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< Verband Kommunaler Unternehmen: Die Lage ist sehr angespannt
21.12.2022 10:01 Alter: 2 yrs

Deutschland: Symbolpolitik mit Nebenwirkungen

In den vergangenen Wochen hat die Unsicherheit zur Versorgungssituation mit Energie und davon abgeleitet der Kostenentwicklung deutlich zugenommen. Die potenziellen Auswirkungen in Form einer Rezession sowie – unter Umständen – deutlich steigenden Lebenshaltungskosten dokumentieren sich in einer weiteren deutlichen Eintrübung der Verbraucherstimmung in Deutschland. Zu groß sind die mit dem weiteren Verlauf der Corona-Pandemie und den Auswirkungen des russischen Krieges in der Ukraine verbundenen Unsicherheiten. Wir freuen uns, das Prof. Dr. Dr. h. c. Bert Rürup, Präsident Handelsblatt Research Institute, einen aktuellen Kommentar aus seinem Newsletter „DER CHEFÖKONOM“ als Zweitveröffentlichung für unsere Leser zur Verfügung stellt und damit sicher mehr als nur Denkanstöße gibt.


Prof. Dr. Dr. h. c. Bert Rürup, Präsident Handelsblatt Research Institute Foto: Handelsblatt Research Institute

Das Handelsblatt Research Institute (HRI) wurde Anfang 2013 als unabhängiges Forschungsinstitut unter dem Dach der Verlagsgruppe Handelsblatt gegründet. Seine Keimzelle ist die ResearchAbteilung der Redaktion Handelsblatt, die bereits seit sechs Jahrzehnten besteht. Jeden Freitag gibt es einen schnellen Überblick über das aktuelle Wirtschaftsgeschehen mit pointierten Kommentaren und Stellungnahmen, der Bewertung wichtiger Konjunkturdaten und Ereignisse und der Vorschau auf die kommende Woche.

Inflation, unterbrochene Lieferketten und steigende Preise an den Rohstoffmärkten sowie bei Vorprodukten bringen Unternehmen an die Belastungsgrenze. Die deutsche Wirtschaft braucht jetzt Orientierung: Was bedeutet die aktuelle ökonomische und geopolitische Lage kurz- bis mittelfristig für die Unternehmen? Die Kurswechsel, die in der strategischen und operativen Unternehmensführung vollzogen werden müssen, Inflation, unterbrochene Lieferketten und steigende Preise an den Rohstoffmärkten sowie bei Vorprodukten bringen Unternehmen an die Belastungsgrenze. Die deutsche Wirtschaft braucht jetzt Orientierung: Was bedeutet die aktuelle ökonomische und geopolitische Lage kurz- bis mittelfristig für die Unternehmen? Politik ist in dieser Zeit gefordert, doch kann die Ampelregierung diesen Herausforderungen entsprechen?

Gefühlt in einer Endlosschleife?

In diesen hoffentlich nicht letzten sommerlichen Tagen des Jahres fühlt man sich wie in einer Endlosschleife: Alle reden über das Heizen und den Winter, die Inflation erreicht neue Rekorde, immer mehr Ökonomen halten eine Rezession im zweiten Halbjahr für unausweichlich, und die Regierung verspricht neue, freilich bislang noch wenig konkrete Entlastungen, obgleich das im letzten Paket beschlossene Energiegeld noch gar nicht bei den Bürgern angekommen ist. Gleichzeitig kündigt die EZB mehr oder weniger unverhohlen kräftige Zinsanhebungen an, wohlwissend, dass sie gegen den immer noch vorrangig angebotsseitig induzierten Preisanstieg weitgehend machtlos ist, während die Zinserhöhungen sicher Konjunktur und Staatshaushalte deutlich belasten werden.

Deutschland – einer der großen Verlierer?

Ideen, wie und wann der Krieg in der Ukraine beendet werden könnte, oder gar ernsthafte diplomatische Initiativen – sei es aus Peking, Washington, Ankara oder Brüssel – gibt es nicht. Offenbar scheint sich die Welt mit einem langen heißen Krieg in der Ukraine und einem nicht minder heißen Wirtschaftskrieg in Europa abzufinden. Im Übrigen sei daran erinnert, dass es ein ganzes Jahrzehnt dauerte, bis Moskau seinen Afghanistan-Feldzug schließlich beendete.

