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18.04.2023 15:19 Alter: 1 year

Der Wert von Wasserstoff im Wärmemarkt

Die Dekarbonisierung des Wärmemarktes ist herausfordernd und verlangt alternative Wärmetechnologien.“ Dr. David Bothe


Links: Dr. David Bothe, Director Frontier Economics Rechts: Dr. Matthias Janssen, Associate Director Frontier Economics Fotos: @verenaFOTOGRAFIERT

Der Wärmemarkt besitzt eine entscheidende Rolle bei der Erreichung der Klimaziele. Knapp ein Viertel der heutigen CO2-Emissionen haben ihren Ursprung im Wärmemarkt, wie eine aktuelle Studie von Frontier Economics belegt. Dr. David Bothe und Dr. Matthias Janssen sind Autoren der Studie und informieren für die Leser von THEMEN!magazin zu Kernaussagen der Untersuchungen.

Deutschland will bis 2045 Klimaneutralität erreichen. Welche Rolle spielt hierbei der Wärmemarkt? Knapp ein Viertel der heutigen CO2 -Emissionen haben ihren Ursprung im Wärmemarkt. Ursache hierfür ist ein erheblicher Energiebedarf – der jährliche Endenergieverbrauch für Raumwärme und Warmwasser beträgt knapp 800 TWh; im Vergleich zu 770 TWh im gesamten Verkehrssektor oder 550 TWh Stromverbrauch – und ein hoher Anteil fossiler Energieträger von etwa 80 Prozent.

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die CO2 - Emissionen im Gebäudesektor bis 2030 auf 67 Mio. t zu senken, gegenüber 118 Mio. t im Jahr 2020. In den nächsten 10 Jahren müssten also die Emissionen um 43 Prozent sinken, relativ betrachtet also etwa genauso stark wie in den vergangenen fast 30 Jahren (44 Prozent zwischen 1990 und 2019), wobei das Tempo der Emissionsreduktion in den vergangenen Jahren bereits merklich zurückgegangen ist.

Wärmemarkt nicht ohne Gassystem

Das Gassystem stellt über die Hälfte der Versorgung des Wärmemarktes mit Leistung und Energie bereit. Fast 50 Prozent der Raumwärme- und Warmwasserbereitstellung in Deutschland werden derzeit direkt aus Erdgas bedient. Das bestehende Gasnetz versorgt über 9 Mio. Wohngebäude mit rund 20 Mio. Wohnungen, damit wird ein Wärmebedarf von fast 400 TWh jährlich gedeckt. Weitere Wohngebäude mit etwa 2,5 Mio. Wohnungen werden indirekt über die häufig ebenfalls mit Gas erzeugte Fernwärme erreicht.

Entscheidender als die bereitgestellte Energiemenge über das Jahr ist allerdings die Deckung des Energiebedarfs in Verbrauchsspitzen. Der Wärmebedarf ist von erheblicher Saisonalität geprägt, mit einem deutlich höheren Energiebedarf in Wintermonaten im Vergleich zu den Sommermonaten und dem daraus resultierenden hohen Bedarf zur saisonalen Speicherung. Das Gassystem ist seit jeher auf die Saisonalität des Wärmemarktes ausgelegt: So beträgt beispielsweise der gesamte Gasverbrauch im kältesten Monat (Januar oder Februar) schon in durchschnittlichen Jahren etwa das Dreifache des Verbrauchs gegenüber dem wärmsten Monat (Juli oder August).

Gassystem fängt Spitzenlasten im Wärmebereich auf

Das Gassystem kann Spitzenlasten im Wärmebereich auffangen, die das Stromsystem bei einer umfassenden Elektrifizierung des Wärmebedarfs massiv herausfordern würden. Unter Abzug der temperaturunabhängigen „Grundlast“ (v. a. für Warmwasser und Prozesswärme in der Industrie) von etwa 60 GW und der Berücksichtigung von Umwandlungsverlusten in Erdgasheizungen ergibt sich somit eine Spitzenleistung von 230 GW, welche die heutige Gasinfrastruktur für den Wärmemarkt zur Verfügung stellt. Gemäß einer Hochrechnung stellt die Heizölinfrastruktur weitere etwa 100 GW Leistung für den Wärmemarkt zur Verfügung. Zum Vergleich: Die historische Stromspitzenlast beträgt knapp 80 GW.

