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Kategorie: Nachhaltigkeit
Die Netzentgeltbefreiung – kurzes Leben, langes Leiden?
Der 6. März 2013 – ein schwarzer Tag für die Netzentgeltbefreiung nach § 19 II 2 der Stromnetznutzungsverordnung (StromNEV). An diesem Tag befand das Oberlandesgericht Düsseldorf, dass die Regelung, die für intensive Netznutzer mit mehr als 7.000 Vollbenutzungsstunden und einem Stromverbrauch von mehr als 10 GWh galt, nicht mit den gesetzlichen Grundlagen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) im Einklang stehe. Gleichzeitig eröffnete die EU-Kommission ein förmliches Beihilfeverfahren. Ein Fachbeitrag von Dr. Dominik Greinacher und Dr. Sebastian Helmes Rechtsanwälte und Fachanwälte für Verwaltungsrecht bei SCHOLTKA & PARTNER, Berlin
In einem hektischen Verfahren ersetzte der Verordnungsgeber die (erst 2011 eingeführte) Netzentgeltbefreiung durch eine bloße Netzentgeltermäßigung und rückte den Beitrag des Netznutzers zur Netzstabilität wieder in den Mittelpunkt. Dürften damit die Bedenken in Bezug auf vermeintliche Konflikte mit dem EnWG wohl vom Tisch sein, bleiben in europarechtlicher Hinsicht durchaus Zweifel. Dies könnte ganz erhebliche Folgen haben.
Entscheidung des OLG Düsseldorf
Das OLG Düsseldorf vertrat die Auffassung, eine Netzentgeltbefreiung im Verordnungswege sei rechtswidrig, weil das EnWG nur erlaube, das „Wie“, nicht aber das „Ob“ der Netzentgelte festzulegen. Das Gericht sah die Befreiung nicht als Netzentgelt, sondern quasi als „Netzunentgelt“ an. Dem hat sich im Ergebnis auch das OLG Nürnberg, nicht aber das OLG Jena, angeschlossen. In der Sache kann man sicherlich trefflich streiten. Ob individuelle Netzentgelte nicht auch solche in der Höhe „null“ sein können, ist offen. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Netzentgeltbefreiung im Zuge der „Energiewende-Gesetzgebung 2011“ durch den Gesetzgeber (und nicht etwa einem bloßen Verordnungsgeber) eingeführt wurde. In diesem Kontext hätte der Gesetzgeber ohne Weiteres auch die Verordnungsermächtigung im EnWG ändern können – was er aber offenkundig nicht für erforderlich gehalten hat. Das Verständnis des Gesetzgebers von der Reichweite einer Norm sollte aber bei der Interpretation durch die Gerichte berücksichtigt werden. Wie auch immer: es war wiederum der Gesetzgeber, der die entsprechende Vorschrift angesichts dieser Rechtsprechung änderte und die Netzentgeltbefreiung zu einer bloßen Netzentgeltermäßigung zurückstutzte: Nunmehr sind – je nach Nutzungsverhalten – Netzentgelte zwischen 10 und 20 % der allgemeinen Netzentgelte möglich, wobei künftig auch der Beitrag des Netznutzers zur Netzstabilität eine angemessene Berücksichtigung finden soll. Hierzu wird die Bundesnetzagentur noch eine Festlegung erlassen; das Konsultationsverfahren ist jüngst abgeschlossen worden. Mit diesen Änderungen dürfte den Bedenken der Rechtsprechung hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem EnWG in ausreichendem Maße Rechnung getragen sein – wenn man sie denn überhaupt für überzeugend hält.
