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13.07.2020 14:45 Alter: 4 yrs

Ecosystem zwischen Finanz- und Energieunternehmen

In welcher Form und in welchem Umfang treiben Finanzunternehmen die Energiewende? Werden Energieunternehmen in diesem Zusammenhang zunehmend ausführende Organe oder können sie Mitgestalter bleiben? Wo besteht besonderer Handlungs- und Investitionsbedarf?


Fotos: Uwe Neumann, Berlin; Finadvice

Dr. Volker Flegel, Geschäftsführer bei Celron GmbH und Hans Poser, Managing Director bei Finadvice AG plädieren in einem 2-teiligen Gastbeitrag im themen!magazin für ein Ecosystem zwischen Finanz- und Energieunternehmen.

In diesem 2. Teil stehen die Positionierung der Energieunternehmen sowie integrative Lösungsansätze durch deren Zusammenarbeit mit Finanzunternehmen
im Vordergrund. ( Der 1. Teil des Beitrages wurde in der Ausgabe 2/2020 veröffentlicht)

Exponentielle Marktentwicklung

Die Energiewende ist bereits in die zweite Phase eingetreten. In Deutschland hat die Substitution konventioneller Stromerzeugung (Kernkraft-, Kohle- und Gaskraftwerke) durch Erneuerbare Energieanlagen eine neue Dimension erreicht: Im 1. Quartal 2020 ist der Ökostromanteil auf durchschnittlich >50 % angestiegen.

Parallel zu dieser Entwicklung erfolgt die Transformation des Energiemarktes zu einem wettbewerbsintensiven, integrierten europäischen Energiemarkt mit zunehmender Geschwindigkeit. Für manche Unternehmen der Energiewirtschaft ist die Umstellung der Geschäftsmodelle
auf Klimaneutralität eine Frage des Überlebens – der Betrieb von Kohlekraftwerken oder der Verkauf von Erdgas werden schon in einem überschaubaren Zeitraum nicht mehr ökologisch und ökonomisch sinnvoll sein. Vor diesem Hintergrund stellt sich für Energieunternehmen
die zunehmend erfolgskritischere Frage der strategische Schwerpunktbildung.

Nachhaltige Investments haben die Position eines „Nischenmarkts“ bereits sehr deutlich verlassen. Das Anlagevolumen in diesem Marktsegment in Deutschland wächst signifikant. Einen überproportionalen Anteil realisieren
dabei Investmentfonds (vgl. Abb.) Nachhaltige Investments sind bei Finanzinvestoren beliebt, führen sie doch zu regelmäßigen, stabilen Cashflows, insbesondere in Märkten mit einer politischen Motivation und Förderung des „Ecological Investments“, z. B. in Deutschland, Frankreich oder der Schweiz.

Strategien der Energieunternehmen

Naturgemäß wäre der Energiesektor infolge seiner Wertschöpfungsketten
und Kompetenzen der Kristallisationspunkt für die Energiewende. Energieunternehmen und Stadtwerke sind als Infrastrukturdienstleister unverzichtbar. Eine traditionelle Fokussierung auf Versorgungssicherheit
ist dabei allerdings nicht mehr ausreichend, gefordert sind auch Innovationen und Lösungen für Digitalisierung, Mobilität, Ökologie, Sektorenkopplung
und urbane Entwicklung.

Bei diesen neuen Themen sind traditionelle Energieunternehmen in vielen Fällen überfordert. Zwar bringen sie Marktkenntnisse, Kundenzugang und technische Kompetenzen mit. Gleichzeitig haben die Energieunternehmen
aber meist einen regionalen Fokus und ihre Organisation ist nur unzureichend auf dynamische Veränderungsprozesse ausgerichtet. Technologische Neuerungen erfordern aber eine überregionale oder sogar internationale Perspektive und ein dynamisches Vorgehen. Viele Energieunternehmen reagieren erst spät und lösen sich nur zögerlich von ihrem klassischen, reaktiven Geschäftsmodell.

Die zweite Phase der Energiewende ist von neuen Märkten, sich wandelnden Kundenanforderungen und neuen Technologien geprägt. Zukünftig erfolgreiche Energieunternehmen müssen konsequent von Anpassung auf Gestaltung umschalten, um unter dem Druck der Öffentlichkeit, der Gesellschafter und der Investoren zukunftsfähig zu bleiben und ihr positives Image zu erhalten.

