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Der Energiebinnenmarkt – Reform oder Auslaufmodell?
Mit Blick auf den Europäischen Energiebinnenmarkt sind neben dem akademischen Anspruch neues Vertrauen und neue Kräfte vonnöten, unterstreicht Erik von Scholz, Vorstandsvorsitzender GDF SUEZ Energie Deutschland AG in seinem Beitrag.
Die meisten Diskussionen um den Energiebinnenmarkt drehen sich um Erzeugung und Netzinfrastruktur. Doch ist das mit Blick auf die 500 Millionen Verbraucher in der EU wirklich die richtige Perspektive? Sollten die Verbraucher nicht das Herzstück der Bestrebungen zur Vollendung des Energiebinnenmarktes sein? Kernpunkte der Energiemarktliberalisierung waren schließlich die Einführung von Wettbewerb und der diskriminierungsfreie Zugang zu den Verbrauchern. Die Konsumenten in ganz Europa sollten ihren Energieanbieter frei wählen können. Wettbewerb sollte die Monopolrenditen abschmelzen und dafür sorgen, dass Energie für den Verbraucher günstiger wird, auch mit Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie.
Was haben die Kunden vom Binnenmarkt?
Tatsächlich hat die Liberalisierung für die Kunden eine bisher nicht dagewesene Vielfalt an Energielieferanten gebracht. Doch mit den neuen Möglichkeiten hat sich auch ihre Erwartungshaltung geändert. Sie suchen keine Pauschallösungen, sondern wollen zunehmend unabhängiger sein und mitgestalten. Sie wollen keine Lieferanten, sondern Energiepartner. Sie erwarten von der Energie branche passende Lösungen und mehr Flexi bilität in einem immer komplexeren Umfeld. Von den versprochenen Preiseffekten ist bei den Kunden allerdings nicht viel angekommen, denn die meisten Mitgliedsstaaten haben Energie als „Fundraising Instrument“ entdeckt. Neue staatliche Abgaben und Umlagen haben die Wettbewerbseffekte mehr als kompensiert. Zudem hat das Zusammen- und Wechselspiel zwischen Politik und Energieversorgern, das Hin- und Herschieben des „Schwarzen Peters“ die Kunden verunsichert und den Blick auf den Nutzen des Binnenmarktes verstellt. Wäre es also überraschend, wenn die heutige Realität des Energiebinnenmarkts die Kunden mit einer beachtlichen Erwartungslücke zurück gelassen hätte? Es scheint mehr als zweifelhaft, dass die Kunden den Nutzen des europäischen Energiebinnenmarkts überhaupt erkennen können.
Wie steht es um die großen Energieversorger?
Für die großen Energieversorger – Utilities – war die Schaffung des Energiebinnenmarktes verbunden mit bisher nie dagewesenen Eingriffen in ihre Eigentumsrechte und Beschränkungen der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. Die Folgen: Umfassende strategische Neuausrichtung, gravierende Änderungen der Geschäftsmodelle und tiefgreifende Umstrukturierungen. Viele Unternehmen sind den Weg vom nationalen zum europäischen Player gegangen, manche trotzig nach dem Motto, „was ich im Inland verliere, hole ich mir im Ausland wieder“. Manchmal ging der Weg auch wieder zurück. Allein die 20 größten europäischen Utilities haben in den letzten beiden Jahren einen Wertverlust von 500 Mrd. € erlitten. Dieser Wertverlust ist die Bewertung der internationalen Kapitalmärkte und keine subjektiv gefühlte Befindlichkeitsstörung der Branche. Die Situation in der konventionellen Erzeugung ist europaweit desaströs. Ansätze, die das strukturelle Problem des Wettbewerbs subventionierter und nicht subventionierter Erzeugung lösen, sind politisch nicht gewollt.
