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08.05.2013 17:52 Alter: 12 yrs
Kategorie: Wirtschaftsfaktor Energie

Die widerspenstige Realität

Auf dem Gebiet der Energie kann der Fundus als altbewährt geltender und aum noch hinterfragter Überzeugungen um das eine oder andere erleichtert werden, so Dr. Johannes Teyssen, Vorsitzender des Vorstands der E.ON SE. In seiner Rede anlässlich der Handelsblatt-Tagung im Januar diesen Jahres, aus der wir hier zentrale Passagen dokumentieren, erlaubt er einen Blick in die Akte widerlegter Glaubenssätze und verweist auf Problemfelder, deren Lösung für den Fortgang der Energiewende auf der Tagesordnung stehen. Dr. Johannes Teyssen, Vorsitzender des Vorstandes der E.ON SE


Gas- und Dampfturbinenkraftwerk Plattling Foto: Rolf Sturm
Foto: Kai-Uwe Knoth

Im Jahr 2013 muss einiges revidiert werden, was lange Zeit als unanfechtbar galt. Zum Beispiel das oft gehörte Postulat: Fossile Energieträger werden schnell knapper und immer teurer. Amerika hat uns mit unkonventionellem Öl und Gas eines Besseren gelehrt und eine eigene „Energiewende „made in the USA“ hingelegt, die die neue globale Benchmark für eine klimafreundlichere und volkswirtschaftlich erfolgreiche Energiepolitik werden könnte. Schwer erschüttert ist quer durch Europa auch die Überzeugung, marktwirtschaftliche Prinzipien würden sich bei der ordnungspolitischen Gestaltung der Energieversorgung letztlich durchsetzen. Die in 2012 in vielen Ländern erlebte politische und regulatorische Intervention in Marktprozesse und deren Ergebnisse ist eher die Regel geworden, natürlich immer aus „guten Gründen“. Niemand kann behaupten, er hätte bereits verlässliche Antworten auf alle offenen Fragen. Das haben natürlich auch wir bei E.ON nicht. Die folgenden Thesen sollen ausschnittsweise den Stand unserer Analyse der Veränderungen in der globalen, europäischen und deutschen Energielandschaft widerspiegeln.

Europa ist derzeit in der Energie- und Klimapolitik nur eingeschränkt handlungsfähig

Der Europäische Binnenmarkt für Energie stockt; nationale Energiekonzepte dominieren mehr denn je. Eine aktuelle Analyse der niederländischen Environmental Assessment Agency hat die langfristigen Energiekonzepte von sechs europäischen Ländern –darunter Deutschland, Frankreich und Großbritannien – verglichen. Ergebnis: Europa kommt darin kaum vor. Und die potenziellen Effizienzgewinne in Milliardenhöhe aus europäischen Lösungen erreichen die Verbraucher nicht, sondern bleiben auf dem Tisch des nationalen Gerangels liegen.

Mit dieser fortschreitenden Renationalisierung werden zugleich die erreichten Fortschritte aus der ursprünglichen Liberalisierung und der europäischen Markt- sowie Wettbewerbsorientierung der Energiemärkte unter immer neuen politischen und regulatorischen Markteingriffen erdrückt.

Unsere deutschen Kunden jedenfalls profitieren anders als in fast allen anderen Branchen nicht von den Wettbewerbsprozessen eines europäischen Binnenmarkts für Strom und Gas. Polen kappt künftig buchstäblich die Stromleitungen nach Deutschland, um die eigenen Netze nicht mehr länger durch überschüssigen Windstrom aus Deutschland destabilisieren zu lassen. Tschechien will folgen. Gestern wollten wir noch neue Kuppelleitungen und paneuropäische Netze bauen, heute zerfällt das gemeinsame Netz am Egoismus der nationalen Interessen. Was könnte den Zustand des Binnenmarktes augenfälliger beschreiben?

Auch als ein Energieunternehmen, das mehr als andere auf das Zusammenwachsen der europäischen Energiemärkte gesetzt hat, müssen wir nüchtern feststellen: Das Ziel eines großen, einheitlichen, offenen und marktwirtschaftlich geprägten Binnenmarkts für Energie ist in weite Ferne gerückt. In Szenarien befassen wir uns erstmals seit der Jahrtausendwende mit dem energiepolitischen Scheitern eines gemeinsamen europäischen Markts für Strom und Gas und mit nationalen Alleingängen.

