Nachricht
Die internationale Energie und Klimakrise überwinden
In einem Gastbeitrag plädiert er für den öffentlich bisher kaum diskutierten Weg zur Überwindung der internationalen Energie- und Klimakrise: Methanolökonomie und Bodenverbesserung können den Kohlenstoffzyklus schließen und weiteres Wachstum ermöglichen.
Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher, Professor für Datenbanken und Künstliche Intelligenz ist Vorstand des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung/n (FAW/n), Universität Ulm. Er gilt als einer der Väter der „Global-Marshall-Plan-Initiative“, die sich seit 2003 für eine gerechtere Globalisierung einsetzt und ist Mitglied des Club of Rome.
Foto: Thomas Klink
Die Welt muss sich ändern, wir müssen handeln! Klimawandel, Umweltverschmutzung, Zerstörung der Urwälder, aber ebenso Weltbevölkerungsexplosion, Armut und große Entwicklungs- und Wohlstandsanliegen: Die Probleme sind bekannt, Lösungen fehlen. Die Zukunft in den Bereichen Energie und Klima ist ein Thema, das zunehmend den gesellschaftlichen Diskurs beherrscht.
Proteste von Schülern und Jugendlichen bewegen die Gesellschaft. Das Thema ist schwierig. Was sollen wir tun? Was sind gesicherte Erkenntnisse? Aktuell fordert der Sonderbericht des Weltklimarat IPCC vom August 2019 über den Zusammenhang von Klimawandel und Landflächen, dass die Staaten im Kampf gegen die Erderwärmung ihre Wälder besser schützen und eine klimafreundlichere Landwirtschaft fördern.
Die Umsetzung nachhaltigen Handelns in allen Bereichen unseres täglichen Lebens ist nach wie vor eine Herausforderung, die uns nur selten gelingt. Die entscheidende Frage ist, auf welcher technischen Basis lassen sich die weltweit besehenden Erwartungen erfüllen und wie setzen wir den notwendigen Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft in Gang?
Der Mainstream
In der öffentlichen Debatte beherrschen heute leider Diskurseliten in Politik und Medien den Raum, die die globale Dimension der Herausforderungen meist ignorieren und wenig technisches Wissen mitbringen, ständig reden und kommunizieren, dafür finanziert werden und in der Folge rund um die Uhr die Kommunikationskanäle mit ihren Überlegungen fluten. Oft werden Weltuntergangsszenarien beschrieben, gerne auf demonstrierende Schüler verwiesen. Politikern, die nicht in diesen Kanon einstimmen, wird oft mit einer großer Arroganz und Besserwisserei die Lernfähigkeit abgesprochen.
Das mit vollster Überzeugung vorgeschlagene Programm zur Rettung der Welt ist dabei von großer Schlichtheit und würde uns voll gegen die Wand fahren. Raus aus der Kohle, rein in eine Welt der Elektroautos, Smart Grids, Umstieg aufs Fahrrad. Geschwindigkeitsbeschränkungen, Urlaub in Deutschland machen, kein Fleisch mehr essen, nicht mehr fliegen. Und Kohle wird per se verteufelt. Das Klimaproblem muss herhalten, um anderen Menschen den eigenen, als überlegen empfundenen Lebensstil aufzuzwingen.
Was ist zu tun?
Der Wohlstandsaufbau in den sich entwickelnden Ländern ist der eigentliche Treiber ansteigender CO2-Emissionen. In Afrika (und in erheblichem Umfang auch auf dem indischen Subkontinent) drohen die entscheidenden CO2-Zuwächse, die das zukünftige Bild bestimmen und uns in eine Katastrophe führen werden, wenn keine neuen technischen Lösungen entstehen. Die Emissionen in diesen Ländern mit ihren rasch wachsenden Bevölkerungen werden dann sogar diejenigen von China übertreffen. Und die chinesischen Emissionen übertreffen bereits heute die der USA, Europa und Japan zusammengenommen.
