsmarktes wird eine Absage erteilt. Folgende
Schwerpunkte sind hervorzuheben:

  1. Die Energiepolitik bekennt sich zum liberalisierten, europäischen Strommarkt. Die Integration des europäischen Binnenmarktes für Strom soll vorangetrieben werden. Der Wettbewerb soll Anreize für Innovationen und Nachhaltigkeit schaffen, die Integration erneuerbarer Energien verbessern und die Förderkosten für erneuerbare Energien senken.
  2. Der Energy-Only-Markt soll gestärkt werden und eine freie Bildung der Strompreise ermöglichen. Durch den Preismechanismus sollen Überkapazitäten abgebaut und umgekehrt tatsächlich benötigte flexible Kapazitäten refinanziert werden, da erwartet wird, dass sich Marktteilnehmer durch langfristige Liefer- und Absicherungsverträge gegen Preisspitzen absichern. Das Bilanzkreis- und Ausgleichsenergiesystem wird gestärkt um Anreize zu setzen, dass die Marktteilnehmer ihre Lieferverpflichtungen erfüllen. So soll auch bei zunehmend volatilerer Erzeugung die Versorgungssicherheit sichergestellt werden.
  3. Flexibilität auf Angebots- und Nachfrageseite soll belohnt werden. Eine Reihe von Maßnahmen flankiert die Zielsetzung einer flexiblen und effizienten Stromversorgung. Dazu gehören u. a. die Weiterentwicklung der Regelenergiemärkte und die Ausgestaltung der Netzentgelte, damit diese marktdienliches Verhalten auch auf der Nachfrageseite ermöglichen.
  4. Eine Kapazitätsreserve sichert den Strommarkt 2.0 ab. Die Kapazitätsreserve unterscheidet sich vom Kapazitätsmarkt dadurch, dass die darin enthaltenen Kraftwerke nicht am Strommarkt teilnehmen und somit den Wettbewerb und die Preisbildung nicht verzerren. Ein Monitoring der Versorgungssicherheit soll für zusätzliche Sicherheit sorgen.
  5. Die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr werden in Zukunft stärker gekoppelt.

Bekenntnis zum liberalisierten, europäischen Strommarkt

Zu begrüßen ist, dass die Bundesregierung bei der Ausgestaltung des Strommarktes 2.0 den Fokus auf Europa, die Stärkung der Marktmechanismen, die Förderung der Flexibilität und die Effizienz der Stromversorgung legt. Bei der konkreten Umsetzung sind jetzt folgende Themen vorrangig zu bearbeiten:

  • Investitionen in Kraftwerke verlangen langfristige Planungssicherheit. Hier setzt man primär auf marktbasierte Instrumente wie z. B. den Wegfall von Preisgrenzen an den Handelsmärkten und neue Börsenprodukte. Damit „Grenzkraftwerke“ über diese Instrumente ihre Fixkosten einpreisen können, müssen die Preisspitzen an den Handelsmärkten ein signifikantes Niveau erreichen – der Höhe und dem zeitlichen Anfall nach – und dies in einem europäischen Umfeld, in dem unterschiedliche Regelungen über Kapazitätsmärkte (z. B. in Frankreich) Preisspitzen zum Teil abschwächen. Hinsichtlich erforderlicher Investitionen stellen sich weiterhin Fragen bei der Festlegung und Finanzierung der Kapazitätsreserve, auch wegen der daraus resultierenden Belastung des Endverbrauchers.
  • Um die Versorgungssicherheit abzusichern, muss der Netzausbau stark vorangetrieben und die Abstimmung zwischen den Netzbetreibern ausgebaut werden. Dies stellt Anforderungen an die Transportkapazitäten innerhalb der Länder und den Ausbau der Grenzübergabestellen – auch im Hinblick auf die öffentliche Akzeptanz und die Kosten des Netzausbaus.
  • Bilanzkreistreue und Flexibilisierung: Ein wesentliches Element zur Steigerung der Funktionsfähigkeit des Energy-Only-Marktes ist die Stärkung der Bilanzkreistreue und die Flexibilisierung der Nachfrageseite. Bereits heute ist ein Bilanzkreis- und Ausgleichenergiesystem in Kraft, es regt bislang aber nur zu kurzfristigen Absicherungen an. Vielfach werden Flexibilitätsoptionen diskutiert, das Potenzial von Demand Side Management allerdings sehr unterschiedlich eingestuft. Um den Marktmechanismus zu entfalten und das umsetzbare Potenzial an Flexibilität auch zu realisieren, sind hier kräftige Anreize zu setzen.
  • Der Emissionshandel ist das klassische marktwirtschaftliche Instrument, um Klimapolitik über die Mengenbegrenzung bei Emissionsrechten für Treibhausgase und daraus abgeleitete Marktpreise in wirtschaftliche Handlungen umzusetzen. Das europäische Emissionshandelssystem ist derzeit aufgrund eines Überangebots an Emissionsrechten nicht in der Lage, ausreichende Signale für eine CO2-arme Energieerzeugung zu setzen. Wurde im Grünbuch die Notwendigkeit einer Überarbeitung des Emissions handelssystems angesprochen, findet dies im Weißbuch kaum Erwähnung, vielleicht weil die Marktstabilitätsreserve innerhalb des Emissionshandelssystems inzwischen beschlossen wurde. Dennoch sollte auch weiterhin das Ziel eines europaweit einheitlichen und effizienten Emissionshandelssystems nicht aus den Augen verloren werden.
  • Die Energieeffizienz ist eine der wesentlichen Säulen der Energiewende – national wie international. Im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz (NAPE) wurden eine generelle Strategie sowie erste Maßnahmen festgelegt. Das Weißbuch betont die wachsende Bedeutung der Energieeffizienz und ihrer Verknüpfung mit Flexibilisierung des Systems. Hier sind nun konkrete Maßnahmen zu erarbeiten.
  • Neben Strom sind auch Wärme und Verkehr in die weiteren Überlegungen zur Ausgestaltung der Energiewende einzubeziehen. Hierzu hat PwC kürzlich Studien vorgelegt, die den Einfluss dieser Sektoren auf die Umsetzung der Energiewende untersuchen.

Fazit: Die Ausführungen im Weißbuch legen in der Grundsatzentscheidung sowie bei den einzelnen Maßnahmen den Fokus auf marktbasierte Instrumente. Dies weist in die richtige Richtung und zeigt für die Marktteilnehmer die Weichenstellung für ihre Planungen auf.

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