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14.07.2020 09:02 Alter: 4 yrs

Die Wärmewende ernsthaft voranbringen

Nach der durch die Corona-Krise ausgelösten wochenlangen Erstarrung erwacht der politische Betrieb wieder und die Regierung hat zu den Themen Wind- und Solarkraft wichtige Entscheidungen gefällt. Die Festlegung der Mindestabstände bei Windkraftanlagen und die längst überfällige Aufhebung des Förderdeckels für PV-Anlagen sind elementare Schritte, um in den kommenden zehn Jahren den Ökostrom-Anteil am Stromverbrauch von aktuell gut 40 Prozent auf 65 Prozent auszubauen.


Josef Hasler, Vorstandsvorsitzender N-ERGIE Aktiengesellschaft

„Die Bundesregierung beschreibt in ihrem Klimaschutzprogramm 2030 zwar die wirtschaftlichen und klimapolitischen Chancen, die mit der Umstellung der Nah- und Fernwärmenetze auf erneuerbare Energien und klimaneutrale Wärme
verknüpft sind. Doch leider bleibt die bisherige Ausgestaltung ihres Programms
weit hinter dieser Erkenntnis zurück.“ Josef Hasler

Wärmewende ist zentraler Bestandteil einer erfolgreichen Energiewende

Diese auf dem Stromsektor erkennbare neue Dynamik ist auch im Wärmemarkt dringend erforderlich – und zwar nicht trotz der Corona-Krise, sondern gerade wegen des durch die Pandemie verursachten konjunkturellen Einbruchs.
Denn die dort geleisteten Investitionen rechnen sich ökologisch und wirtschaftlich. Während der Strommarkt in Deutschland etwa ein Fünftel
des gesamten Endenergieverbrauchs ausmacht, beträgt der Anteil des Wärmemarkts 49 Prozent. Wer die Energiewende also auf die Stromwende verkürzt, lässt ein riesiges Einsparpotenzial außer Acht und wird trotz
des ambitionierten Ausbaus der erneuerbaren Energien die Klimaziele verfehlen.

Aktuell geht annähernd ein Fünftel der energiebedingten Emissionen auf Heizungen zurück. Dies sind rund 130 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr. Innerhalb der kommenden zehn Jahre muss dieser Wert auf jährlich 70
Millionen Tonnen, also auf annähernd die Hälfte sinken. Dämmen alleine genügt für die Erreichung dieses Ziels bei weitem nicht. Denn die Dämmung aller Gebäude würde weit über 1.000 Milliarden Euro kosten, und bei einer
Sanierungsquote von unter zwei Prozent jährlich dauert es Jahrzehnte, bis die Maßnahme greift.

Effizientester Ansatzpunkt: Heizung

Günstiger und schneller ist es, alte Heizungen zügig durch effiziente neue Heizsysteme zu ersetzen. Da Ölheizungen die höchsten Emissionswerte aufweisen, müssen Anreize geschaffen werden, diese durch – künftig zunehmend „vergrüntes“ – Erdgas oder hocheffiziente Fernwärme
zu ersetzen. Vor allem in den Ballungsräumen sind Fernwärmesysteme auf Basis von Kraft-Wärme-Kopplungs-(KWK-)Anlagen sowie Wärmespeicher für die Flexibilisierung des Brennstoffeinsatzes eine der Voraussetzungen für die Erreichung der Klimaziele. Unser Heißwasserspeicher beispielsweise, den wir in Nürnberg seit fünf Jahren betreiben, spart durch die Zwischenspeicherung von Energie jährlich rund 30.000 Tonnen CO2 ein.

Die Bedeutung der Kraft-Wärme-Kopplung liegt nicht nur in ihrer Effizienz. Sie leistet auch einen essentiellen Beitrag für die sichere Versorgung mit Strom und Wärme und zudem für die Netzstabilisierung. Um die Klimaziele
im Gebäudesektor erreichen zu können, muss jedoch die Dekarbonisierung von KWK-Anlagen durch den vermehrten Einsatz von Biomasse und Grüngas vorangetrieben werden. Unser Ziel muss es sein, den Kunden mehr klimaneutrale Wärme zu liefern, wie zum Beispiel durch den Einsatz von Großwärmepumpen zur Nutzung von Abund Umweltwärme. Aktuell macht in Deutschland bei der Gebäudebeheizung der Anteil der erneuerbaren Energien lediglich 14 Prozent aus. Dieser Anteil muss signifikant erhöht werden und zwar sowohl bei der KWK als auch beim Erdgas.

