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< Versorgungssicherheit gibt es nicht zum Nulltarif
15.02.2021 16:39 Alter: 4 yrs

Ein neues Marktdesign für die Energiewende

Eine Arbeitsgruppe des Akademienprojektes „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) zeigt in zwei Stellungnahmen auf, wie Anderungen im Marktdesign einen wesentlichen Beitrag dazu leisten konnen, dass die Energiewende zu moglichst geringen Kosten ihre Ziele tatsachlich erfullt. Zielmarken sind: CO2 bepreisen, Energiepreise refomieren, Netzengpassen entgegenwirken.


Prof. Dr. Felix Müsgens, BTU Cottbus-Senftenberg (l.i.B.) Foto: Copyright: BTU Cottbus-Senftenberg Prof. Dr. Hartmut Weyer, TU Clausthal (r.i.B.) Foto Copyright: TU Clausthal

Mit der Initiative „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) geben acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften Impulse für die Debatte über Herausforderungen und Chancen der Energiewende in Deutschland.

Für THEMEN!magazin skizzieren die Leiter der Arbeitsgruppe Prof. Dr. Hartmut Weyer (TU Clausthal) und Prof. Dr. Felix Müsgens (BTU Cottbus-Senftenberg) Vorschläge für ein zeitgemäßes Marktdesign, das die Sektorenkopplung fördert und Netzengpässe effektiv wie effizient bewältigt.

Wesentliche Weichen des deutschen Energiemarktdesigns wurden bei der Liberalisierung um die Jahrtausendwende gestellt. Seitdem ist viel passiert und die regulatorischen Fragen sind andere als vor zwanzig Jahren: Immer mehr fluktuierende erneuerbare Energieanlagen speisen in das Stromnetz ein, und die Emissionen im Wärme- und Verkehrsbereich können nur durch eine stärkere Nutzung von Strom gesenkt werden (Sektorenkopplung). Das Marktdesign hinkt dieser Entwicklung aber hinterher. Für eine effiziente Energiewende, die ihre Ziele tatsächlich erreichen kann, braucht es neue Ansätze. Doch wie sollte das Marktdesign gestaltet sein, um effizienten Klimaschutz in Deutschland zu ermöglichen und eine hohe Versorgungssicherheit zu gewährleisten? Die ESYS-Arbeitsgruppe hat zwei wichtige Aspekte in den Fokus genommen: ein neues Netzengpassmanagement und eine sektorenübergreifende CO2-Bepreisung im Verbund mit einer Reform der Steuern, Umlagen und Abgaben.

Netzengpässe vermeiden, Kosten reduzieren, Ausfallrisiken mindern

Mit der Energiewende und der europäischen Energieunion wachsen die Herausforderungen für die Netzbetreiber, die für die Stabilität in den Stromnetzen verantwortlich sind. Durch die steigende Einspeisung aus Erneuerbare- Energien-Anlagen, veränderte Lastprofile neuer Verbraucher, einen voraussichtlich wachsenden Stromverbrauch sowie die Ausweitung des grenzüberschreitenden Stromhandels steigt das Risiko von Netzengpässen. Der Netzausbau kommt jedoch langsam voran und ist auch nicht immer die günstigste Lösung. Netzengpässe werden voraussichtlich noch für Jahrzehnte in erheblichem Umfang auftreten und erhebliche Kosten verursachen. Im Jahr 2019 führten Maßnahmen des Netzengpassmangements zu Kosten von rund 1,2 Milliarden, was rund 2 % der Gesamtkosten der Stromversorgung entspricht.

