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Die Digitalisierung und der Smart-Meter-Rollout werden die Markt- und Anbieterstruktur nachhaltig verändern
Im Jahr 2015 wagten die Kooperationspartner First Utility Ltd., der größte unabhängige Energieversorger in Großbritannien, mit seinem langjährigen Partner Shell Energy Europe den Einstieg in den deutschen Endkundenmarkt.
Wir sprachen mit Maik Neubauer, Geschäftsführer der First Utility GmbH und verantwortlich für das Shell PrivatEnergie Angebot in Deutschland zu Veränderungen im Endkundenmarkt.
Foto: First Utility
Herr Neubauer, Sie haben Anfang April auf einer Energiekonferenz gesagt, dass der deutsche Endkundenmarkt ein schwieriges Umfeld ist. Können Sie das näher erläutern?
Ich habe bewusst auf aktuelle Hürden im deutschen Endkundenenergiemarkt hingewiesen, die eine faire Wettbewerbssituation erheblich erschweren. 18 Jahre nach der Liberalisierung des Endkundenmarktes wird insbesondere das Angebot auf dem deutschen Strommarkt von vielen Kunden als intransparent wahrgenommen.
Viele Verbraucher scheuen eher einen Anbieterwechsel als alternative Möglichkeiten aktiv zu nutzen und sich auf das vermeintliche ‚Abenteuer’ eines Anbieterwechsels einzulassen.
Woran machen Sie dann Ihre Kritikpunkte fest?
Viele deutsche Endkunden denken beim Wechsel ihres Energieversorgers zuerst an einen Anbietervergleich auf den zwei marktbeherrschenden Wechselportalen. Beide Portale haben sicherlich einen positiven Erziehungsanteil an einer heute jährlichen Wechselrate von 10 bis 12 Prozent in Deutschland geleistet. Sie generieren allerdings heute durch eine übermächtige Medienpräsenz bei vielen Kunden eine Erwartungshaltung bei jedem Anbieterwechsel Bonuszahlungen von mehreren hundert Euro zu erhalten.
Was dem Endverbraucher jedoch oft nicht klar wird ist, das Anbieter dieser Angebote die eigentlichen Energiepreise in ihren Lock-Angeboten von Beginn an höher ansetzen oder aber spätestens im zweiten Vertragsjahr prozentual zweistellig anheben müssen. Nur so kann sich ein überhöhter Wechselbonus rentieren.
Das Ziel einer objektiven und transparenten Verbraucherinformation über die Wechselportale ist somit nur schwer herzuleiten. Die Vergleichsportale setzen zudem faktisch einen ‚Preisindex’ für den Onlinevertrieb von Energieprodukten und reduzieren somit den Anbieterwechsel im Internet fast ausschließlich auf einen reinen Preisvergleich.
Aber viele Endkunden suchen nach einem möglichst günstigen Energiepreis?
Verständlicherweise wollen Privat- und Gewerbekunden eine nachgewiesene Ersparnis zu ihrem aktuellen Energieanbieter, sonst ist die Motivation für einen Wechsel sehr gering. Hier sollten Verbraucher allerdings bei einem vermeintlich niedrigen Preis besonders aufmerksam sein: Neben dem reinen Energiepreis sollten Entscheidungskriterien wie Transparenz des Angebots, Absicherung der Energiepreisentwicklung während der Vertragslaufzeit, bereits enthaltene Netzentgelte und Umlagen, und die Servicequalität des Anbieters beachtet werden.
Wie kann diese Situation verbessert werden, mehr Aufsicht?
Der deutsche Endkundenenergiemarkt ist mit seinen mehreren hundert Anbietern sehr unübersichtlich und kann nicht täglich zentral überwacht werden. Auf der anderen Seite ist das Internet voll von Kundenfragen und Beschwerden, die die Schattenseite von Billigangeboten widerspiegeln. Diese werden von vielen Endkunden vor dem Anbieterwechsel aber oft nicht wahrgenommen und lassen im Nachhinein den Energieanbieterwechsel häufig zu einem zweifelhaften Erlebnis werden.Daher muss eine Aufsichtsfunktion bei anhaltenden Kundenbeschwerden proaktiv handeln und die Leistungsfähigkeit von zweifelhaften Energieanbietern aus finanzieller aber auch organisatorischer Sicht schneller überprüfen. Dies ist in den vergangenen Monaten im Rahmen einer Insolvenz eines Energieversorgers, der keiner sein wollte, zu spät geschehen.
