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Ein neues Strommarktdesign – wie sollte es aussehen?
Mit der Maßgabe, die Erneuerbaren bis 2030 auf 80 % Anteil am Bruttostromverbrauch auszubauen, hat sich die neue Bundesregierung hohe Ziele gesetzt. Für das Forum für Zukunftsenergien stellte Dr. Christoph Riechmann von Frontier Economics kürzlich vor, wie in diesem Kontext ein künftiges Strommarktdesign aussehen könnte. Für THEMEN!magazin benennt er wesentliche Ergebnisse einer wissenschaftlichen Betrachtung und Analyse künftiger Herausforderungen.
„Anforderungen der Energiewende erfordern Weichenstellungen, die das Thema Marktdesign wieder auf die Tagesordnung setzen.“ Dr. Christoph Riechmann
Energiepolitisches Zieldreieck neu bewerten
Historisch wurde ein Zielkonflikt gesehen, wenn man sehr stark bzw. fast ausschließlich auf intermittierende erneuerbare Energien setzt. Sie sind nachhaltig (sofern die Technologie selbst nachhaltig hergestellt wird), aber sind sie auch preisgünstig und sicher? Hier hat sich die Einschätzung mit den Jahren gewandelt: Der Einsatz von Speichertechnologien wie Batterien (für tägliche Zyklen) sowie von Wasserstoff und Ammoniak für längere Speicherperioden bietet die Chance einer höheren Zuverlässigkeit – auch vor dem Hintergrund einer alternativen starken Abhängigkeit vom Import fossiler Energieträger etwa aus Russland.
Und bezogen auf die Vollkosten unter Berücksichtigung der CO2 -Kosten bieten erneuerbar basierte Systeme mittlerweile auch Kostenvorteile gegenüber fossilen Systemen. Dies gilt zumindest solange wir auch weiterhin den Import von – dann nachhaltiger gewonnenen – Energiequellen zulassen und keine Autarkie anstreben. Das sind zunächst einmal gute Nachrichten! Aber passt die Organisation und das Design unseres Strommarktes noch zu dieser Erzeugungsstruktur der Zukunft?
Strommarktdesign muss neuen Realitäten gerecht werden
Preisgünstigkeit - Erneuerbarer Strom ist absehbar (und bei Berücksichtigung der CO2 -Kosten) dauerhaft die günstigste Erzeugungsalternative. Aber diesen Strom gibt es nicht zum Sparpreis. Strom (und Energie) ist dauerhaft nicht zu Preisen unterhalb der Vollkosten zu haben. Wir müssen uns von der jahrelangen Erfahrung und Vorstellung verabschieden, dass Strom dauerhaft zu Rabattpreisen verfügbar ist. Die historisch beobachteten niedrigen Strompreise, die insb. durch den subventionierten massiven Zubau von erneuerbaren Energien „erzwungen“ wurden, lassen sich nicht durchhalten. Mit steigenden Energiepreisen wird die Energieversorgung auch zur Sozialfrage.
Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit - Kostengerechte Strompreise werden sicher auch zur Energieeinsparung anregen. Aber es wäre vermessen anzunehmen, dass wir die Energie- und Klimawende allein durch Energieeinsparung und Energieeffizienz erreichen. Erneuerbare Energien müssen weiter ausgebaut werden. Und sie müssen beweisen, dass sie wirklich die kostengünstigste Alternative darstellen: sie müssen sich absehbar von den Fördertöpfen abnabeln und ihre Umsätze im Markt erzielen.
Das europäische und nationale Emissionshandelssystem und flankierende Energiesteuern (in Sektoren und Anwendungen, die nicht vom Emissionshandel erfasst werden) müssen zudem dafür sorgen, dass der Umweltbeitrag der Erneuerbaren finanziell honoriert wird. Und Ansätze der Sektorenkopplung müssen erreichen, dass erneuerbare Energien direkt (über Stromanwendungen) und über Umwandlung via Wasserstoff auch in neuen Sektoren (Industrie, Transport, Wärme) Fuß fassen.