Zu bedenken ist, bisher werden nur knapp 5 Prozent des Endenergiebedarfs für die Raumwärme- und Warmwasserbereitstellung unmittelbar durch Strom gedeckt. Das Stromsystem ist bisher nicht den Anforderungen des Wärmemarktes mit enormen Leistungsspitzen in kalten Wintern ausgesetzt. Eine umfassende Elektrifizierung des Wärmeverbrauchs zur Erreichung von Klimaneutralität (in 2045) würde das Stromsystem vor neue Herausforderungen stellen, denn die historische Strom-Spitzenlast von 80 GW würde sich allein durch die zusätzliche Bedienung des Raumwärme- und Warmwasserbedarfs mehr als verdoppeln, wodurch der schon heute bestehende Stromnetzausbaubedarf zusätzlich deutlich anstiege.

Anteile der Endenergieträger zur Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser (2019). Die Endenergieträger Strom und Fernwärme werden ebenfalls anteilig auf Basis der Primärenergieträger Gas und Kohle erzeugt. Quelle: Frontier Economics basierend auf AG Energiebilanzen;

Umstellung Gassystem auf Wasserstoff

Spätestens für das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 kann Erdgas (ohne Abspaltung des CO2 ) keine Rolle mehr spielen. Eine Alternative für Erdgas besteht neben grünen Derivaten wie Biogas und synthetischem Methan (SNG) in der direkten Nutzung von klimaneutral erzeugtem Wasserstoff. Die bestehenden Gasnetze (40.000 km Transport- und 510.000 km Verteilnetz) können auf Wasserstoff umgestellt werden und somit einen wesentlichen Beitrag zur klimaneutralen Wärmeversorgung leisten.

Die europäischen Gasnetzbetreiber haben hierzu bereits verschiedene Konzepte erarbeitet und erproben Umstellungen. Ein Beispielkonzept für die Transportnetzebene ist der „European Hydrogen Backbone“, welcher zu 70 Prozent auf konvertierten Erdgasleitungen basieren könnte, in Deutschland sogar zu 90 Prozent.

Wasserstoff kann Systemkosten senken

Wasserstoff im Wärmemarkt kann die Systemkosten senken und damit auch die Kostenbelastung für einkommensschwache Haushalte reduzieren. Selbst wenn ein rechtzeitiger Ausbau der erforderlichen Stromerzeugungs-, Stromtransport- und Stromverteilungskapazitäten gelänge, ließen sich durch den breiteren Einsatz von klimaneutralen Gasen wie Wasserstoff die Systemkosten der klimaneutralen Energieversorgung senken, wie eine Reihe von deutschen und europäischen Studien der letzten Jahre zeigt. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass durch die direkte Nutzung klimaneutraler Gase wie Wasserstoff in allen Verbrauchssektoren weniger Kraftwerke, Stromspeicher und Stromnetze benötigt werden als in allein bzw. primär auf elektrischen Anwendungen basierenden Versorgungsszenarien.

Zudem fallen geringere Anschaffungskosten für neue Heizungssysteme bzw. geringere Sanierungskosten insbesondere in den unsanierten Bestandsgebäuden an. Und es hat Auswirkungen auf die Sozialverträglichkeit einer klimaneutralen Wärmeversorgung, da Kostenersparnisse durch geringere Heizungsanschaffungskosten und geringere Sanierungskosten insbesondere den einkommensschwachen Haushalten zugute kämen. Denn einkommensschwache Haushalte wohnen überproportional in unvollständig sanierten Bestandsgebäuden und Energiekosten machen hier einen größeren Anteil am Haushaltsbudget aus. Auch vor diesem Hintergrund sollte die Option des Einsatzes von Wasserstoff für den Wärmemarkt weiter aufrechterhalten werden.