Beide Aspekte – die Umrüstung auf emissionsarme Brennstoffe und deren fortlaufende Dekarbonisierung – erfordern Investitionen. Dies machte auch die Kohlekommission deutlich. Sie mahnt in ihrem Abschlussbericht
stabile Rahmenbedingungen für Investitionen in moderne KWK-Systeme an, die eine Umrüstung von Kohle auf Erdgas ebenso umfassen wie die Schaffung technischer Voraussetzungen für den Einsatz von Grüngas und für die Nutzung von Abwärmepotenzialen.

Die Umsetzung im Entwurf zum Kohleausstiegsgesetz geriet aber so halbherzig, dass kaum Effekte zu erwarten sind. Und zwar schlicht, weil die Anreize für die erforderlichen Umrüstungen fehlen.

Investieren anstatt hohe Strafe an die EU zahlen

Dies ist umso unverständlicher, als diese verfehlte Anreizpolitik nicht nur zum fortgesetzten Klimawandel beiträgt, sondern dem Staat ganz unmittelbar teuer zu stehen kommt: Nach einer Prognose von Agora Energiewende
muss Deutschland bei Verfehlung der Klimaziele im Rahmen der Zielverteilungsverordnung (Effort Sharing- Regelung) der Europäischen Union mit Strafzahlungen an die EU in Höhe von rund 60 Mrd. Euro rechnen.

Vor diesem Hintergrund wäre eine Verdoppelung des im Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz (KWKG) vorgesehenen Budgets für Ausbau und Umrüstung von KWK-Anlagen und Wärmenetzen unter Einbeziehung von erneuerbaren
Energien und klimaneutralen Wärmequellen auf rund 3 Mrd. Euro gut angelegtes Geld.

Gemeinsame Forderungen

Zu Recht machen sich Organisationen, wie der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE), Agora Energiewende, der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) oder der Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK (AGFW) für eine Modifikation des KWKG im Kohleausstiegsgesetz
stark. Konkret plädieren sie zur Abdeckung der tatsächlichen Kosten und des erheblichen betriebswirtschaftlichen Risikos, das mit Investitionen in die Fernwärme verbunden ist, für eine Anhebung der KWK-Zuschläge um mindestens einen Cent pro Kilowattstunde über alle Größenklassen und die Anhebung der Deckelung bei der Förderung von Wärmenetzen und -speichern von den geplanten 40 auf 50 Prozent. Auch Fernwärme-Übergabestationen sind bei der Förderung mit zu berücksichtigen und der
Wärmebonus für Erneuerbare Energien auf Holz und Biomasse auszudehnen. Schließlich ist für eine bessere Planbarkeit die Laufzeit des KWKG bis mindestens 2030 zu verlängern.

Die Corona-Krise stellt für Deutschland auch eine Chance dar. Alle Ausgaben und investitionspolitischen Anreize müssen nun mehr denn je kritisch dahingehend geprüft werden, was sie zur Erreichung der mittel- und langfristigen Klimaziele und der Innovationskraft des Landes beitragen. Mit dem ernsthaften politischen Willen gehen wir gestärkt aus dieser Krise hervor – mit den Gewinnern Klimaschutz, Gesellschaft und Volkswirtschaft.

Foto: Annette Kradisch

Wärmespeicher der N-ERGIE in Nürnberg: Bereits eine Verdopplung des Fernwärmeanteils in Wohngebäuden bis zum Jahr 2030 könnte mehr
als 20 Mio. Tonnen CO2 im Gebäudebereich vermeiden und damit knapp ein Drittel der notwendigen Einsparungen abdecken. Nicht nur wäre damit das Risiko von Strafzahlungen bereits deutlich verringert, diese Investition würde auch zur Wertschöpfung in den jeweiligen Kommunen beitragen, insbesondere unter dem Aspekt des bereits jetzt historischen Konjunkturtiefs.