Ein zeitgemäßes Marktdesign könnte helfen, einen Teil der Netzengpässe bereits im Vorfeld zu vermeiden. Das kann gelingen, indem potenzielle Engpässe bereits bei den Stromhandelsgeschäften und somit der Einsatzplanung der Anlagen stärker berücksichtigt werden. Die AG hat hierfür verschiedene Optionen untersucht und gegenübergestellt, darunter die Umstellung auf ein Knotenpreissystem („nodal pricing“), einen Neuzuschnitt bzw. eine Aufteilung der deutschen Stromgebotszone sowie die Weiterentwicklung der Netzentgeltsystematik in Richtung auslastungsorientierter Netzentgelte. Die Analyse zeigt, dass alle Optionen Vor- und Nachteile haben. Ein optimal funktionierendes Knotenpreissystem wäre höchst effektiv und effizient, ist jedoch aufwändig und könnte aufgrund notwendiger Kompetenzübertragungen vor allem grenzüberschreitend schwer umzusetzen sein. Eine Aufteilung der einheitlichen Gebotszone kann dagegen nur einen Teil der Engpässe erfassen und müsste in regelmäßigen Abständen überprüft werden, um wirksam zu bleiben. Dies verursacht erheblichen Aufwand und würde die Planungssicherheit einschränken. Auslastungsorientierte Netzentgelte hätten diese Nachteile nicht, jedoch sind sie in der Praxis noch nicht erprobt und müssten weiter ausgearbeitet werden.

Entstandene Netzengpässe effizient und effektiv beheben

Abbildung: Endverbraucherpreise ausgewählter Energieträger bei einem sektorenübergreifenden CO2-Preis in Höhe von 30 €/Tonne CO2 und einem gleichzeitigen Abbau von Verzerrungen. Es werden zwei Optionen gezeigt: EEGUmlage um 50 % reduziert (Strom mittlerer Balken) beziehungsweise EEG- und KWKG-Umlage komplett abgebaut und die Stromsteuer auf 0,1 Cent pro Kilowattstunde reduziert (Strom rechter Balken). Für Option 1 wären etwa 12,6 Milliarden Euro, für Option 2 etwa 33,5 Milliarden Euro zum Abbau von Verzerrungen nötig. Grafik: acatech

Doch auch wenn es gelingt, einen Teil der Netzengpässe im Vorfeld zu vermeiden, bleibt der Einsatz von Flexibilität zur Behebung von Netzengpässen erforderlich. Auch dabei ist Effizienz ein entscheidendes Kriterium. Da konventionelle Großkraftwerke zunehmend wegfallen und die Bedeutung kleinerer Erzeugungs- und Speicheranlagen sowie Verbrauchsanlagen im Zuge der Energiewende zunimmt, ist es wichtig, diese stärker einzubinden und Flexibilität gerade aus Verbrauchsanlagen besser verfügbar zu machen. Sinnvoll hierfür wäre, die Vergütung der Anlagen nicht stets auf die tatsächlich anfallenden Kosten zu beschränken. Könnten Betreiber ihre Flexibilität etwa auf Plattformen anbieten und zumindest teilweise über marktliche Mechanismen verkaufen, könnte dies zusätzliche Anreize setzen.

Alle Handlungsoptionen sind mit Vor- und Nachteilen verbunden. Daher sollte auch eine Kombination der Maßnahmen in Betracht gezogen werden.

Sektorenkopplung fördern

Strom spielt heute im Wärme- und Verkehrsbereich als Energieträger nur eine geringe Rolle. Um die klimaschädlichen Emissionen auch in diesen Bereichen zu senken, muss sich dies ändern. Soll diese Kopplung der Sektoren effizient gelingen, müssen die Energieträger in einem unverzerrten Wettbewerb stehen, also unter gleichen Bedingungen gehandelt werden. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass Umweltschäden, die bei der Förderung und Verwendung der Energieträger entstehen, gleichermaßen berücksichtigt werden.

Unverzerrten Wettbewerb schaffen

Umweltschäden, insbesondere der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase, spiegeln sich heute nicht ausreichend in den Preisen der Energieträger wider. Gleichzeitig werden die Energieträger mit Steuern, Abgaben und Umlagen unterschiedlich belastet: Während auf Strom unter anderem die Stromsteuer, die EEG-Umlage und die KWKG-Umlage erhoben wird, ist Heizöl nur sehr gering durch die Energiesteuer belastet. Dies führt zu einem Ungleichgewicht und verhindert einen unverzerrten Wettbewerb. Aus Klimasicht kommt erschwerend hinzu, dass KWKG-Umlage, EEG-Umlage und Stromsteuer nicht unterscheiden, wie der Strom erzeugt wurde. Somit belasten sie regenerativ und fossil erzeugten Strom gleichermaßen. Um die Sektorenkopplung effizient voranzutreiben, müssen die bestehenden Abgaben, Umlagen und Steuern reformiert werden. Wie sich eine solche Reform auf die Energieträgerpreise auswirken könnte, ist exemplarisch in der Abbildung gezeigt.

