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26.09.2014 12:07 Alter: 10 yrs

Digitalisierung - Wenn Amazon, Zalando & Co. Strom und Gas verkaufen würden: Neue strategische Herausforderungen

Neben der strukturellen und finanziellen Bewältigung der Jahrhundertaufgabe „Energiewende“ sowie der Anpassung an erheblich erweiterte regulatorische Anforderungen müssen sich Energieversorger um die Adaptierung ihrer Geschäfts- und Vertriebsmodelle an die neuen technologischen Welten kümmern. Die Gefahr entsteht durch neue ‚virtuelle’ Konkurrenten, die mit bereits bestehenden, überregionalen Kundenbeziehungen sowie rein digitalen Marketing- und Vertriebsstrukturen die klassischen Energieversorger bedrohen: Die Digitalisierung als strategische Herausforderung der Energiewirtschaft. Auf diesen wichtigen Aspekt bei der Transformation von Energieversorgern verweist Maik Neubauer, Managing Partner, The Executive Partners Group in seinem Gastbeitrag.


Fotos: The Executive Partners Group

Amazon, Zalando & Co verkaufen (noch) keine Energieprodukte. Obwohl sie über weltumspannende Kontakt- und Vertriebsnetzwerke sowie eine gigantische und zudem kosteneffiziente Marketingmaschine verfügen, bieten diese Giganten keine Energieprodukte für den Retailkunden an. Der Hauptgrund für diese vornehme Zurückhaltung dürfte zum einen im hochkomplexen, regulatorischen und leitungsgebundenen Umfeld der Energieindustrie liegen – zum anderen in den sehr geringen Margen, die das Energieretailgeschäft aktuell bietet. Auch wenn die Internetgiganten derzeit als Konkurrenten keine Rolle spielen, sollten die Energieversorger die Mammutaufgabe der Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle sowie der nachgelagerten, operativen Strukturen auf die strategische Agenda nehmen.

Energieversorger auf der ganzen Welt müssen sich derzeit neu erfinden. Die Erwartungen der Kunden steigen, technologische Entwicklungen initiieren dramatische Änderungen in Geschäftsmodellen und Kernprozessen und die regulatorischen Transparenzanforderungen, verbunden mit veränderten Marktkräften von den Erzeugungsstrukturen bis zu den Endkunden zwingen die Versorger zu radikalem Kurswechsel.

Die ehemaligen ‚Grundversorger’ müssen sich dem Wettbewerb frontal stellen. Viele haben bereits ihre lange Reise zu einem erheblich verbesserten Kundenservice und neuen Produktangeboten ‚behind-the-Meter’ gestartet. Ziel ist, die Anforderungen der ‚neuen’ Generation von Energiekunden zu befriedigen. Die Versorger müssen daher eine hohe Servicequalität in den aktuellen Prozessen sicherstellen und sich gleichzeitig um die Kernkompetenzen und die Innovationen in den Geschäftsmodellen der Zukunft kümmern.

Verschlafen die Versorger die mobile Revolution?

Durch die rasant verlaufende mobile Revolution sind zunehmend auch die einst ‚wechselträgen Stammkunden’ besser informiert und stärker miteinander vernetzt. Einfach zu bedienende Technologien, die auf ‚Smart-Meter-Technologie’ aufsetzen, machen Energienutzung und den Grad der persönlichen Energieeffizienz plötzlich ‚erlebbar’. Jeder kann über mobile Apps seinen Energieverbrauch kontrollieren und steuern und das von fast jedem Ort der Welt. Kombiniert mit modernster Smart-Home-Technologie rückt das einst ‚intangible Asset’ Energie wieder in das Bewusstsein der Endkunden.

Anfangs noch belächelte Social Media Foren entwickeln sich zu geschäftsrelevanten Kommunikationsplattformen, die in modernen Marketing-, Vertriebs- und Servicestrategien berücksichtigt werden müssen.

 Kurzum – Energieversorger ohne Strategie für eine integrierte Digitalisierung ihrer Kernprozesse katapultieren sich mittelfristig selbst aus dem Markt. Das technische Upgrade von Millionen von ‚Zählpunkten’ durch Smart- Meter bildet für eine umfassende Transformation des Geschäftsmodells leider nur die notwendige Infrastrukturbasis.

Digitalisierung – Von der Infrastruktur in die mobile Zukunft

Das heutige Modewort ‚Digitalisierung’ ist nicht neu. Es treibt Geschäftsführer sowie ihre CIO’s und Prozessverantwortlichen schon seit Jahrzehnten an, die IT-Infrastruktur sowie die Kernanwendungen im Unternehmen kontinuierlich zu optimieren. Die rapide Entwicklung des Internets, der mobilen Technologien und Plattformen, kombiniert mit unaufhaltsam ansteigender Datenund Informationsflut zwingen die Verantwortlichen jedoch zu einer massiven Beschleunigung bei Anpassung der Geschäftsprozesse.

Der Endverbraucher und die vielfältigen Interaktionsmöglichkeiten mit dem Unternehmen stehen plötzlich ganz oben auf der Liste, da die Kunden, analog zu ihren Erlebnissen bei Google und Amazon, einen ‚Real-Time-Service’ von ihren Energieversorgern erwarten.

