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Dezentral und technologieoffen – die Energiewende effizient gestalten
Die deutsche Energiepolitik steht in der kommenden Legislaturperiode vor einer entscheidenden Weichenstellung. Es geht darum, den ordnungspolitischen Rahmen für die Energiewende so auszurichten, dass sich die ambitionierten Klimaschutzziele realisieren lassen, ohne die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit der Energieversorgung aufs Spiel zu setzen. Die Gefahr ist groß, dass dies nicht gelingt: Die Energiewende droht stattdessen endgültig auf einen planwirtschaftlichen Irrweg zu geraten. Ein Gastbeitrag von Dr. Constantin H. Alsheimer, Vorstandsvorsitzender der Mainova AG, Frankfurt am Main. Foto: Christian O. Bruch / laif
Seit einiger Zeit lässt sich beobachten, dass Denken und Handeln der maßgeblichen Akteure im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) von einer Doktrin der stromgeführten Energiewende geleitet werden. Die Eckpunkte dieser Doktrin hat der zuständige Staatssekretär im BMWi, Rainer Baake, in einem Interview Anfang Januar folgendermaßen umrissen: „Es wird darum gehen, in allen Sektoren erneuerbare Energien direkt einzusetzen“, und weiter: „Wir brauchen also eine Strategie, wie wir mit Strom, im Verkehr Benzin und Diesel sowie Öl und Gas beim Heizen unserer Gebäude ablösen“.
Dieser energiepolitische Kurs erscheint aus mehreren Gründen kritikwürdig: Zunächst bedeutet die Doktrin der stromgeführten Energiewende eine Absage an das Prinzip der Technologieoffenheit. Der Staat maßt sich an, den besten Weg für die Umsetzung der Energiewende schon heute zu kennen – für einen Zeitraum von über 30 Jahren! Die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität wird auf einen bestimmten Entwicklungspfad festgelegt: Die Dekarbonisierung von Wärme- und Mobilitätssektor soll ausschließlich über die direkte Elektrifizierung dieser Bereiche erreicht werden. Der Energieträger Gas und die bestehende Gasinfrastruktur haben nach dieser Doktrin keinen Platz mehr in der deutschen Energielandschaft. Damit drohen bestimmte Lösungsansätze unwiderruflich verbaut zu werden. Vielversprechenden Technologien wie Power-to-Gas wird die Entwicklungsmöglichkeit genommen. Bei dieser Technik werden überschüssiger Solar- und Windstrom zur Erzeugung von Wasserstoff und Methan genutzt und somit speicherbar gemacht. Das so entstandene „grüne Gas“ kann dann bei Bedarf in Gas- KWK-Anlagen rückverstromt oder direkt von Gasheizungen und gasbetriebenen Fahrzeugen genutzt werden. Das Ausklammern dieser innovativen Technologie ist vor allem deshalb problematisch, weil die Gasinfrastruktur mit ihren riesigen Speichern in Verbindung mit Power-to-Gas derzeit die einzige aussichtsreiche Langzeitspeicherlösung für große Strommengen aus erneuerbarer Energien darstellt.
Doktrin stromgeführter Energiewende zurücknehmen
Erschwerend kommt hinzu, dass die Doktrin der stromgeführten Energiewende auch kostengünstigen CO2-Einsparmöglichkeiten im Wärmesektor im Wege steht. Denn der emissionsarme Energieträger Gas könnte ohne weiteres einen substantiellen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Durch einen breit angelegten Austausch alter Öl- gegen moderne Gasheizungen ließe sich deutschlandweit rasch eine jährliche Minderung von bis zu 40 Millionen Tonnen CO2 erreichen – und das zu volkswirtschaftlichen Nullkosten.