Die neue Initiative der Marktwächter Energie kann meines Erachtens diese Lücke füllen und Kunden- aber auch Marktbeschwerden proaktiv nachgehen und dann zusammen mit der Bundesnetzagentur an Problemfällen arbeiten. Die deutsche Energiewirtschaft sollte den Aufbau der Marktwächter Energie aktiv unterstützen. Seriöse Anbieter sollten Transparenz und Qualität im Endkundenmarkt fördern, insbesondere auch im Hinblick auf die Umsetzung des Digitalisierungsgesetzes.
Erwarten Sie gravierende Auswirkungen durch die Digitalisierung, das heißt den bevorstehenden Smart-Meter-Rollout auf dem Endkundenenergiemarkt?
Definitiv. Auch wenn das Projekt der Digitalisierung der Energielandschaft in Deutschland über viele Jahre angelegt ist, wird der Smart-Meter-Rollout die Markt- und Anbieterstruktur nachhaltig verändern.
Dieses Projekt ist nach dem Atomausstieg und der daraus resultierenden Energiewende der nächste ‚Game Changer’ in der Branche. Auch wenn das Vorhaben mit erheblichen Mehrkosten für die Anbieter verbunden ist, kann es als strategische Chance erkannt werden.
Das bedeutet?
Strom wird durch die Digitalisierung der Energieversorgung wieder ‚erlebbarer’. Die Anwendungsmöglichkeiten rund um das Thema intelligentes Energiemanagement werden bei den Kunden sowohl für ein steigendes Interesse an Energiepreisentwicklungen als auch an kombinierten Angeboten von Energie, Telekommunikationsdiensten sowie ‚Smart-Home- Lösungen’ sorgen. Die erste ‚Smart Home’ Welle wurde viel zu früh losgetreten und sie ist dem hohen Erwartungsdruck und Sparmaßnahmen im Rahmen des Atomausstiegs zum Opfer gefallen.
Es werden sich zudem ganz neue Anbieterkonstellationen bilden, die eine transparente Energieversorgung, Prosumer-Ansätze sowie E-Mobilität zu neuen Lösungen integrieren werden. Diese Lösungen werden zudem eine exzellente Möglichkeit sein, um Kunden zu gewinnen und langfristig im Rahmen eines umfassenden Lösungs- und Lifestyleangebots zu binden.
Werden sich auch die Kunden in ihrem Verhalten ändern?
Ja, denn im Zuge des Umbaus der deutschen Energieversorgung und der Digitalisierung werden sich ganz neue Kundenanforderungen an ‚ihren’ Energieanbieter entwickeln. Kunden müssen ihrem Versorger beim Thema Datenschutz vertrauen können – vor allem beim Umgang mit verbrauchs- und personenbezogenen Daten, die nur dem individuellen Kunden zur Eigennutzung zur Verfügung gestellt werden dürfen.
Der Begriff ‚Big Data’ bekommt in der Energiewirtschaft erstmals eine Bedeutung. Das Argument ‚Hauptsache billig’ beim Wechsel des Energieanbieters wird meines Erachtens in den nächsten Jahren an Bedeutung verlieren. Die Verbraucher werden durch neue Mehrwerte viel besser verstehen, das moderne und wirklich sichere Energieversorgung auf Basis der hochkomplexen Strukturen Geld kostet und nicht nachhaltig auf Discountniveau gefahren werden kann. In der Gesamteinschätzung bleibt festzuhalten, wir werden deutliche Veränderungen im Endkundenmarkt erleben und die Digitalisierung und der Smart-Meter-Rollout werden die Markt- und Anbieterstruktur nachhaltig verändern.