Beihilfeverfahren der EU-Kommission
Ebenfalls am 6. März 2013 hat die Europäische Kommission der Bundesrepublik mitgeteilt, dass sie die Netzentgeltbefreiung als eine derartige Beihilfe ansieht und aufgefordert, hierzu Stellung zu nehmen. Der rechtliche Hintergrund: Europarechtlich sind Subventionen oder sonstige staatlich gewählte Begünstigungen als Beihilfen grundsätzlich verboten, sie können jedoch von der Kommission genehmigt werden. Gefährlich wird diese Auffassung nicht nur deswegen, weil – sollte sich die Kommission mit ihrer Auffassung durchsetzen – künftig jedenfalls die Finanzierung der Netzentgeltbefreiungen und -reduzierungen neu zu regeln wäre, wenn nicht gar die Regelung insgesamt unwirksam wird. Besondere Brisanz hat dieses Vorgehen vor allem, weil die Kommission grundsätzlich auch verlangen kann, dass die in der Vergangenheit gewährten Beihilfen, also die Netzentgeltbefreiungen oder –reduzierungen, zurück zu verlangen sind. Von den Merkmalen der Beihilfe sind im Zusammenhang mit der Netzentgeltbefreiung insbesondere zwei Aspekte besonders zu beachten: Zum einen stellt sich im Hinblick auf die Netzentgeltbefreiungen – oder nach novellierter Rechtslage: Netzentgeltreduzierungen – die Frage, ob diese überhaupt eine Begünstigung darstellen. Zum anderen wird intensiv diskutiert, ob es sich um staatliche Mittel handelt, wie es der Beihilfetatbestand vorsieht. Aus deutscher Sicht liegt eine Begünstigung nicht vor, weil die gleichmäßige hohe Stromabnahme eine netzstabilisierende Wirkung hat, die die Befreiung von den Netzentgelten bzw. die wesentliche Reduzierung der Netzentgelte rechtfertigt. In dieser netzstabilisierenden Wirkung liege also eine „Gegenleistung“ der stromintensiven Unternehmen. Allerdings müsste diese Gegenleistung auch die Höhe der Befreiung rechtfertigen, ein Aspekt, der in der Neuregelung der Regelung dadurch aufgefangen wird, dass die Bundesnetzagentur dies in einer entsprechenden Festlegung konkretisieren und als Grundlage für den Umfang der Befreiung näher bestimmen soll. Wesentlich größere Hürden wird die Kommission jedoch zu nehmen haben, wenn es um die Staatlichkeit der Mittel geht. Denn bekanntermaßen werden Netzentgeltbefreiungen und Netzentgeltreduzierungen nicht aus Haushaltsmitteln finanziert, sondern durch eine Umlage, die von allen übrigen Netznutzern zu zahlen ist. Die Kommission argumentiert insoweit, dass die Umlage gesetzlich und damit vom Staat auferlegt ist. Außerdem beruhe die Umlage auf einer Festlegung der Bundesnetzagentur und damit einer staatlichen Behörde, die unmittelbar regelnd eingreife. Diese Argumentation verwundert etwas, da die Umlage entsprechend dem Kraft-WärmeKopplungsgesetz funktioniert. Das System der KWK-Umlage hingegen hat die Kommission im Jahre 2000 ausdrücklich für unbedenklich erklärt. Abgesehen davon geht die Kommission von einem ansonsten fehlerhaften Verständnis der Netzentgeltregulierung aus. Sie schreibt u. a., dass die Entgelte zu genehmigen seien. Zudem versteht sie offenbar das Regulierungskonto als eine Art Bankkonto, das, so wörtlich „unter der Kontrolle und im Eigentum der BNetzA“ stehe. Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, ob sich die Kommission durch die Stellungnahme der Bundesregierung sowie betroffener Unternehmen oder Verbände aus Deutschland von ihrer Auffassung zur beihilferechtlichen Einschätzung abbringen lässt. Jedenfalls hat die Kommission die Änderung der Stromnetzentgeltverordnung und die Novellierung des Befreiungstatbestandes durch einen Rabatt-Tatbestand ausdrücklich begrüßt.
Politische Auswirkungen
Losgelöst von einer reinen rechtlichen Betrachtung zeichnet sich jedoch ab, dass die Kommission insgesamt verschiedene Hebel bemüht, um Einfluss auf die deutsche Energiepolitik zu gewinnen. So hat Energiekommissar Oettinger ausdrücklich formuliert, dass seine Generaldirektion eng mit der DG Wettbewerb, die für die Beihilfeüberwachung zuständig ist, zusammenarbeite. In dieses Bild passt auch, dass inzwischen die Finanzierung der Befreiung von der EEGUmlage, die sogenannte Besondere Ausgleichsregelung, und sogar die gesamte EEGFinanzierung in den beihilferechtlichen Fokus der Kommission gelangt. Selbst wenn am Ende das Ergebnis steht, dass diese Instrumente zwar eine Beihilfe sind, die jedoch aus Gründen zum Beispiel des Umweltschutzes genehmigt werden können, erhielte die Kommission dadurch die Möglichkeit, Einfluss auf alle kostenauslösende energiepolitischen Maßnahmen in Deutschland zu nehmen. Dies bedeutet noch nicht das Ende sämtlicher umlagefinanzierten Instrumente in Deutschland, wohl aber eine erhebliche Reduzierung der politischen Gestaltungsmöglichkeit der Bundesrepublik.
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