Doch mit der Abkehr von der Technologieoffenheit ist es nicht getan. Auch vom Prinzip der Dezentralität hat sich das Wirtschaftsministerium offenbar verabschiedet. Das BMWi und auch die Bundesnetzagentur scheinen stattdessen einem dirigistisch-zentralistischen Paradigma zu folgen. Sie setzen auf einen Top-Down-Ansatz und wirken bestrebt, den vier ÜNB eine privilegierte Stellung als verlängerter Arm der staatlichen Exekutive zuzuweisen. Entsprechend atmen viele energiepolitische Gesetzgebungsvorhaben der jüngeren Vergangenheit denselben strukturpolitischen Geist: Ob Digitalisierungsgesetz, Netzstabilitätsanlagen gemäß Strommarktgesetz oder die vom BMWi angestrebte, glücklicherweise aber gescheiterte Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte gemäß Netzentgeltmodernisierungsgesetz – die Übertragungsnetzbetreiber sollen offenbar systematisch gestärkt, die Verteilnetzbetreiber und die Betreiber insbesondere von KWKAnlagen dagegen geschwächt werden.
Stärker dezentrale Ansätze verfolgen
Eigentlich läge es in der Logik einer zunehmend durch dezentrale Stromerzeugung geprägten Energieversorgung, in Sachen Systemintegration und Systemstabilität auch stärker dezentrale Ansätze zu verfolgen. Es spricht jedenfalls viel dafür, dass es effizienter wäre, auch hier das Subsidiaritätsprinzip gelten zu lassen und die auftretenden Ungleichgewichte von Stromerzeugung und Stromverbrauch möglichst dort auszutarieren, wo sie entstehen – und das ist in der neuen Energiewelt häufig die Verteilnetzebene. Wirtschaftsministerium und Bundesnetzagentur setzen bisher jedoch ausschließlich auf den Ausbau der Übertragungsnetze. Mögliche Alternativen zum alleinigen Ausbau der Stromautobahnen spielen keine Rolle. Insbesondere lässt man die Möglichkeit außer acht, durch die intelligente Verknüpfung von Erzeugung, Speicherung und Verbrauch in einem regionalen Rahmen die Stromautobahnen des Übertragungsnetzes zu entlasten und damit den Netzausbaubedarf insgesamt zu minimieren.
Kriterium der Wirtschaftlichkeit wird aufgehoben
Am schwersten wiegt aber, dass die Doktrin der stromgeführten Energiewende auf eine Absage an das Kriterium der Wirtschaftlichkeit hinausläuft. Die Kostenfrage scheint für das Wirtschaftsministerium offenbar keine Rolle zu spielen. Alternativen zum alleinigen Ausbau der Stromautobahnen werden gar nicht erst erwogen und deshalb auch nicht geprüft, ob diese möglicherweise kostengünstiger wären. Der gigantische Ausbaubedarf beim Stromnetz, der durch einen Wechsel von Gas auf Strom im Wärmesektor entstünde, wird ignoriert. Überschlägige Berechnungen der Mainova zeigen, dass in diesem Fall alleine für das Frankfurter Stromverteilnetz Investitionskosten von drei bis vier Milliarden Euro entstehen würden. Für das Bundeswirtschaftsministerium scheinen solche Zahlen aber kein relevantes Kriterium zu sein. Da passt es doch ins Bild, wenn der Bundesrechnungshof in seinem jüngsten Bericht zu „Maßnahmen und Umsetzung der Energiewende“ zu dem Schluss kommt, dass das Ministerium „keinen Überblick über die finanziellen Auswirkungen der Energiewende“ hat. Letztlich droht so durch die Doktrin der stromgeführten Energiewende eine Kostenexplosion. Die Gefahr, dass die Energiewende dadurch Schaden nimmt, ist real. Die nächste Bundesregierung sollte deshalb die Notbremse ziehen und einen Paradigmenwechsel einleiten. Der Ordnungsrahmen für die Energiewende muss wettbewerblich, dezentral und technologieoffen gestaltet werden. Die volkswirtschaftlich effizientesten Lösungen müssen sich durchsetzen können. Nur so kann die Energiewende zum Erfolg werden.
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