Wie kann unter diesen Umständen ein klimaverträglicher Weg in die Zukunft realisiert werden, der Wohlstandserwartungen sowie Umwelt- und Klimaschutz weltweit miteinander in Einklang bringt? Eine Wohlstandsperspektive für alle ist dringend erforderlich, weil sonst soziale Verwerfungen bis hin zu Bürgerkrieg oder gar Krieg drohen. Ohne Wohlstandszuwachs sind offensichtlich viele Zielsetzungen für tragfähige Zukunftslösungen nicht erreichbar.
Ist Dekarbonisierung die Lösung?
Nein. Die von vielen herbeigesehnte völlige Dekarbonisierung würde in einer Weltwirtschaftskrise enden, sie wird aber nicht erfolgen und wenn, dann in anderer Weise, als das Thema üblicherweise diskutiert wird. Das ist auch gut so. Die Politik der Großmächte, insbesondere der USA, steht einem solchen Weg diametral entgegen.
Die Politik von US-Präsident Trump zielt auf rasches Wachstum der US-Produktion von Öl und Gas – es ist das Gegenteil von Dekarbonisierung. Dabei sind die USA heute schon der weltgrößte Ölproduzent. Sie haben Saudi- Arabien und Russland überholt und steigern ihre Produktion zügig weiter.
Referenzszenario: Methanolökonomie
Der entscheidende Ansatz gegen steigende CO2-Emissionen ist die Senkung der Carbonintensität des Carbon-basierten Energiesystemanteils auf 20 %. Kohlenstoff, der aus der Erde geholt wird – insbesondere auch Kohle – wird im Mittel viermal recycliert, ehe er schließlich über individuelle Mobilitätsprozesse (Verbrennungsmotoren) und individuelle Wärme/Kälte-Prozesse (Heizungen/ Wärmestrahler und Kühlgeräte) in die Atmosphäre entweicht. Erfolgt diese viermalige Recyclierung des Kohlenstoffs im Kontext einer Wasserstoff-/Methanolökonomie, können die CO2-Emissionen im Energiebereich trotz weiterem erheblichen Wirtschaftswachstums auf nur noch etwa 10 Milliarden Tonnen pro Jahr (heute 34 Milliarden Tonnen pro Jahr) abgesenkt werden.
Ankersubstanz Methanol
Der Kern der Lösung in einem Referenzszenario ist die Recyclierung des Kohlenstoffs über die Ankersubstanz Methanol. Methanol ist aus Sicht vieler Wissenschaftler eine Schlüsselsubstanz – ein idealer Speicher für Sonnenenergie, Wasserstoff, Sauerstoff und CO2. Über Methanol als Basis können PKW, LKW, Heizungen, Schiffe, Flugzeuge, Brennstoffzellen und Chemieanlangen betrieben werden. Es gibt viele Wege, Methanol herzustellen. Ein Ausgangsprozess ist die Elektrolyse von Wasser und damit insbesondere die Produktion großer Mengen von Wasserstoff, der dann mit CO2 zu Methanol weiterverarbeitet werden kann. Wird der Wasserstoff mit Energie aus erneuerbaren Quellen hergestellt, handelt es sich um grünes Methanol. Grünes Methanol ist potenziell konkurrenzfähig zu Benzin. Der Schlüssel ist preiswerter Solarstrom aus den Sonnenwüsten der Welt zu 2 Cent pro Kilowattstunde.
Methanol ist so bequem transportierbar wie Benzin und als Substanz sicherer. Im Wasser wird es beispielsweise auf natürlichem Wege abgebaut. Zudem ist es in der Verbrennung eine Alternative zu Benzin und Diesel auch sauberer. Ein entsprechendes Investitionsund Umbauprogramm kann der Sektor der fossilen Energien, einer der leistungsstärksten Wirtschaftssektoren der Welt, bis 2050 umsetzen. Die erforderlichen jährlichen Investitionen im Methanolbereich liegen bei etwa 600 Milliarden Euro pro Jahr. Im Gegenzug können Neuexplorationen bei Öl, Gas und Kohle ganz unterbleiben.