Einer der großen Verlierer des aktuellen Wirtschaftskrieges droht Deutschland zu werden. Die deutsche Volkswirtschaft mit ihrem exportorientierten Geschäftsmodell ist auf einen möglichst freien Welthandel angewiesen. Überdies benötigt sie wegen ihres vergleichsweise hohen Industrieanteils deutlich mehr Energie als eher auf Dienstleistungen setzende Ökonomien.

Bereits im zurückliegenden zweiten Quartal dieses Jahres ist der einstige Wachstumsmotor Europas zur Wachstumsbremse mutiert. Während die deutsche Volkswirtschaft sich mit 0,1 Prozent Wachstum gerade so über der Nulllinie halten konnte, wuchs die Wirtschaft im gesamten Euroraum immerhin um recht ordentliche 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorquartal.

Grafik: HRI

Lebenslügen der deutschen Energiepolitik

Gleichzeitig tut sich Deutschland noch immer schwer damit, mit den Lebenslügen der deutschen Energiepolitik aufzuräumen. So wird derzeit jeder verfügbare Kubikmeter Flüssig-Gas gekauft, Hauptsache, es wurde nicht in Deutschland gefrackt.

Die Bundesregierung hofft, dass Frankreichs Atommeiler bald wieder ans Netz gehen und den europäischen Strommarkt entlasten, gleichzeitig sollen die drei noch produzierenden deutschen AKWs in wenigen Monaten abgeschaltet werden. Die Verpressung und Einlagerung von klimaschädlichem Kohlendioxid ist verboten, aber eine Pipeline nach Norwegen ist in Planung, um künftig dort bis zu einem Fünftel der gesamten deutschen Industrieemissionen einzulagern.

Und schließlich und endlich ist man bemüht, Russland wirtschaftlich in die Knie zu zwingen – und verhilft dabei dem Staatskonzern Gazprom zu Rekordgewinnen. Im Geheimen hofft man, dass Russlands Präsident Putin möglichst viel Gas durch die Nord-Stream-I-Pipeline gen Westen leitet, während das gleiche sibirische Gas aus Nord-Stream-II vehement abgelehnt wird.


Glänzendes Image mit Kratzern

Gut möglich, dass der amtierenden Regierung dieser – vorsichtig formuliert – wenig stringente Kurs im Winter vor die Füße fällt. Sollte es im Winter tatsächlich zu Blackouts kommen, nachdem die Atomkraftwerke abgeschaltet wurden, möchte man nicht in der Haut der politisch Verantwortlichen stecken.

Schon in den vergangenen Tagen hat das glänzende Image von Wirtschaftsminister Robert Habeck kräftige Kratzer bekommen – was sicher auch bei manchem „Ampel“-Politiker klammheimliche Freude ausgelöst haben dürfte.

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Aus unserer Redaktion: Neue Runde im AKW-Theater

Die vier Stromübertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, Tennet und TransnetBW haben in drei Szenarien ermittelt, ob in den kommenden Monaten zu jeder Stunde ausreichend Strom zur Verfügung steht. Die Botschaft von 50Hertz-Chef Stefan Kapferer bei der Präsentation der Ergebnisse: „Es ist sinnvoll und notwendig, alle Erzeugungskapazitäten zu nutzen.“ Damit ist auch die Atomkraft gemeint.

Zu den Vorstellungen von Minister Habeck mit dem „Stand-By-Betrieb“ für Kernkraftwerke heißt es aus Branchenkreisen: Ob solch ein Reservebetrieb technisch überhaupt umsetzbar ist, scheint fraglich. Ein Streckbetrieb über das Jahresende hinaus wäre machbar. Wenn die finale Entscheidung dazu aber erst im Herbst falle, sei es „sehr schwierig“ bis beispielsweise Februar im Stand-By-Betrieb zu sein und im März noch einmal hochzufahren. Preussen-Elektra-Chef Guido Knott erklärte, dass ein solches Prozedere „nicht praktiziert“ werde. Sein Unternehmen besitze damit „keine Erfahrungswerte“. Er warnte deshalb davor, diese Option eines Wiederanfahrens ausgerechnet für diesen Winter in Erwägung zu ziehen, wenn die Anlage komplett heruntergefahren werden soll, wie es Habecks Plan vorsieht. Mit den eingeschränkten Möglichkeiten eines solchen Reaktorkerns ist ein Wiederanfahren im fortgeschrittenen Streckbetrieb nicht und schon gar nicht kurzfristig innerhalb einer Woche machbar.