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Die Energiewende verändert Rollen und Verantwortungen der Verteilnetzbetreiber
Aktuell erlebt die Energiebranche eine intensive Auseinandersetzung zwischen Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern über den zukünftigen Rollenzuschnitt in der Energiewende. Das renommierte Beratungsbüro E-Bridge hat nun zusammen mit der MITNETZ STROM einen Beitrag zur „Zukünftigen Rolle des Verteilnetzbetreibers in der Energiewende“ erarbeitet, in dem die Problemstellung strukturiert und klare Handlungsempfehlungen für die Weiterentwicklung des ordnungspolitischen Rahmens formuliert werden. In einem Gastbeitrag gibt Dr.-Ing. Henning Schuster, Principal Consultant bei E-Bridge Consulting GmbH, Einblicke und Handlungsempfehlungen, um die systemrelevant erforderliche Rolle von Verteilnetzbetreibern zu stärken. Foto: E-Bridge
Die Energiewende ist im vollen Gange. Werden heute in Deutschland bereits 30 % des gesamten Brutto-Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien erzeugt, wird Strom Ende 2015 aus mehr als 1,5 Millionen Erneuerbare-Energien(EE)-Anlagen mit einer gesamten installierten Leistung von 97.400 MW1 erzeugt. Der größte Anteil (circa 96 %) der EE-Anlagen ist im Verteilnetz angeschlossen.
Bereits heute ist mehr Einspeiseleistung im Verteilnetz als im Übertragungsnetz angeschlossen. Tendenz steigend. Nicht nur EE-Anlagen sind im Verteilnetz angeschlossen, sondern zunehmend auch thermische Kraftwerke. Insbesondere Gaskraftwerke werden den konventionellen Kraftwerkspark der Zukunft prägen und aufgrund geringerer Kraftwerksgrößen auch zunehmend im Verteilnetz angeschlossen sein. Bei Einschluss der konventionellen Kraftwerke beträgt der Anteil der im Verteilnetz angeschlossenen Kraftwerksleistung heute bereits circa 60 %. Dieser Anteil wird zukünftig auf nahezu 80 % steigen, denn die politischen Ziele der Bundesregierung sehen einen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien vor. 2035 sollen mindestens 50 % bis 65 % des Stromverbrauchs aus EE-Anlagen erzeugt werden, 2050 mindestens 80 %.
Daraus folgt: Die elektrische Energie wird zunehmend nicht nur im Verteilnetz verbraucht, sondern auch erzeugt.
Die zunehmende Elektrifizierung des Wärmesektors sowie die weitere Ausbreitung der Elektromobilität führen trotz steigender Effizienz bei traditionellen elektrischen Anwendungen schon heute regional zu einem Anstieg der Stromnachfrage im Verteilnetz. Heute sind bereits circa 19.000 Elektro(E)-PKW, 40.000 Kleinspeicher und 57.000 Wärmepumpen in deutschen Verteilnetzen angeschlossen. Die Ziele der Bundesregierung sehen einen weiteren Ausbau der Elektromobilität, mit einer Millionen E-PKW in 2020 und sechs Millionen E-PKW in 2030 vor. Neue Verbraucher wie E-PKW und E-Heizungen weisen passend zu der dezentralen Erzeugung im Verteilnetz eine hohe Lastflexibilität auf.
Megatrends der Energiewende
Mit dem Voranschreiten der Energiewende verändern sich zwangsläufig die Rolle und Verantwortungen der Verteilnetzbetreiber. Hierbei lassen sich drei Megatrends erkennen, welche die weitere Entwicklung der Energiewende bestimmen:
Dezentralisierung: Die Anzahl der Erzeugungsanlagen wird stark ansteigen, die durchschnittliche Leistung je Erzeugungsanlage sinkt. Die Erzeugungslandschaft wird kleinteiliger und dezentraler. Auch dezentrale Lasten steigen und werden flexibler. Dieser Trend führt dazu, dass die Anzahl und Leistung der im Verteilnetz angeschlossenen Erzeugungsanlagen, zunehmend auch der Speicher, rapide wächst.