Die widerspenstige Realität

In die Akte widerlegter Glaubenssätze geht auch die einst verbreitete mediale Erwartung, man könne auf konventionelle Kraftwerke immer mehr verzichten, wenn man nur immer mehr und schneller Erneuerbare zubaue. Wind und Sonne allein würden bereits bald die alleinige Grundlage der Energieversorgung. Neben dem zunehmend unausgewogenen realen Mix in der Stromproduktion kommt die konventionelle Erzeugung, die schon durch die rezessionsbedingten Preis- und Nachfragerückgänge schwer getroffen ist, wirtschaftlich immer mehr unter Druck. Strategische Reserven aus Altkraftwerken, Kapazitätsmarktmodelle und die händeringende Suche nach neuen Investoren in neue Kraftwerksprojekte sind die neue Wirklichkeit. Der widerspenstigen Realität zum Opfer gefallen ist schließlich auch die kühne Ankündigung, die Energiewende koste den Verbraucher nicht mehr als einen Cappuccino im Monat. Selbst wenn wir von den Preisen für Nespresso-Kapseln ausgehen, kann man für die heute Wirklichkeit gewordenen Nebenlastendes Stromsystems in Deutschland ganze Jahrespackungen von Kaffee kaufen.

Gaskraftwerke vs. politische Klimabekenntnisse

Überholt ist wohl auch die früher fast als Selbstverständlichkeit geltende Ansicht, moderne Gaskraftwerke seien die klimafreundliche Alternative und der natürliche Partner der Erneuerbaren und deswegen immer ein gutes Geschäft. Jene Investoren und Betreiber, die entsprechende Klimabekenntnisse der europäischen Politiker ernst genommen haben, zahlen heute querdurch Europa einen hohen Preis - und das Klima zahlt gleich mit.

Die Lage vor allem der modernen und umweltfreundlichen Gaskraftwerke ist dramatisch: Die Margen aus der Gasverstromung sind bis nahe Null eingebrochen, die Auslastung der Kraftwerke sinkt zudem weiter stark. Eines unserer neuesten und effizientesten Gaskraftwerke bei Ingolstadt hat es im vergangenen Jahr nur auf gerademal 1.600 Betriebsstunden und kaum Margen gebracht. Üblich und nötig sind 4.000 Stunden - und die natürlich ausreichend profitabel. Nicht nur für Altkraftwerke, sondern auch für immer mehr effiziente neue Kraftwerke gilt inzwischen, dass Stilllegungen erwogen werden müssen.

Divergenz zweier Energiesysteme

Kein Unternehmen und kein Unternehmer kann Anlagen, die ihre Kosten nichterwirtschaften, lange halten. Die Politik muss klar sehen, was sich hier an Risiken für die Versorgungssicherheit zusammenbraut. Hier liegt nach meiner Überzeugung eines der derzeit größten Probleme der Energiewende. Ursache dieses Problems ist letztlich die gleichzeitige Existenz zweier völlig unterschiedlicher Energiesysteme, die unter den gegenwärtigen Bedingungen so nicht zusammenpassen und sich wechselseitig schwächen, anstatt ihre Stärken zu addieren.

Auf der einen Seite die erneuerbaren Energien: Sie sind noch unterschiedlich weit von der Wettbewerbsfähigkeit entfernt, wetterabhängig, teilweise weit von den Verbrauchszentren entfernt, subventioniert und mit Einspeisevorrang privilegiert. Alle politischen Versuche, sie in den Markt zu integrieren, sind bisher an massiven Lobbywiderständen gescheitert.

Auf der anderen Seite die konventionellen Kraftwerke: Sie sind relativ kostengünstig, weitgehend unabhängig vom Wetter, verbrauchs nah im Lande verteilt und stehen im Wettbewerb. Gut aufeinander abgestimmt, könnten beide Systeme sich positiv verstärken und ihre jeweiligen Aufgaben bestens erledigen.

Nachdem also in dieser Dichte spätestens 2012 in Europa Glaubenssätze widerlegt, Erwartungen enttäuscht und Einschätzungen revidiert wurden, scheint mir völlig klar, dass in Energiewirtschaft und Energiepolitik ein Umdenken auch im Grundsätzlichen notwendig geworden ist.