Einige zukunftsweisende Beispiele:

  • 50 Hertz: Projektfinanzierung mit bis zu 60% Fremdkapital über Green Bonds, im aktuellen ESG-Ratingbericht von Sustainalytics als „Outperformer“ eingestuft,
  • Swisspower: Schweizer Stadtwerke haben mit Swisspower Renewables eine Beteiligungsgesellschaft gegründet, welche international und unter Beteiligung eines Infrastrukturfonds in Anlagen zur Produktion von Erneuerbarer Energie investiert,
  • SWM: 80% Emissionsreduzierung bis 2040, bis 2025 Vollversorgung der Landeshauptstadt München aus eigenen Erneuerbaren Energieanlagen,
  • TenneT: Klimaneutralität bis 2025 beim CO2-Footprint (Netto-Emissionen in Tonnen CO2) in Umspannwerken sowie in den Bereichen Overhead und Mobilität,
  •  Verbund: Erster rein gemäß Nachhaltigkeit bewerteter, syndizierter Kredit in Höhe von 0,5 Mrd. EUR für Neubauprojekte weltweit, Umstellung aller langfristigen Anlagen zur Deckung der Ansprüche aus Pensions- und Abfertigungsansprüchen gemäß Nachhaltigkeitskriterien.

Während die meisten Energieunternehmen sich – oft nach anfänglicher Ablehnung – im Bereich der Erneuerbaren Energien engagieren, gibt es bisher nur geringe Investitionen der Energieunternehmen in neue Technologien. Innovative Lösungsangebote zur Energietransformation und
Sektorenkopplung für die Umlenkung der Kapitalströme zu nachhaltigen Investitionen sind oft noch Fehlanzeige. Auch der Aufbau eines leistungsstarken Innovations-Portfolios zu attraktiven Bedingungen steht erst bei wenigen Energieunternehmen auf der Tagesordnung, da noch viele Finanzinvestoren bei der Investition in neue Technologien von Mobilitätskonzepten über Energiespeicherlösungen bis hin zu digitalen Geschäftsmodellen zögern. Bei neuen Themen
überwiegt die berechtigte Sorge, dass der erste Investor das Lehrgeld für die ganze Energiebranche bezahlen muss.

Lösungsansätze im Rahmen eines Ecosystems

Greta Thunberg irrt sich gewaltig mit ihrem Statement, dass Energieunternehmen „noch nichts getan hätten“. Aber sie belegt eindrucksvoll, dass Energieunternehmen sich in dieser Hinsicht ausgesprochen ungeschickt vermarkten. Grundlegende Fakten: Im 1. Quartal 2020 wurde
der Bruttostromverbrauch in Deutschland durchschnittlich zu 52 % durch Erneuerbare Energien gedeckt, jeder 2. Beschäftigte der Energiewirtschaft ist bereits im Bereich Erneuerbare tätig. Die Energiewende wird nicht durch das Schüren von Zukunftsängsten vorangebracht, sondern durch systematische Initialisierung und Förderung einer gesellschaftlichen Begeisterung für nachhaltige Technologien.

In diesem Kontext ist der Lösungsraum für die auch zukünftig erfolgreiche, strategische Zusammenarbeit von Energie- und Finanzunternehmen im Rahmen eines Ecosystems zu finden. Für innovative Energielösungen mit
technologischen Entwicklungsrisiken besteht ein hoher Kapitalbedarf. Da zukunftsweisende Innovationen häufig im Keim erstickt werden, gilt es, dieses Dilemma zu durchbrechen. Einige essentielle Lösungsansätze zur Arbeitsteilung und Zusammenarbeit zwischen institutionellen Investoren und Energieunternehmen sollen hier beispielgebend genannt werden:

  • Entwicklung integrierter Systemlösungen für Energieeffizienzsteigerung, Energiekosten- und Emissionssenkung
  • Risikoausgleich bei Investitionen in innovative Technologien durch deren „Beimischung“ in „klassische“EE-Funds
  • Flottenlösungen durch Paketierung mehrerer nachhaltiger Kleinprojekte zur Erreichung attraktiver Investitionsvolumina
  • Kompetenzcenter-Ansatz im Konzernverbund bzw. Anlageportfolio,  d. h. Fokussierung einzelner Entitäten auf spezifische Technologien und Innovationen
  • Burden Sharing durch Forschungs- und Entwicklungs- Koordination (analog zur Aufgabenteilung bei der Entwicklung alternativer Antriebsformen in der Automobilindustrie),
  • Vorkaufsrechte bei neuen Projekten als Gegenwert für die Übernahmeon Investitionsrisiken bei neuen Technologien

Infolge der Vielfalt und Komplexität der unterschiedlichen Ausgangssituationen und Gestaltungsoptionen gibt es aber keine allgemein gültigen Lösungsansätze. Erfolgreiche Strategien für die Zusammenarbeit von Finanz- und Energieunternehmen sind maßgeblich durch eine „zielorientierte Konzertierung“ aller relevanten Stakeholder und Strategien mittels neutraler Moderation charakterisiert.

Anfragen an die Autoren unter: www.celron.eu, www.finadvice.eu

Quelle: Statista