Digitalisierung: Nicht zuletzt durch den Rollout von Smart Metern in Deutschland wächst der Grad der Digitalisierung in der Energielandschaft. Die Anzahl an Daten über Einspeisungen und Lasten und der Grad von Beobachtbarkeit, Steuerbarkeit sowie Automatisierung im Verteilnetz wird sichtbar ansteigen. Und die Digitalisierung ermöglicht die Steuerbarkeit und Beobachtbarkeit von Einspeisungen, Lasten und Speichern im Verteilnetz. Der Smart Meter Rollout ist dabei ein wichtiger Baustein.
Autarkie: Der Trend, eigenständig und lokal erzeugten Strom zu nutzen, prägt die Energiewende weiter. Ein Großteil der Photovoltaik(PV)-Anlagen wird bereits heute in Kombination mit Kleinspeichern installiert, um den Eigenverbrauch zu optimieren und den Grad der Autarkie zu erhöhen. Damit werden Lasten, Einspeisungen und Speicher auch energieträgerübergreifend systemisch lokal stärker aufeinander abzustimmen sein.
Der Verteilnetzbetreiber (VNB) wird demzufolge neue Aufgaben übernehmen müssen, die vor allem durch die wachsende Komplexität des Verteilnetzbetriebs sowie durch neue Verantwortung bei der Gewährleistung der Systemstabilität geprägt sind.
Der ordnungspolitische Rahmen
Bestimmend für die Anforderungen an Verteilnetzbetreiber ist der ordnungspolitische Rahmen, woraus sich heute fünf wichtige Rollen ableiten lassen:
1. Das Netz bedarfsgerecht optimieren, verstärken und ausbauen (§ 11, EnWG);
2. Netznutzer sicher und zuverlässig betreiben (§ 11, EnWG);
3. Netznutzer anschließen und Netzentgelte berechnen (§ 11, EnWG);
4. Den Betrieb von Messstellen sichern (§ 21 (b), EnWG);
5. Vorgelagerte Netzbetreiber durch Maßnahmen überstützen (§ 14, EnWG).
Dieser ordnungspolitische Rahmen bestimmt zugleich für die Weiterentwicklung der Rollen des Verteilnetzbetreibers Anforderungen, die sich auf drei Felder konzentrieren:
Die Rolle des Verteilnetzbetriebswird sehr viel komplexer
Zunehmende Diversität und Aktivität der Einspeisungen, Lasten und Speicher weiten Rollen und Aufgaben im Betrieb des Verteilnetzes aus, dem Verteilnetzbetreiber ein eigenständiges Engpassmanagement ermöglicht werden. Die Aktivität der Netznutzer führt durch höhere Gleichzeitigkeiten zu Belastungen, für die das elektrische Netz nicht ausgelegt ist. Verteilnetzbetreiber mit einem hohen Anteil angeschlossener Einspeise- und Speicherkapazitäten müssen diese Leistung im Falle von Versorgungsausfällen nutzen können, um Netzkunden möglichst schnell und sicher wiederversorgen zu können (Versorgungswiederaufbau). Gerade in Ballungs- und Industrieräumen kann der volkswirtschaftliche Nutzen von dezentralen schwarzstart- und inselnetzfähigen (Teil-) Systemen mehrere Millionen Euro pro Jahr betragen. Dazu benötigt der Verteilnetzbetreiber Zugriff auf Onlinedaten der Smart-Meter-Daten und die Steuerung der Einspeisungen, Speicher und Lasten.
