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Die Reserven im Netz sind aufgebraucht
Der größte regionale Verteilnetzbetreiber in Ostdeutschland, MITNETZ STROM, hat die partielle Sonnenfinsternis vom 20. März erfolgreich gemeistert. Die Zusammenarbeit mit dem Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz erfolgte reibungslos. Zugleich zeigte sich erneut, dass die Energiewende und der damit verbundene Ausbau der erneuerbaren Energien eine enorme Herausforderung für die Verteilernetze darstellt. Denn hier wird ein Großteil der erneuerbaren Energien in das Stromnetz eingespeist. Die Verteilernetze spielen deshalb eine Schlüsselrolle für die künftige Stromversorgung.
THEMEN|:magazin Energie sprach mit Dr. Adolf Schweer, Technischer Geschäftsführer der MITNETZ STROM, über die aktuellen Anforderungen an Verteilnetzbetreiber.
Herr Dr. Schweer, die Sonnenfinsternis zeigte keine Auswirkungen auf die Stromversorgung. Sind Sie erleichtert?
Bezogen auf die konkrete Situation und die damit verbundenen Anforderungen ohne Frage. Eine sichere Stromversorgung war jederzeit gewährleistet. Die Maßnahmen haben sich bewährt. Es gab keine nennenswerten Störungen. Dies ist alles andere als selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass die installierte Photovoltaik-Leistung in Deutschland bei rund 39.000 Megawatt (MW) liegt.
Die Zunahme der Einspeisung von erneuerbaren Energien macht den Ausbau der Stromnetze weiter dringend erforderlich. Wie ist MITNETZ STROM darauf eingestellt?
Wir planen auch 2015 enorme Ausbaumaßnahmen in unserem Stromnetz, das sich über Teile der Bundesländer Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erstreckt. Diese sind dringend erforderlich, denn die Reserven im Netz sind auf Grund der hohen Einspeisung von erneuerbaren Energien aufgebraucht.
Welchen Stellenwert hat für Sie der Einsatz intelligenter Netztechnologien?
Ebenso wie den Ausbau der Netze treiben wir auch den Einsatz intelligenter Netztechnologien voran. Ein Beispiel sind regelbare Trafostationen im Mittel- und Niederspannungsnetz. Ein anderes Beispiel ist der Einsatz von Hochtemperatur-Leiterseilen im Hochspannungsnetz mit einer Betriebs temperatur von bis zu 200 Grad Celsius, mit denen sich sehr viel größere Strommengen transportieren lassen. Auch im Forschungs- und Entwicklungsbereich spielen für uns intelligente Netztechnologien eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit den Hochschulen Anhalt, Merseburg und Mittweida untersuchen wir die Qualität intelligenter Messsysteme und testen diese in einem Feldversuch im brandenburgischen Rückersdorf auf ihre Tauglichkeit. Im Harz haben wir auf der Hochspannungsleitung zwischen Harzgerode und Rieder ein Freileitungs-Monitoring-System eingerichtet. 60 Stromsensoren erfassen hier den aktuellen Durchhang, die Temperatur und den Stromfluss der Hochspannungsleitung. Auf diese Weise lässt sich permanent die aktuelle Übertragungskapazität bestimmen. Dies gewährleistet eine optimale Auslastung.
Bei alledem müssen wir uns bewusst sein, dass uns intelligente Netztechnologien in Ostdeutschland bei der Umsetzung der Energiewende nur bedingt weiterhelfen. Wir haben aufgrund der vergleichsweise geringen Bevölkerungs- und Industriedichte sehr hohe Überschüsse von Strom aus erneuerbaren Energien, die vor Ort nicht verbraucht werden. Wir kommen deshalb am raschen Ausbau unserer Netze nicht vorbei. In Regionen wie West- und Süddeutschland sieht dies anders aus. Hier besteht aufgrund der sehr viel höheren Anzahl von Einwohnern und Unternehmen eine deutlich stärkere Strom nachfrage. Durch intelligente Netztechnologien wie die angesprochenen regelbaren Trafostationen lässt sich der Ausbau der Netze so häufig um Jahre verzögern. Dies ist in den neuen Bundesländern nicht möglich.
