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06.07.2018 14:05 Alter: 6 yrs

E-Fuels wichtig für das Erreichen der Klimaziele

Flüssige erneuerbare Kraft- und Brennstoffe sind für eine weitgehend treibhausgasneutrale Energieversorgung unverzichtbar. Perspektivisch könnten sie zu wettbewerbsfähigen Preisen angeboten und so zu einer zusätzlichen Option für mehr Klimaschutz werden. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie der Prognos AG: „Status und Perspektiven flüssiger Energieträger in der Energiewende“, die u.a. mit dem Mineralölwirtschaftsverband erstellt wurde.


Wir sprachen mit Prof. Dr.-Ing. Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer des MWV Mineralölwirtschaftsverband e. V. zu den Hauptaussagen der Studie.
Foto: Pedro Becerra

Prof. Küchen, welchen Anstoß gab es für diese aktuelle Studie?

Die Ziele des Pariser Klimaabkommen Ende 2015 sind so ambitioniert, dass in allen Sektoren von der Industrie, über die Energieerzeugung, Mobilität und Wärmesektor bis zur Landwirtschaft massive Veränderungen erforderlich werden. Natürlich gilt das auch für die deutsche Mineralölwirtschaft. Die Reduktion von Treibhausgasen ist neben einer sicheren und bezahlbaren Energieversorgung das zentrale Anliegen geworden. Die Studie soll aufzeigen, welche Klimaschutz-Potenziale in unserer Branche und den flüssigen Energieträgern stecken. Ausgangspunkt war und ist, dass aus Sicht von Verbrauchern und Wirtschaft flüssige Energieträger auch langfristig nicht ohne weiteres zu ersetzen sind.

Warum wurde der Fokus auf flüssige Energieträger und Rohstoffe gelegt?

Flüssige Energieträger und Rohstoffe haben heute und auch in Zukunft erhebliche Bedeutung. Sie sind gut speicher- und transportierbar und ihre chemischen Eigenschaften machen sie sehr vielseitig einsetzbar. Für bestimmte Anwendungen gibt es heute keine realistische Alternative. Nicht umsonst decken flüssige Energieträger heute ca. 98 % des Endenergiebedarfs im Verkehrssektor in Deutschland. Sie bilden darüber hinaus die Grundlage für wichtige industrielle Wertschöpfungsketten. Raffinerien sind eng vernetzt mit der chemischen Industrie, die ca. 75 % Ihres organischen Rohstoffbedarfs mit Mineralölprodukten deckt. Dieser enge Verbund trägt in hohem Maße auch zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit der genannten Branchen bei.

Welche Untersuchungsschwerpunkte setzte die Studie?

Zum einen wollten wir feststellen, welche Bedeutung Mineralöl heute als Energieträger und Rohstoff für Deutschland hat und was daraus für das Ziel einer weitgehend treibhausgasneutralen Zukunft folgt: Knapp zwei Drittel des Mineralöls werden im Verkehr einschließlich Schiffen und Flugzeugen eingesetzt, 22 % des Mineralöls wird nicht energetisch, sondern stofflich genutzt, der größte Teil davon als Chemierohstoff, aber auch Schmierstoffe und Bitumen sind weitere wichtige Produkte. Schließlich werden 17 % zur Wärmeerzeugung in Gebäuden als auch in Industrieprozessen genutzt. Wesentliche Mengen davon sind auch langfristig nicht durch Strom zu ersetzen.

Will Deutschland sein klimapolitisches Ziel einer 80- bis 95-prozentigen Reduktion der Treibhausgase erreichen, müssen flüssige Energieträger zunehmend treibhausgasreduziert herzustellen sein. Wie das gelingen könnte, dieser Frage gilt das Hauptaugenmerk der Studie.

Ist die Herstellung treibhausgasneutraler flüssiger Kraftstoffe technisch gelöst?

Eindeutig ja. Der wesentliche Prozessschritt ist die Herstellung von Wasserstoff durch Elektrolyse von Wasser mit Hilfe von erneuerbarem Strom. Der nächste Schritt, die Synthese von flüssigen Kohlenwasserstoffen aus Wasserstoff und erneuerbarem Kohlenstoff in Form von CO oder CO2 ist seit Jahren großtechnisch erprobt. Der Prozess heißt Power-to-Liquid, kurz PtL. Aber natürlich gibt es Optimierungsbedarf bei Einzelschritten und dem Zusammenspiel der jeweiligen Prozesse. Das Ziel muss sein, die Gesamteffizienz zu steigern und die Kosten pro Liter flüssigen Kraft- oder Brennstoff zu senken. Das gelingt nur, wenn solche Anlagen auch großtechnisch gebaut werden.