Zusammenfassend kann man sagen: Die Anpassung an den Energiebinnenmarkt war für die Utilities kostenspielig und aufreibend. Da der Markt gravierende Funktionsstörungen aufweist, stehen viele Energieversorger vor einem Scherbenhaufen. Vor diesem Hintergrund haben sich 12 der größten europäischen Energieversorger für eine übergreifende Reform der EU-Energiepolitik stark gemacht. Sie fordern Transparenz beim Strompreis für den Kunden, das Ende von Sub ventionen für marktreife Technologien sowie die Einführung von europäischen Leitlinien für Kapazitätsmechanismen. Ebenso unterstützen sie ein funktionierendes ETS und ein ambitioniertes Treibhausgas-ReduktionsZiel für 2030.
Welchen Beitrag leisten die europäischen Netzbetreiber?
Das Unbundling hat dem Netzbetrieb erstmals eine eigenständige Rolle gebracht. Sie sehen sich in der Systemverantwortung - und damit in einer herausragenden Marktrolle. Allerdings lässt sich mit dem Argument der Versorgungssicherheit derzeit nahezu jeder Eingriff in die wettbewerblichen Bereiche durchsetzen. Hier wären wir dann bei der Hirshleifer-Frage: „Who regulates the regulator?“ Denn Investitionen in Netzinfrastruktur sind in vielen Konstellationen austauschbar mit einem Zugriffsrecht auf Erzeugungspositionen. Trittbrettfahren zu Lasten der Erzeugungsseite erspart eigenes Investment und damit Eigenkapital und Risiko. Auf der europäischen Ebene stellt sich immer noch die Frage nach dem Ausbau der europäischen Netzinfrastruktur. Doch statt neue, grenzüberschreitende Übertragungs kapazitäten zu schaffen, werden lediglich immer wieder neue Verfahren eingeführt, um die Engpässe an den bestehenden Grenz kuppelstellen zu verwalten.
Welche Rolle kommt den Stadtwerken zu?
Die pluralistische Struktur der Branche in Deutschland ist einzigartig. Mittlerweile haben wir etablierte dynamische Akteure im Bereich der Erneuerbaren Energien. Stadtwerke, vor 15 Jahren als Auslaufmodell gesehen, sind präsenter denn je. Kein Energieversorgungsunternehmen in Europa weist eine stärkere Nähe zum Kunden und eine größere Kundenloyalität auf als die Stadtwerke. Mit dem Kunden als Zentrum aller strategischen Überlegungen und dem gewachsenen und nachhaltigen Vertrauen zwischen Kunden und Versorger werden die Stadtwerke mehr und mehr zum Innova tionstreiber der Branche. Denn Innovation im europäischen Binnenmarkt ist nur möglich durch enges Zusammenspiel zwischen Kunden und Versorgern. Im Umkehrschluss ist eine dynamische kundennahe Energieversorgungsstruktur eine wichtige Voraussetzung für einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt.
Der Blick auf die wesentlichen Beteiligten legt den Schluss nahe, dass der Europäische Energiebinnenmarkt ein Auslaufmodell werden könnte. Mit einem „Weiter so“ wird ihm über kurz oder lang die Luft ausgehen. Gefragt ist jetzt ein pragmatischer und dynamischer Ansatz anstelle des akademischen Anspruchs. Wir brauchen einen neuen Anlauf und neue Kräfte. Vor allem brauchen wir neues Vertrauen. Wir brauchen Marktteilnehmer, die bei neuen Regeln nicht als erstes Risiko vorsorge betreiben müssen, sondern Marktchancen sichten.
Gefragt sind heute übersichtliche, widerspruchsfreie europäische Marktregeln und wir brauchen die Zurückhaltung der nationalen Politik beim „government take“ oder beim Konter karieren europäischer Regeln durch nationale Gegenmaßnahmen. Dann wird der Mehrwert des Binnenmarktes auch beim Kunden ankommen. Nur über mehr Freiheiten des Marktes werden die Europäischen Ziele eine Chance erhalten.
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