Beim Strommarktdesign geht es darum, wie der Stromgroßhandelsmarkt organisiert werden muss, um auch in Zukunft die Sicherheit der Stromversorgung zu garantieren. Mehr erneuerbare Energien bedeuten zugleich höhere Anforderungen an die Flexibilität des Strommarktes. Während die Auslastung konventioneller Kraftwerke immer mehr abnimmt, wird ihre Leistung zum Ausgleich der schwankenden Produktion von Sonnen- und Windkraftwerken weiterhin benötigt, um die Versorgungsicherheit zu gewährleisten.
Grafik: Frontier Economics
Versorgungssicherheit – Aber wird der Markt dafür sorgen, dass ausreichend Erzeugungskapazität verfügbar ist? Die Lösung ist nicht trivial, insbesondere wenn wir uns verkappte „Kapazitätsmechanismen“ in Form hoher Subventionen für erneuerbare Energie in der bisherigen Form nicht länger leisten wollen oder können.
Die größte Herausforderung für die Versorgungssicherheit der Energieversorgung stellen insbesondere die Winterwärmespitze (bisher abgedeckt v.a. durch Öl und Gas) und Dunkelflaute (zusammentreffen von geringen Windgeschwindigkeiten mit wenig Sonneinstrahlung) dar. Dies lässt sich weder technisch noch wirtschaftlich allein mit Stromspeicherung (in Batterien) lösen; hier ist Energiespeicherung auch in Gas- und Flüssigform (insbesondere in Form von Wasserstoff) gefordert. Die Versorgungssicherheitspolitik muss also über den Tellerrand des Stromsektors hinausblicken und auch neue, klimafreundliche Energieträger wie Biomasse, Biogas, sogenannten grünen Wasserstoff (aus Erneuerbarem Strom) und daraus hergestellte synthetische Gase und Brennstoffe umfassen.
Welche Weichenstellungen sind für die Umstrukturierung erforderlich?
Wir sollten bewährte Elemente des Marktdesigns beibehalten. Dazu zählen der wettbewerbliche Spotmarkt mit Systempreis, eine unbedingte vertragliche Lieferpflicht, das Ausgleichsenergiesystem und das europäische Emissionshandelssystem als klimapolitische Leitwährung. Eine Strategische Reserve kann weiter der Flankierung dienen.
Die Initiativen privater Investoren haben sich bewährt hinsichtlich Kosteneffizienz, Fristentransformation (Finanzierung langfristiger Infrastrukturinvestitionen über kürzer laufende Absatzverträge) sowie die Portfoliooptimierung und das Risikomanagement. Wir müssen den Markt aber auch fit machen für die Sektorkopplung. Das bedeutet, dass wir einen Verfolgungs- und Zertifizierungsmechanismus für grünen Strom und daraus abgeleitete Energieträger wie Wasserstoff, synthetische Brennstoffe etc. benötigen, der Energieträger sektorübergreifend verbindet. Der sogenannte Delegated Act der EU (In Ergänzung der Direktive (EU) 2018/2001) schafft nur Grundvoraussetzungen für einen solchen Verfolgungsmechanismus (und er wirkt zudem eher limitierend hinsichtlich Nähe von Erzeugungs- und Umwandlungsstandort), die noch ausgefüllt werden müssen. Das bestehende Regime von Herkunftsnachweisen scheint jedenfalls noch nicht ausgereift für einen standardisierten Handel mit entsprechenden Zertifikaten. Das System sollte zudem möglichst technologieoffen sein. Bereiche, die nicht durch das europäische oder nationale Emissionshandelssystem erfasst sind, sollten von Energiesteuern in analoger Höhe erfasst werden.
Im Blick haben sollten wir den geostrategischen Wert von Versorgungssicherheit. Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrung wiederholter Markteingriffe, die das Investorenvertrauen untergraben, wird sicher auch wieder eine Debatte um Kapazitätsmechanismen aufflammen, insbesondere wenn Investoren eine politische Unsicherheit hinsichtlich des zeitlichen Horizonts von Brückentechnologien wie etwa bei Erdgas sehen. Dies gilt umso mehr, als Erdgas offenbar zum Spielball der Geopolitik geworden ist.
Und wir müssen den Netzausbau forcieren. Sofern der Netzausbau weiter hinter den Anforderungen bleibt, wird der Übergang zu einem lokal differenzierten Großhandelspreissystem wieder auf die Tagesordnung kommen.
