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< Dezentrale Energielösungen - Missing Link der Energiewende
09.12.2019 12:23 Alter: 5 yrs
Kategorie: Nachhaltigkeit

Digitalisierung funktioniert nicht von oben nach unten


Dr. Stephan Lowis

Dr. Stephan Lowis, Vorstandsvorsitzender der envia Mitteldeutsche Energie AG (enviaM), Chemnitz, gilt als glühender Verfechter der Digitalisierung der Energiewende. Wir sprachen mit ihm über Voraussetzungen und Hemmnisse und die Stimmung in Ostdeutschland.

Herr Dr. Lowis, welche Rolle spielt die Digitalisierung für die Weiterentwicklung der Energiewende?

Ohne Digitalisierung wird es keine Weiterentwicklung der Energiewende geben. Wollen wir den Strom- mit dem Wärme- und Verkehrssektor koppeln, sind wir auf eine Digitalisierung der Energieversorgung angewiesen. Denn nur sie liefert die notwendigen Daten und die darauf aufbauende Infrastruktur. Die Digitalisierung verbessert nicht nur den Klimaschutz. Sie hilft auch, die mangelnde Akzeptanz der Verbraucher für die Umsetzung der Energiewende zurückzugewinnen, in dem sie die Energieversorgung für die Kunden einfacher, transparenter und effizienter macht.

Was ist entscheidend für den Erfolg der Digitalisierung?

Entscheidend für erfolgreiche Digitalisierung sind weniger neue Technologien, Strukturen und Prozesse. Ausschlaggebend ist vielmehr eine digitale Haltung. Die richtige Haltung kann sich nur dann entwickeln, wenn wir die Digitalisierung als positive Erscheinung verstehen und darauf aufbauend Akzeptanz und Vertrauen für die dann notwendigen Veränderungen schaffen.

Digitalisierung funktioniert nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben. Ideen entstehen vor allem am Arbeitsplatz und nicht am Vorstandstisch. Wir müssen Hierarchie- und Bereichsdenken hinter uns lassen, vernetzter miteinander arbeiten. Entscheidungen schneller und einfacher treffen. Ein Beispiel ist unser Projekt enviaMacher. Hier nehmen wir uns als Vorstand einmal im Monat Zeit für unsere Mitarbeiter. Sie können uns ihre Projekte vorstellen und erhalten von uns bei Zustimmung sofort eine Freigabe und die dafür notwendigen Mittel. Dieses Format zeigt aber auch, dass wir Digitalisierung nicht einkaufen, sondern als Unternehmen selbst entwickeln und vermarkten müssen.

Wo steht die Energiewirtschaft bei der Umsetzung der Digitalisierung?

In der Energiewirtschaft ist die Euphorie mit Blick auf die Digitalisierung groß. Die Branche rechnet laut einer aktuellen BDEW-Studie* bis 2025 mit Umsatzsteigerungen von 7,7 Milliarden Euro und Kosteneinsparungen von 7,8 Milliarden Euro. Allerdings werden sich diese Erwartungen nur erfüllen, wenn wir entschlossen den Vorwärtsgang einlegen.

Momentan steckt die Digitalisierung vielfach noch in den Kinderschuhen. Nur jeder zweite Energieversorger hat eine Strategie für die Digitalisierung; nur jeder vierte einen klaren Fahrplan. Jedes zweite Unternehmen bietet inzwischen verbraucherfreundliche Online- Kundenportale an; jedes dritte wertet Kundendaten systematisch aus.

Aber nur jeder fünfte Betrieb befindet sich bei der Automatisierung der Geschäftsprozesse im fortgeschrittenen Stadium und weniger als jeder zehnte nutzt Anwendungen zur künstlichen Intelligenz, so die BDEW-Studie weiter. Ein Beleg, dass es in der Energiewirtschaft mancherorts noch immer an Offenheit und Schwung für die Digitalisierung fehlt. Im Klartext heißt dies: Wir müssen nicht länger reden, sondern ins Machen kommen.


Was tut die enviaM-Gruppe für die Digitalisierung der Energieversorgung in Ostdeutschland?