Mit dem im Januar eingeführten nationalen Emissionshandel kommt die Bundesregierung einer langjährigen Forderung aus Wissenschaft und Wirtschaft nach und führt im Wärme- und Verkehrssektor einen CO2-Preis in Deutschland ein. Zusammen mit dem EU-ETS sind somit die meisten Emissionen aus dem Energiebereich abgedeckt. Auch wenn die Höhe des CO2-Preises noch weiter geprüft werden muss, ist dies ein großer Schritt nach vorn in der nationalen Klimapolitik. Diese nationale Bepreisung sollte als Einstieg in eine internationale Lösung dienen, die mittelfristig, also bis 2030, eine Ausweitung des Europäischen Emissionshandels auf alle Sektoren anstrebt.

Steuern, Abgaben und Umlagen senken, eine doppelte Dividende erzielen

Durch den neu eingeführten Emissionshandel entstehen Einnahmen für den Staat. Werden die Einnahmen der Bepreisung dafür verwendet, Steuern, Abgaben und Umlagen zu senken, die emissionsarme Energieträger belasten, kann ein doppelter Nutzen, eine doppelte Dividende, erzielt werden: Erstens wird durch die CO2-Bepreisung der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase verteuert. Damit werden mittelbar auch klimaschonende Technologien gefördert. Zweitens werden Einnahmen generiert, die damit für eine Entlastung von Unternehmen im internationalen Wettbewerb sowie privater Haushalte zur Verfügung stehen. Zusätzlich können emissionsarme Technologien mit einem Anteil der Einnahmen auch unmittelbar gefördert werden, etwa über Austauschprämien.

Weitere Informationen zur Stellungnahme unter: https://energiesysteme-zukunft.de/publikationen/ stellungnahme-co2bepreisen und https://energiesysteme-zukunft.de/publikationen/ stellungnahme-netzengpaesse

Netzengpässe als Herausforderung für das Stromversorgungssystem: Fünf Handlungsoptionen

≫ Geeignete Preissignale konnen dafur sorgen, verfugbare Transportkapazitaten bei der Einsatzplanung von Erzeugungs-, Speicher- und Verbrauchsanlagen zu berucksich tigen und Netzengpasse bereits im Vorfeld zu vermeiden. Sie konnen sowohl beim Stromgroshandelspreis als auch bei den Netzentgelten ansetzen. Solche Ansatze sollten verstarkt gepruft werden.

≫ Auslastungsorientierte Netzentgelte haben den Vorteil, dass sie sich in das System einer einheitlichen deutschen Stromgebotszone integrieren lassen. Allerdings musste ein solcher Ansatz zunachst ausgearbeitet und erprobt werden.

≫ Die marktbasierte Beschaffung von Flexibilitat zur Behebung verbleibender Netzengpasse entspricht dem Leitbild einer Wettbewerbsordnung. Sie wurde Anreize setzen, Flexibilitatspotenziale gerade auch auf der Lastseite besser zu nutzen und Innovationspotenziale zu erschliesen. Die Funktion der Strom- und Flexibilitatsmarkte musste allerdings kontrolliert werden. Ahnliches gilt, wenn erhohte finanzielle Anreize das heutige System einer kostenbasierten Beschaffung erganzen wurden. Solche Ansatze sollten weiterverfolgt werden.

≫ Alle Handlungsoptionen sind mit Vor- und Nachteilen verbunden. Fur ein bestmogliches Ergebnis sollte daher auch eine Kombination von Handlungsoptionen in Betracht gezogen werden.