Anteil der Wohnungen nach Baujahr: Berücksichtigt sind alle Wohnungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, die über ein Heizungssystem jedweder Art verfügen. Quelle: Frontier Economics

Effizienzanalyse bestätigt alternative Wärmetechnologien

Eine umfassende Effizienzanalyse zeigt, Wasserstoff ist in der Heizperiode im Gebäudebestand ähnlich geeignet wie alternative Wärmetechnologien. Der Einsatz von Wasserstoff im Wärmemarkt wird allerdings teilweise in Frage gestellt; verschiedene Stakeholder wollen die Wasserstoffnutzung auf die Verbrauchssektoren Industrie und Verkehr beschränken. Mit dem Argument einer vermeintlichen Knappheit von (lokalen) Wasserstoffpotenzialen und dass aus Gründen der Energieeffizienz strombasierte Wärmeanwendungen wie elektrische Wärmepumpen den Anwendungen auf Basis von klimaneutralen Gasen wie Wasserstoff überlegen seien. Allerdings beträgt die zusätzliche StromSpitzenlast im Fall einer umfassenden Elektrifizierung des Wärmemarktes durch Wärmepumpen 86 bis 124 GW – trotz Beschleunigung von Sanierungen. Die Strom-Spitzenlast (von heute 80 GW) würde sich also deutlich erhöhen.

Allerdings sollte die Energieeffizienz, also das Verhältnis von aufgewendeter (erneuerbarer) Energie zu Nutzenergie (hier Wärme), allein keine Grundlage für energiepolitische Entscheidungen sein. Denn nicht erneuerbare Energiequellen wie Wind und Sonne sind knapp, sondern vor allem die Infrastruktur zu deren Erschließung stellt den Engpass dar. Zudem ist für eine sichere Wärmeversorgung entscheidend, dass die Infrastruktur auch für Phasen sehr hoher Nachfrage während der Heizperiode ausgelegt ist.

Gesamtwirkungsgrad der Wärmeversorgung

Analysiert man den Gesamtwirkungsgrad der Wärmeversorgung, also das Verhältnis der Wärmeerzeugung zur erforderlichen Primärenergie unter Berücksichtigung von Energieverlusten durch Energieumwandlung und -transport ergibt sich das folgende Bild: Dieser Gesamtwirkungsgrad - ist in Neubauten oder vollsanierten Altbauten aufgrund der guten Dämmung und der niedrigen benötigten Vorlauftemperaturen bei elektrischen Wärmepumpen durchgehend höher als bei wasserstoffbasierten Heizungssystemen. Entsprechend kann elektrischen Wärmepumpen durchaus eine wichtige Rolle insbesondere bei der klimaneutralen Wärmeversorgung von Neubauten zukommen; - liegt in nicht oder nur teilsanierten Altbauten in Situationen, welche für die Auslegung der Infrastruktur relevant sind, bei allen betrachteten Heizungssystemen in ähnlicher Größenordnung. Dies ist auf deutlich sinkende Wirkungsgrade von elektrischen Wärmepumpen bei unzureichender Wärmedämmung und bei kalten Außentemperaturen sowie signifikante Umwandlungsverluste durch saisonale Zwischenspeicherung bei unzureichendem Wind- und Solardargebot in der Heizperiode zurückzuführen.

Und es gilt zu beachten, nur 13 Prozent des heutigen Gebäudebestandes gelten als vollsaniert oder Neubau, während rund 36 Prozent der Gebäude als unsaniert und 51 Prozent als teilsaniert gelten; und die Wärmebereitstellung auch in Kälteperioden mit geringem Dargebot erneuerbarer Energien gewährleistet werden muss und die Wärmeinfrastruktur entsprechend auf diese Perioden ausgelegt werden muss.