 Die digitalen Kanäle zu den Kunden werden für die Versorger, statt eines ursprünglich zusätzlichen Vertriebskanals, zur primären Schnittstelle für die Interaktion mit ihren Bestands- und Zielkunden. Vom Absetzen der ersten Werbeund Marketingkampagne, über die reibungslose Abwicklung des Verkaufs- und Wechselprozesses, dem Vertrieb von zusätzlichen Produkten und Dienstleistungen, bis hin zur kontinuierlichen Erfolgsmessung ihrer Aktivitäten per direktem Feedback aus dem Internet bildet diese Schnittstelle ein umfassendes Tor zum Kunden.

Forrester Research schätzt, dass im Jahr 2016 bereits mehr als die Hälfte der weltweiten Kaufentscheidungen von Retailkunden über digitale ‚Touchpoints’, d. h. die Interaktion mit Internetinformationen und Angeboten beeinflusst werden. Diese Entscheidungsevolution wird sich auch auf das Kundenverhalten im Energiesektor auswirken. Der Einfluss von Vergleichsportalen wie Verivox & Co. ist hier nur als ein erster Schritt zu werten.

Aus Big Data wird Smart Data

Auch Schlagworte wie ‚Big Data’ und ‚Analytics’ tauchen immer öfter in der strategischen Diskussion von Energieversorgern auf. Positiv ist, dass Stadtwerke und Energieversorger bereits über eine Fülle von nützlichen Informationen über ihre Kunden verfügen. Diese über lange Zeit und in verschiedensten Systemen und Datenbanken gespeicherten Informationen gilt es im Unternehmen zu bündeln und für einen effizienten Serviceprozess sowie zukünftige Marketing-, Branding- und Kundenbindungsmaßnahmen nutzbar zu machen. Der erste Schritt besteht darin, zunächst bereits vorhandene Informationen zu identifizieren, aussagekräftig zu verbinden und mit zusätzlichen Verhaltensinformationen aus internetbasierten Quellen (z. B. Blogs, Social Media Plattformen, eigenen Feedbackkanälen etc.) nachhaltig anzureichern. Auf diesem Weg bauen sich die Versorger bereits in kurzer Zeit wertvolle und für ihr Geschäftsmodell relevante Datenbestände auf, die mit einem hohen Mehrwert im zukünftigen Dialog mit den Kunden über verschiedene Kanäle verwendet werden können. Entsprechende Analysesysteme, die aus Kundendaten rechtzeitig das Potential für zusätzliches Geschäft oder ein langfristiges Kundenverhältnis filtern und somit den Marketing- und Vertriebsprozess wesentlich erleichtern, sind bereits am Markt verfügbar und mit vorhandenen Datenstrukturen kombinierbar.

Nur wenige Versorger haben derzeit ausreichende Informationen über das individuelle Kundenverhalten (Zielseiten im Informationsprozess vor einem Anbieterwechsel, Verhalten im Angebots- und Wechselprozess, Dropout- Ratio, Kommunikation mit dem Kundenservice über verschiedene Kanäle etc.) in der Interaktion mit ihrem Unternehmen gesammelt oder analysiert.

Die meisten Kennzahlensysteme beschränken sich auf Kundenzuwachs oder Verlust und sind somit nicht ausreichend um die Positionierung im Wettbewerb nachhaltig zu unterstützen.

Agile Orchestrierung der internen Funktionen

Auf dem Weg zur effizienten und erfolgreichen Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle sollten die Versorger ihre bisherigen Stärken nutzen, d. h. der unmittelbare Zugriff auf eine meist stabile und treue Kundenbasis, eine relativ geringe Wechselanfälligkeit und starke regional verankerte Marken.

Diese positiven Wettbewerbsfaktoren müssen jedoch aus der ‚schönen alten’ Energiewelt mit einfachen Strukturen in die neue ‚Multi-Market – Multi-Channel’ Welt überführt werden, um auch eine neue Generation von Energiekunden langfristig zu binden. Dazu bedarf es neuer Strategien sowie technischer Konzepte, die in hoher Geschwindigkeit entwickelt und umgesetzt werden müssen. Es bedarf agiler Methoden und Teams, die orchestriert und interdisziplinär im Unternehmen in Projekten zusammenarbeiten. Und es bedarf einer Modernisierung der Entscheidungs- und Kooperationsstrukturen in den Unternehmen, um diese neue Welt proaktiv zu etablieren.

Die ‚alte’ Digitalisierung war vor allem eine kontinuierliche Anpassung der ITStrukturen. Die ‚neue’ Digitalisierung der Geschäftsmodelle ist ein risikobehafteter Weg, auf dem die Versorger oft von neuen Trends überrascht und technischen Entwicklungen überholt werden. Manche Wege werden sich dabei als Sackgassen erweisen, in denen viele Unternehmensressourcen unnötig eingesetzt werden. Neue Konkurrenten werden den Weg kreuzen und versuchen die herkömmlichen Geschäftsmodelle über die virtuelle ‚Hintertür’ anzugreifen. Die ‚neue’ Digitalisierung ist daher eine strategische Herausforderung für das gesamte Führungsteam, die jedoch Chancen bietet das Kundenpotential für Energieversorger überregional zu erweitern, die internen Strukturen und operativen Kosten dabei zu verschlanken sowie gleichzeitig auf die neuen Kundenerwartungen auszurichten.

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