Damit stellt sich die Frage nach einer perspektivisch kostengünstigen Produktion?

Das Ergebnis der Studie stimmt uns mit Blick auf den Klimaschutz mit flüssigen Energieträgern hoffnungsvoll: Aus heutiger Sicht könnte PtL im Jahr 2050 zu Kosten zwischen 70 Cent je Liter, wenn die Standortbedingungen optimal sind, und rund 1,30 Euro je Liter erzeugt werden. Damit wäre PtL für Verbraucher je nach Anwendung gegenüber rein strombasierten Lösungen preislich wettbewerbsfähig. Voraussetzung hierfür ist ein Einstieg in die PtL-Technologie im großen Stil. Zudem müsste ein Großteil des treibhausgasneutralen synthetischen Rohöls E-Crude aus sonnen- und windreichen Gegenden wie Südeuropa, Nordafrika oder der Golfregion kommen. Denn dort ist der Produktionsfaktor grüner Strom günstiger. Aber es wäre ohnehin ein großer Fehler, wenn wir glauben, als Exportweltmeister auf Energieimporte verzichten zu können.

Die Studie legt auch Wert auf die Verbrauchersicht, warum?

Ich will ein Beispiel nennen: Bei der individuellen Mobilität könnte der Kunde bei Einhaltung der klimapolitischen Vorgaben künftig die Wahl haben zwischen einem E-Fahrzeug mit wachsenden Anteilen erneuerbaren Stroms und einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor, bei dem zunehmend erneuerbare Kraftstoffe wie z. B. PtL eingesetzt werden. Die Studie zeigt, dass für Mobilität und Wärme nicht nur entscheidend ist, was Politik will, sondern auch, was die Bürger wollen. Dabei ist neben den Kosten auch von Bedeutung, ob eine Lösung für den Kunden in seiner individuellen Situation komfortabel und praktikabel ist.

Welchen Klimabeitrag können E-Fuels leisten?

Einen erheblichen, um nicht zu sagen: entscheidenden. Allein der internationale Luftund Schiffsverkehr Deutschlands benötigt demnach im Jahr 2050 ca. 550 Petajoule Energie. Wird PtL in allen Sektoren eingesetzt, werden trotz erheblicher Effizienzsteigerungen bis zu 2000 Petajoule gebraucht. Weitere rund 500 Petajoule könnten Rohstoff für die Chemie sein.
Zum Vergleich: Aktuell beträgt der Energiebedarf Deutschlands rund 13.500 Petajoule pro Jahr. Das bedeutet: Nur mit Hilfe von E-Fuels sind die ehrgeizigen globalen und deutschen Klimaziele erreichbar. E-Fuels sind ja letztlich nicht nur auf Deutschland beschränkt.

Welches Fazit zieht die Studie?

PtL-Energie ist für eine weitgehend treibhausgasneutrale Energieversorgung nach heutigem Wissen unverzichtbar. Flüssige Energieträger mit PtL sind anschlussfähig an die heute vorhandene Infrastruktur und sie können aus Sicht der Verbraucher gegenüber strombasierten Lösungen preislich wettbewerbsfähig sein. Sie bieten Verbrauchern so eine zusätzliche Option. Wir müssen heute beginnen, Rahmenbedingungen für den Markthochlauf in der nächsten Dekade zu schaffen.

Und wann soll der Start erfolgen?

Der Start ist bereits erfolgt, es gibt laufende Projekte von Dresden über die Schweiz bis Norwegen, natürlich noch im kleinen Stil. Um diese Option weiterzuentwickeln und rechtzeitig ausreichende Mengen verfügbar zu haben, ist ein allmählicher, aber stetiger Markthochlauf erforderlich. Hierfür sind – je nach Phase – verschiedene regulatorische Maßnahmen notwendig. Das heißt: Wir brauchen die Unterstützung der Politik auf deutscher und auf europäischer Ebene. Unternehmen und Wissenschaft sind ihrerseits gefragt, Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen zu erhöhen.

Weitere Information zur Studie unter: Opens external link in new windowwww.mwv.de