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Dezentrale Energiewirtschaft: Chance oder Bedrohung für etablierte EVU?
Die dezentrale Energiewirtschaft entwickelt sich zu einem eigenen Segment mit veränderten Spielregeln, in dem auch neue Akteure als Energieerzeuger und neue Marktteilnehmer mit ihren Geschäftsmodellen auftreten. CTG hat zusammen mit dem BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.) 50 Entscheider von Energieversorgungsunternehmen befragt, ob die EVU die zukünftigen Herausforderungen erkennen und inwieweit sie auf den neuen Markt vorbereitet sind. Ein Gastbeitrag von Olaf Pritsch, Director, Energy & Natural Resources, KPMG AG.
Energieversorger müssen künftig auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren. Einerseits haben die etablierten Versorger das Risiko Marktanteile zu verlieren, andererseits bieten sich auch Chancen, die eigene Wettbewerbsposition durch Nutzung neuer Geschäftsmodelle zu stärken. Die dezentrale Versorgung erfordert eine Integration in das energiewirtschaftliche Gesamtsystem. Insbesondere neue Akteure und Nicht-EVU haben dabei je nach Herkunft einen Bedarf an verschiedenen Dienstleistungen, wie z. B. Lieferung- und Installation von Anlagen, technische Dienstleistungen, kaufmännische und energiewirtschaftliche Dienstleistungen bis hin zur Finanzierung inkl. Fördermitteln. Ihr energiewirtschaftliches Know-how bietet den EVU die Möglichkeit, verschiedene Bündel dieser Dienstleistungen als „Energielogistiker“ anzubieten.
Bedeutung des Marktes
Die befragten Unternehmen gehen bis 2025 ungefähr von einer Verdopplung des Anteils der dezentralen Energiewirtschaft von ca. 15 % (2010) auf 26-35 % an der Bruttostromerzeugung aus. Liegt der Umsatz in der dezentralen Energiewirtschaft heute bei der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen unter 15 %, wird eine starke Zunahme bis zum Jahr 2025 erwartet.
Der Erzeugung aus EE-Anlagen (PV, Wind) wird gegenüber der konventionellen Erzeugung (BHKW) ein höherer Anteil an der dezentralen Energieversorgung zugetraut.
Marktcharakteristik
Aus Sicht der Marktteilnehmer ist der Markt der dezentralen Energiewirtschaft im Wesentlichen geprägt durch
• einen geringen "Bestandsschutz" neuer Produkte/Geschäftsmodelle (Lebenszyklus verringert sich auf wenige Jahre),
• Kunden, die sich durch den Besitz von dezentralen Erzeugungsanlagen vom allgemeinen Preistrend abkoppeln wollen und
• Kunden, die sich "Alles-aus-einer-Hand"- Lösungen wünschen (Planung, Lieferung, Betrieb, Dienstleistungen etc.).
Die wesentlichen Treiber hinter der Entwicklung der dezentralen Energiewirtschaft sind politischer und wirtschaftlicher Art. Aus Sicht der Unternehmen sind es z. B. der Erhalt von Förder mitteln, regulatorische Vorgaben oder die sinkenden Kosten der EE- und KWK-Erzeugung. Die Bedeutung einzelner Treiber für die erfolgreiche Weiterentwicklung des Segmentes "dezentrale Energieversorgung" ist meist relativ klar erkennbar. Allerdings bleibt die Vorhersagbarkeit dieser Entwicklung eine Herausforderung für die Energiewirtschaft.
Die Unternehmen sehen in dem Markt Chancen und Risiken. Chancen sehen sie beispielsweise in der vom Kunden honorierten regionalen Verbundenheit/Verankerung. Risi ken werden in der für die Umsetzung der neuen Geschäftsmodelle benötigten Skills und Ressourcen (z. B. IT-Know-how, hohe Serviceorientierung) gesehen.
Player im Markt
Stadtwerke sieht man aktuell als die bedeutendsten Marktteilnehmer in der dezentralen Energieversorgung. Beste Entwicklungschancen werden spezialisierten Komplettanbietern, klassischen Regionalversorgern und KMU zugetraut.
Die Konkurrenz im dezentralen Energiemarkt wird hauptsächlich im eigenen Lager bei den großen Vier EVU und den klassischen Regionalversorgern gesehen. Danach folgen neue Marktteilnehmer wie Startups oder spezialisierte Komplettanbieter. IKT-Anbieter werden insgesamt als weniger relevant eingestuft. Technologieanbieter werden als bevorzugte Kooperationspartner angesehen.
