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Der Wert von Wasserstoff im Wärmemarkt
Dem Wärmemarkt kommt eine entscheidende Rolle bei der Erreichung der Klimaziele zu. Vor diesem Hintergrund hat Frontier Economics im Auftrag von FNB Gas eine Studie erstellt, die verschiedene Heizungssysteme einer ganzheitlichen Analyse unterzieht. Im Mittelpunkt steht die Bedeutung von Wasserstoff für den Wärmemarkt. Dr. David Bothe und Dr. Matthias Janssen sind Autoren der Studie und skizzieren für THEMEN!magazin wesentliche Ergebnisse der Untersuchung.
„Die Erreichung der Klimaziele im Wärmemarkt erfordert einen möglichst breiten, technologieoffenen Ansatz. Wasserstoff ist hierbei ein wichtiger Baustein bei der Dekarbonisierung“. Dr. David Bothe
Zur Erreichung von Klimaneutralität bis 2045 muss der Wärmemarkt dekarbonisiert werden und in den nächsten 10 Jahren seine fossilen C02 -Emissionen um 43 % senken – genau so viel wie in den 30 Jahren zuvor. Knapp ein Viertel der heutigen C02 -Emissionen haben ihren Ursprung im Wärmemarkt. Ursache hierfür ist ein erheblicher Energiebedarf – der jährliche Endenergieverbrauch für Raumwärme und Warmwasser beträgt knapp 800 TWh; im Vergleich zu 770 TWh im gesamten Verkehrssektor oder 550 TWh Stromverbrauch – und ein hoher Anteil fossiler Energieträger von etwa 80 %.
Der Wärmemarkt spielt aufgrund seiner Größe eine wichtige Rolle auf dem Weg zu Klimaneutralität. Wasserstoff und andere klimaneutrale Gase können einen wesentlichen Beitrag zur Klimaneutralität im Wärmemarkt leisten. Während der Einsatz von Wasserstoff insbesondere als Rohmaterial („Feedstock“) in der Industrie und als Energieträger in Teilen des Verkehrssektors als gesetzt gilt, wird seine Anwendung im Wärmemarkt von verschiedenen Akteuren kritisch gesehen.
Einseitige Festlegung vermeiden
Die Argumentation für einen gezielten sektorspezifischen Einsatz von Wasserstoff beruht im Wesentlichen darauf, dass Wasserstoff ein knappes Gut sei und daher nur in den Sektoren zur Anwendung kommen sollte, in denen keine alternativen Dekarbonisierungsoptionen vorhanden sind („hard-to-abate-Sektoren“); und die Emissionen im Wärmemarkt effizienter durch die Umstellung auf elektrische Wärmetechnologien in Kombination mit umfassenden Energieeffizienzmaßnahmen reduziert werden können.
Eine frühzeitige und einseitige Festlegung auf einzelne Sektoren und Technologien ist jedoch nicht sinnvoll und birgt das Risiko, dass Klimaneutralität im Wärmemarkt nicht oder nur mit unnötig hohen volkswirtschaftlichen Kosten erreicht wird. Heute stellt das Gassystem über die Hälfte der Versorgung des Wärmemarktes mit Leistung und Energie bereit. Und es kann Spitzenlasten im Wärmebereich auffangen, die das Stromsystem bei einer umfassenden Elektrifizierung des Wärmebedarfs massiv herausfordern würden.
Elektrifizierung des Wärmebedarfs stößt an Grenzen
Nur knapp 5 % des Endenergiebedarfs für die Raumwärme- und Warmwasserbereitstellung werden derzeit unmittelbar durch Strom gedeckt. Demzufolge ist das Stromsystem bisher so gut wie gar nicht den Anforderungen des Wärmemarktes mit einer Kapazitätsvorhaltung für enorme Leistungsspitzen in kalten Wintern ausgesetzt. Basierend auf gemessenen Leistungsdaten aus dem Gasnetz zeigt sich, dass sich die historische StromSpitzenlast von 80 GW bei einer weitgehenden Umstellung auf strombasierte Heiztechnologien allein durch die zusätzliche Bedienung des Raumwärme- und Warmwasserbedarfs um 86 GW bis 124 GW mehr als verdoppeln würde. Eine umfassende Elektrifizierung des Wärmemarktes würde das Stromsystem damit vor erhebliche Herausforderungen in Punkto Ausbau der Erzeugungsund Netzinfrastruktur stellen – zusätzlich zu den Herausforderungen aus Kohle- und Kernenergieausstieg.