Welches Fazit lässt sich ziehen?
Erneuerbare Energien werden zur dominierenden Primärenergiequelle für alle Sektoren (auch Industrie, Mobilität, Wärme). Die Sektorkopplung (inkl. Klimaneutraler Gase und Brennstoffe) wird damit integraler Bestandteil der Energiewende. Um richtige klimapolitischen Akzente zu setzen, bedarf es einer „Leitwährung“ für klimapolitische Signale. Das europäische Emissionshandelssystem (ETS) ist hierfür gut geeignet. Daneben muss die Vermarktbarkeit der Grünstromeigenschaft (in Verbindung mit mittelfristigem Auslaufen separater EE-Förderung) gewährleistet werden. Hierzu bedarf es eines leistungsfähigen Systems zum Nachweis und zur Verfolgung von Grünstromeigenschaften. Dieses System muss nicht nur europäisch funktionieren, sondern auch in der Lage sein, klimafreundliche Energieerzeugung aus nichtEU Staaten – z. B. aus Nordafrika oder Südamerika – zu integrieren.
Das aktuelle Strommarktdesign ist eine geeignete Basis (insb. für die kurzfristige Optimierung von Erzeugung, Speicherung und Nachfrageflexibilität). Kapazitätsanreize müssen ggf. aber noch weiter verstärkt werden, um Investorenvertrauen wieder herzustellen, das in den letzten Jahren durch diverse Eingriffe der Politik in den Markt erschüttert wurde. Dabei ist (europäisch abgestimmt) zu überlegen, wie der geostrategische Wert der Diversifizierung der Energiebezugsquellen berücksichtigt werden kann.
„Im Blick haben sollten wir den geostrategischen Wert von Versorgungssicherheit. Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrung wiederholter Markteingriffe, die das Investorenvertrauen untergraben ...“
Dr. Christoph Riechmann
Preisdeckelungen schaden mittel- und langfristig der Versorgungssicherheit und Kosteneffizienz. Erforderlich scheint mehr Flexibilität bei Preisstrukturen (in zeitlicher und geographischer Hinsicht). Und Sozialpolitische Maßnahmen sollten außerhalb des energiepolitischen Instrumentariums ergriffen werden (zielgerichtet nach Bedürftigkeit).
Planungs- und Genehmigungsprozesse bei Wind an Land und Netzausbau sind eine Achillesferse der Energiewende. Hier erfordert es die Übereinkunft mit Ländern und Abwägung zwischen den klimapolitischen Zielen mit bürgerlichen Grundrechten. Dies muss im öffentlichen Diskurs offen angesprochen werden, denn sonst wird es keinen gesellschaftlichen Rückhalt für die Energiewende geben.
Bringt das Osterpaket die Wende?
Wo die nächstliegenden praktischen Herausforderungen liegen, lässt sich gut anhand des sogenannten „Osterpakets“ von Minister Habeck illustrieren. In dem Papier werden äußerst ambitionierte Ausbauziele für Wind und Solarenergie formuliert: die Aufwuchsgeschwindigkeit soll im Vergleich zu den bisherigen Politikzielen verdreifacht oder vervierfacht werden. So soll der jährliche Ausbau bei Photovoltaik von +4,6GW p.a. auf +15,8GW p.a., bei Onshore Wind von +1,7GW p.a. auf + 7,7GW p.a. steigen.
Aber es fehlt noch ein Plan wie das erreicht werden soll. Eine Auswertung der jüngsten Ausschreibungen für Wind- und Solarkapazität zeigt denn auch, dass zuletzt die bisherigen, weniger ambitionierten Ziele nur „mit Ach und Krach“ erreicht werden konnten. Unter den letzten 11 Onshore Windausschreibungen waren 8 unterzeichnet.
Das Problem ist aber wohl nicht das mangelnde Investoreninteresse, sondern vielmehr der Mangel an geeigneten Flächen (gerade für Windanlagen) und Risiken durch einen verzögerten Netzausbau was die Einhaltung des von der Bundesnetzagentur vorgegebenen zulässigen Höchstpreises erschwert.