Um das Segment der dezentralen Versorgung besser bearbeiten bzw. um Produkte und Dienstleistungen für dieses Segment anbieten zu können, wünschen sich die EVU Kostenvorteile, Kundennähe und -zugang, Servicenetzwerke und neue Produkte von den Kooperationspartnern. Dem werden diese aber nur entsprechen können, wenn auf Seiten der EVU komplementäre Qualitäten in die Partnerschaft eingebracht würden. Hier zeigt sich die Bedeutung einer marktgerechten strategischen Positionierung der Unternehmen, die sich auch in der Anpassung existierender Geschäftsmodelle niederschlagen sollte.
Angebotsportfolio: Energielogistiker
Geschäftsfelder von hoher Bedeutung in 2025 sind für die Marktteilnehmer "Dezentrale Wärm e/Nahwärme-konzepte", "Energiewirtschaftliche Betreuung von Prosumern", "Planung, Bau und Betriebs führung dezentraler Erzeu gungs anlagen" sowie "Direktvermarktung" und "Portfoliomanagement".
Der Kunde und seine Bedürfnisse stehen im Fokus der Leistungen im dezentralen Markt. Insbesondere neue Akteure haben dabei einen Bedarf an verschiedenen Dienstleistungen, wie z. B. Lieferung- und Installation von Anlagen, technische Dienstleistungen (Betrieb und Wartung), kaufmännische und energiewirtschaftliche Dienstleistungen (Energieprognosen, Bilanzkreismanagement, Abrechnungen etc.) bis hin zur Finanzierung inkl. Fördermitteln.
In diesem Sinne entsteht Raum für einen „Energielogistiker“ der den Akteuren die notwendigen Leistungen maßgeschneidert zur Verfügung stellt. Die Marktteilnehmer beabsichtigen, die gesamte Dienstleistungsbandbreite als Bündel anzubieten, wobei größere Player auch die Finanzierung als Bestandteil des Dienstleistungspaketes betrachten. Beim „Energielogistiker“ verschmelzen das Know-how aus der klassischen Ener gie wirtschaft mit An sätzen und Konzep ten aus energienahen Dienstleistungsbereichen. Dabei können neue Marktteilnehmer die Produkte der Energieversorger ergänzen oder energiewirtschaftliche Services der Energieversorger die Grundlage für die weiterführenden Angebote von energienahen Marktteilnehmern sein.
Bei den Technologien schätzen die Marktteilnehmer BHKW, PV, Wärmespeicher, Power- to-Heat und Solarthermieanlagen als marktfähig ohne Subventionen in 2025 ein. Andere Technologien wie Biogasanlagen, Biomasseanlagen und Brennstoffzellen werden aus Sicht der Befragten ohne Subventionen nicht marktfähig sein. Technologien wie die Methanisierung von Wasserstoff werden 2025 immer noch im Pilotstadium gesehen.
Zusammenfassung
Der Markt der dezentralen Energiewirtschaft ist ein Wachstumsmarkt. Bei höheren Anteilen an dezentral erzeugter Energie wird ein höherer Anteil an EE-Anlagen (Wind, PV) gegenüber der konventionellen Erzeugung (BHKW) erwartet.
Wesentliche Treiber sind politischer und wirtschaftlicher Art. Herausforderungen sind die oft nur schwer prognostizierbare Entwicklung sowie anspruchsvollere Kunden und die kurzen Lebenszyklen der Produkte/Geschäftsmodelle.
Die besten Entwicklungschancen sehen die Teilnehmer der Befragung für spezialisierte Komplettanbieter, klassischen Regionalversorger und KMU. Bevorzugte Kooperationspartner der EVU sind Technologieanbieter. Als Konkurrenten werden hauptsächlich andere EVU gesehen.
Das Angebot im dezentralen Markt ist durch die Kombination aus technischen, kaufmännischen Leistungen bis zur Finanzierung gekennzeichnet. Die Anbieter sind in diesem Sinne als „Energielogistiker“ gefordert, bei denen das Know-how aus der klassischen Energiewirtschaft mit Ansätzen und Konzepten aus energienahen Dienstleistungsbereichen verschmelzen.
www.bdew.de, www.kpmg.de