Negativemissionen durch Bodenverbesserung
Die Methanolökonomie braucht aber eine zweite Seite – so, wie auch eine Bilanz zwei Seiten hat. Um das Gesamtsystem insgesamt (bilanziell) klimaneutral zu stellen, müssen etwa 10 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr über biologische Prozesse (Aufforstung, Humusbildung, Weidewirtschaft, Einbringen von Holz- und Pflanzenkohle in die Erde), zusätzlich der Atmosphäre entzogen werden. Mehr als eine leichte Aufgabe.
Durch massive weltweite Aufforstung, insbesondere auf marginalisierten Böden in den Tropen bei gleichzeitigem Regenwaldschutz, Förderung der Humusbildung in der Landwirtschaft, vor allem auch in semiariden Gebieten, Einsatz von Biokohle etc. können Böden zu einer Kohlenstoffsenke werden.
Insgesamt wird so der Kohlenstoffkreislauf geschlossen. Dies steigert zugleich die landwirtschaftliche Produktivität und ist für die massiv steigenden Anforderungen an die Ernährung in einer Welt in Wohlstand mit 10 Milliarden Menschen ohnehin erforderlich.
Und die Finanzierung?
Die Schließung des Kohlekreislaufs muss querfinanziert werden. Vor allem auch, um den Umbauprozess massiv zu beschleunigen. Die Bindung der Kohle im Boden (oder alternative Formen der CO2-Sequestrierung) können über Zertifikate dokumentiert werden. Und alle Akteure, die am Kohlenstoff- und Methanolkreislauf partizipieren, werden vernünftigerweise mitfinanzieren müssen, damit sich der Kohlenstoffkreislauf schließt.
Das kann erhebliche zusätzliche finanzielle Mittel für die Landwirtschaft erzeugen (potenziell mehrere hunderte Euro pro Hektar) und wird (in einem Referenzszenario) von den Nutzern fossiler Energiequellen und von Methanol (mit-)finanziert werden. Aus heutiger Sicht reichen 20 bis 30 Euro pro Tonne CO2 auf Seiten der genannten Akteure.
Diese Mittel werden teilweise auch heute schon aufgebracht und sind ein niedriger Preis, wenn es darum geht, die heutige Zivilisation zu erhalten und ihr Geschäftsmodell prinzipiell fortzuführen und es sogar erheblich ausdehnen zu können. Die Mittel können zentral abgegriffen werden. Es geht um 1 bis 1,5 Billionen Euro pro Jahr. Ein Teil davon wird in Bodenverbesserung und Aufforstungsprogramme investiert werden können. Aufforstung kann rasch viele Negativemissionen erzeugen.
Risiko von Tipping-Points
Notwendig sind vor allem Zeitgewinne die uns helfen, das Risiko des Erreichens von Tipping-Points abzusenken. Denn Tipping- Points bilden offensichtlich das größte Risiko, mit dem die Menschheit im Klimabereich aktuell konfrontiert ist. Wenn ein solcher Punkt einmal überschritten ist, wird der Klimawandel irreversibel.
Bis 2050 könnten die entscheidenden Umsetzungsschritte zur Lösung des Energie- und Klimaproblems erfolgt sein. Hinweise zu den dazu erforderlichen Investitions- und Umsetzungsprogrammen liegen vor. Und ganz offensichtlich ist das wirtschaftliche und technologische Potenzial des möglichen Wegs in die Zukunft sehr attraktiv.
Europa hat in Zusammenarbeit mit Afrika die Chance, sich an die Spitze einer solchen Entwicklung zu stellen. Recyclierung von Kohlenstoff über die Methanolökonomie und Nutzung der Böden als Kohlenstoffspeicher: Das ist ein Chancen-Programm für die Welt, insbesondere aber auch für Europa und Afrika, gerade auch in enger Partnerschaft.
http://fawn-ulm.de
Literaturhinweise:
Radermacher, F. J. (2018), Der Milliarden-Joker – Freiwillige Klimaneutralität und das 2 °C-Ziel, Murmann Verlag;
Radermacher, F. J., Die internationale Energieund Klimakrise überwinden;
In: Europa fit machen für die Zukunft;
Senat der Wirtschaft-Verlag, 2019