Wie hoch ist die maximale Einspeiseleistung der erneuerbaren Energien im Netzgebiet der MITNETZ STROM im Vergleich zum Energiebedarf der Kunden?
In unserem Netzgebiet steht einer maximalen Last von rund 3.400 MW schon heute eine maximale Einspeiseleistung aus erneuerbaren Energien von 7.200 MW gegenüber - Tendenz stark steigend. In wenigen Jahren werden wir eine installierte Einspeiseleistung von 13.000 MW haben. Das heißt, wenn dann an einem durchschnittlichen Wochentag die Last vielleicht 3.000 MW in der Spitze erreicht, müssen 10.000 MW Leistung abtransportiert werden. Unser Netz bekommt damit eine ganz andere Aufgabe. Aus Versorgungsnetzen werden Entsor gungs netze. Hier hilft nur die Investition in Kupfer und Aluminium, sprich der Netzausbau. Anders als in unseren Mittel- und Niederspannungsnetzen liegt die Lösung in unseren Hochspannungsnetzen nur im Netzausbau, da hier die Belastung der Betriebs mittel ausschlaggebend ist. Dafür benötigen wir die notwendigen wirtschaftlichen und regulatorischen Bedingungen.
Sind mit dem Netzausbau die Herausforderungen der Energiewende für das Netz der MITNETZ STROM gemeistert?
Allein damit ist es noch nicht getan. Für ganz Ostdeutschland erwarten wir in wenigen Jahren 45.000 MW Einspeiseleistung aus erneuerbaren Energien bei nur rund 12.000 MW maximaler Last. Eigentlich müssten deshalb mittelfristig alle konventionellen Kraftwerke ausgeschaltet werden. Dann wäre die Netz stabilität aber nicht mehr sichergestellt, weil die systemstabilisierende Wirkung der konventionellen Kraftwerke entfallen würde. Bis lang müssen sich Einspeiser aus erneuerbaren Energien an den Systemdienstleistungen, das heißt der Regelung der Spannung, der Leistung und vielen anderen Dingen, noch nicht beteiligen. Dies wird sich zwangsläufig ändern.
Heißt dies, dass wir in Ostdeutschland als dem „Labor der Energiewende“ das ges amte Versorgungssystem neu erfinden?
Ja, in der Tat. Das heißt es. Wir sprechen vereinfacht vom Flächenkraftwerk Verteilnetz, da hier künftig Millionen dezentraler Anlagen angeschlossen sind, die die Systemdienstleistungen zumindest anteilig mit erbringen müssen. Für dieses neue System müssen die Voraussetzungen erst noch geschaffen werden.
Was unternehmen Sie, um hier voranzukommen?
Wir haben gemeinsam mit den anderen großen Verteilnetzbetreibern in Ostdeutschland und dem Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz ein 10-Punkte-Programm zur Weiterentwicklung der Systemstabilität der Netze auf den Weg gebracht. Dieses Programm wird derzeit in ganz Deutschland aber auch in Europa in vielen Fachgremien bis hin zur EU-Kommission sehr interessiert diskutiert. Sehr erfreulich ist, dass auch die Verbände der erneuerbaren Energien wie etwa der Bundes verband der Windenergie diese Aktivitäten begrüßen.
Zusammengefasst ist die Botschaft des Programms, dass die Verteilnetzbetreiber mit dem Übertragungsnetzbetreiber und den angeschlossenen dezentralen Einspeisern eine neue Rolle erhalten: Die Verteilernetze entwickeln sich wie angedeutet zum Flächen kraftwerk. Hierfür sind neue Schnittstellen notwendig. Die Ein speiser von erneuerbaren Energien müssen in dieses System integriert werden. Dafür ist zunächst einmal das Verständnis in der Politik zu wecken. Danach müssen die entsprechenden Grund lagen zum Beispiel im Energiewirtschaftsgesetz geschaffen werden. Hier ist der §14, in dem die Aufgaben der Netzbetreiber geregelt werden, um den Begriff „Systemverantwortung“ und dessen Definition zu erweitern, um so die Relevanz der Verteilnetzbetreiber für die Sicherstellung der Systemstabilität gesetzlich zu verankern.
www.mitnetz-strom.de