Wir treiben die Digitalisierung der Energiewende in Ostdeutschland voran und haben dafür 2019 ein Investitionsprogramm in Höhe von 250 Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre aufgelegt. Schwerpunkte sind der Ausbau der Strom- und Glasfasernetze, die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeiter sowie die Verstärkung der Zusammenarbeit mit Hochschulen und Startups.

Der Ansatz, den wir dabei verfolgen, ist aus bestehenden Daten mehr zu machen. Dabei schauen wir uns verstärkt an, was andere, auch Branchenfremde, mit Daten tun. Damit einher geht auch ein neues Selbstverständnis. Unser Anspruch ist es, nicht mehr nur Energiedienstleister, sondern auch Infrastrukturdienstleister für die Energiewirtschaft und andere Wirtschaftszweige zu sein.

Ein Beispiel für neue Produkte und Dienstleistungen ist unser neuer digitaler Stromzähler, den wir mit einer App ausgestattet haben. Dank App können sich unsere Kunden ihren Stromverbrauch und ihre Stromkosten für alle Geräte im Haushalt genau aufschlüsseln lassen. So erkennen sie sofort, wer ihre Stromfresser sind und sie können ihr Verbrauchsverhalten entsprechend anpassen. Oben drauf gibt es als Dankeschön für den Kauf des Produkts eine Happy Hour, in der sie den Strom günstiger beziehen.

Unterstützt die Politik ausreichend die Digitalisierung der Energiewende?

Hier gibt es noch viel Luft nach oben. Ein typisches Beispiel ist die Anreizregulierung für Netzbetreiber, die Investitionen in digitale Technologien im Netz nach wie vor nicht ausreichend belohnt. Dies belegt beispielhaft, dass wir politisch bei der Digitalisierung der Energiewende noch lange nicht da sind, wo wir sein müssten.

Einmal im Jahr kommen Sie mit Entscheidern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft beim enviaM-Energiekonvent in Leipzig zusammen. Im September 2019 stand zum zweiten Mal in Folge das Thema Digitalisierung im Fokus. Was bringen solche Veranstaltungen?

Wichtig ist, den Dialog in Ostdeutschland zum Thema Digitalisierung zu fördern, für eine positive Haltung zu werben und sich ergebende Chancen zu vermitteln. Der Energiekonvent ist dafür ein ideales Format, wie die erneut sehr gute Resonanz bei unserer diesjährigen Veranstaltung gezeigt hat.

Sie haben die Ostdeutschen anlässlich des Energiekonvents auch zur Digitalisierung befragt, mit welchen Ergebnissen?

Die breite Mehrheit der Ostdeutschen hat erkannt, dass die Digitalisierung ihr Leben in Zukunft maßgeblich beeinflussen wird. Insgesamt überwiegen die positiven Erwartungen und Effekte deutlich die negativen. Für den Großteil der Bevölkerung macht die Digitalisierung Spaß (47 %) und Freude (37 %). Lediglich eine Minderheit verbindet mit ihr Sorgen (26 %) und Ängste (12 %).

Die größten Vorteile der Digitalisierung sind aus Sicht der Ostdeutschen, dass sie besser informiert sind (57 %) und ihren Alltag effizienter und produktiver (48 %) sowie spannender gestalten (39 %) können. Nur wenige meinen, dass die Digitalisierung ihr Leben fremdbestimmter (20 %) und stressiger (19 %) macht.

Unter dem Strich ist die Haltung der Ostdeutschen zur Digitalisierung sehr positiv. Dies ist von grundlegender Bedeutung. Denn nur wenn die Bevölkerung offen für die Digitalisierung ist und diese mitträgt, wird sie auch gelingen.

*BDEW-Studie „Digital@EVU 2019 – Wo steht die deutsche Energiewirtschaft?“. Die Studie kann auf der BDEW-Internetseite unter Opens external link in new windowhttps://www.bdew.de/energie/digitalisierung/digitalevu/ abgerufen werden.

Beim enviaM-Energiekonvent im September 2019 in Leipzig tauschten sich enviaM-Chef Dr. Stephan Lowis und seine Podiumsgäste mit rund 250 Teilnehmern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zum Thema Digitalisierung aus. Weitere Information unter www.energiekonvent.de