Gassystem ist Träger für Versorgung des Wärmemarktes
Fast 50 % der Raumwärme- und Warmwasserbereitstellung in Deutschland werden derzeit direkt aus Erdgas bedient. Das Gasnetz versorgt über 9 Mio. Wohngebäude mit rund 20 Mio. Wohnungen und deckt einen Wärmebedarf von fast 400 TWh jährlich. Weitere Wohngebäude mit etwa 2,5 Mio. Wohnungen werden indirekt über die mit Gas erzeugte Fernwärme erreicht.
Entscheidend über das Jahr ist jedoch die Deckung des Energiebedarfs in Verbrauchsspitzen. Denn der Wärmebedarf ist von erheblicher Saisonalität geprägt, mit einem höheren Energiebedarf in Wintermonaten im Vergleich zu den Sommermonaten und dem daraus resultierenden hohen Bedarf zur saisonalen Speicherung.
Das Gassystem ist seit jeher auf die Saisonalität des Wärmemarktes ausgelegt: So beträgt beispielsweise der gesamte Gasverbrauch im kältesten Monat (Januar oder Februar) schon in durchschnittlichen Jahren etwa das Dreifache des Verbrauchs im wärmsten Monat (Juli oder August). In einer Betrachtung von täglichen Leistungswerten beträgt die Peak-Last sogar etwa das Vierfache der Off-Peak-Last. Dies beinhaltet auch den vergleichsweise kontinuierlichen Gasverbrauch der Industrie, die saisonale Amplitude für den Wärmemarkt ist entsprechend noch deutlich höher. Eine systematische Auswertung der Winterbezüge in den letzten sieben Jahren zeigt, dass die Gasinfrastruktur heute rund 230 GW an Leistung allein für den Wärmemarkt zur Verfügung stellt.
Energieeffizienzvergleich punktet
Die Studie zeigt, dass Wasserstoff in der Heizperiode im Gebäudebestand in vielen Fällen ähnlich energieeffizient ist wie alternative Wärmetechnologien. Ein umfassender Energieeffizienzvergleich muss die tatsächlichen Rahmenbedingungen im Wärmemarkt (wie Außentemperatur, Gebäudezustand und Notwendigkeit der Zwischenspeicherung von Energie) berücksichtigen. Dieses Ergebnis ist bedeutsam, da
• aktuell lediglich 13 % des Gebäudebestandes als vollsaniert gelten, d. h. 87 % des Gebäudebestandes in unsaniertem oder teilsanierten Zustand sind, und
• die Wärmebereitstellung auch in Kälteperioden mit einem geringen Dargebot an Erneuerbaren Energien zu gewährleisten ist und und die Wärmeinfrastruktur auf diese Perioden ausgelegt werden muss.
Im Rahmen dieser Studie wurde, unter Rückgriff auf gemessene Erdgasflüsse der deutschen Ferngasnetzbetreiber (FNB) von 2014 bis März 2021, eine maximale zeitgleiche Gaslast von über 250 GW identifiziert. Gemessen wurde die Maximallast am 12. Februar 2021, bei einer bundesweiten Durchschnittstemperatur von minus 7,1 Grad Celsius.
Ausblick
Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die C02 - Emissionen im Gebäudesektor bis 2030 auf 67 Mio. t zu senken, gegenüber 118 Mio. t im Jahr 2020. In den nächsten 10 Jahren müssten die Emissionen um 43 % sinken, relativ betrachtet also etwa genauso stark wie in den vergangenen fast 30 Jahren (44 % zwischen 1990 und 2019), wobei das Tempo der Emissionsreduktion in den vergangenen Jahren bereits merklich zurückgegangen ist.
Durch den Einsatz von Wasserstoff kann der Beitrag des Gassystems, die hohe und stark saisonale Wärmenachfrage zu bedienen, auch in einer klimaneutralen Welt genutzt werden. Die bestehenden Gasnetze (40.000 km Transport- und 510.000 km Verteilnetz) können auf Wasserstoff umgestellt werden. Die europäischen Gasnetzbetreiber haben hierzu bereits verschiedene Konzepte erarbeitet und erproben Umstellungen von Erdgaspipelines in konkreten Pilotprojekten in der Praxis.
Die Option des Einsatzes von Wasserstoff für den Wärmemarkt, insbesondere zur Beheizung von Bestandsgebäuden, sollte weiter aufrechterhalten werden. Denn H2 -Heizungen weisen in der Heizperiode ähnliche Gesamtwirkungsgrade auf wie andere klimaneutrale Heizungssysteme.
Weitere Information zur Studie unter: media@frontier-economics.com