Verteilnetzbetreiber müssen einen Beitragzur Systemsicherheit leisten
Zu keinem Zeitpunkt darf die Gesamtstabilität und Versorgungssicherheit gefährdet werden. Die zur Gewährleistung der Gesamtsystemstabilität notwendige Flexibilität ist vor allem im Verteilnetz angeschlossen (siehe Abb. 1). Für alle Aufgaben des Systembetriebs ist der Übertragungsnetzbetreiber zukünftig daher auch auf Ressourcen im Verteilnetz angewiesen, insbesondere für Engpassmanagement im Übertragungsnetz, für Spannungs-Blindleistungsoptimierung, für Leistungs-Frequenzregelung und auch für den Versorgungswiederaufbau. Der Verteilnetzbetreiber muss daher durch die Koordination der Flexibilitäten einen größeren Beitrag zur Stabilität des Gesamtsystems leisten (siehe Abb. 2).
Verteilnetzbetreiber müssen Beitrag zur volkswirtschaftlich optimalen Nutzung der Erzeugungs- und Lastflexibilität leisten
Die Flexibilität der einzelnen Anlagen im Verteilnetz dient zukünftig sowohl für Systemdienstleistungen im Übertragungsnetz (Engpassmanagement, Regelleistung) als auch im Verteilnetz (Engpassmanagement, Versorgungswiederaufbau) und natürlich auch dem Energiemarkt. Bei einer optimalen Nutzung der Flexibilitäten ist deshalb auch der Verteilnetzbetrieb (Betriebszustände, Instandhaltung, Wartung, Engpassmanagement) zu berücksichtigen. Nur der Verteilnetzbetreiber kann die unterschiedlichen Nachfragen der Flexibilität koordinieren, hierbei sind Netztopologie, System- und Netzlastsituation, Schaltzustände und technische Parameter der Betriebsmittel im Verteilnetz zu berücksichtigen. Eine geeignete Plattform bietet hier der „kaskadierende“ Ansatz. Um einen effizienten Markt zu ermöglichen, wäre eine weiterführende Rolle des Verteilnetzbetreibers als „Marktplatz für Flexibilitäten“ zu sehen. Planung und Betrieb von Verteil- und Übertragungsnetzen sind dabei so abzustimmen, dass alle Flexibilitäten entsprechend der Kaskade maximal genutzt werden können. Bei großflächigen Systemausfällen muss dem Verteilnetzbetreiber auch der Betrieb von Teilnetzen möglich sein, um zum Systemwiederaufbau beitragen zu können.
Rollenbilder neu bestimmen
Der aktuelle ordnungspolitische Rahmen im Zusammenspiel zwischen Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber sieht vor, dass der Verteilnetzbetreiber den „vorgelagerten Netzbetreiber durch Maßnahmen im Rahmen seiner Verteilungsaufgaben“ unterstützt (§ 14, EnWG). Dies sind Formulierungen aus einer Zeit vor der Energiewende und widerspiegeln nicht die tatsächlichen Verantwortungen. Hier muss der ordnungspolitische Rahmen weiterentwickelt werden. Die Rolle des Verteilnetzbetreibers muss grundsätzlich gegenüber der des Übertragungsnetzbetreibers in Bezug auf die Abstimmungsprozesse gleichwertig formuliert werden. Dazu wird eine Anpassung von § 14, EnWG empfohlen. Zudem bedarf es eines gleichwertigen Rollenbildes, denn der Verteilnetzbetreiber übernimmt zukünftig, beispielsweise in den Bereichen Versorgungswiederaufbau und Engpassmanagement, neue eigenständige Aufgaben. D. h., dem Verteilnetzbetreiber müssen neue Werkzeuge zur erfolgreichen Ausübung der Rollen in der Energiewende ermöglicht werden. Die steigende Komplexität, insbesondere im Netzbetrieb, muss dann auch regulatorisch anerkannt werden. Ihm muss darüber hinaus sowohl Engpassmanagement als auch Schwarzstart- und Inselnetzfähigkeit ermöglicht und die Kosten dafür anerkannt werden. Nur so wird eine effiziente Versorgungssicherheit der Netznutzer in der Energiewende gewährleistet.