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< NetzCheck: Herausforderungen effizient begegnen
23.06.2014 13:37 Alter: 10 yrs

Demand Side Mangement - Flexibilisierung des industriellen Verbrauchs

Stromverbrauch und das Aufkommen aus erneuerbaren Energien verlaufen asynchron, was zu immer größeren Problemen im Netzbetrieb führt. Die Möglichkeit und Notwendigkeit energieintensiver Industrieunternehmen, durch die Anpassung ihres Verbrauchs zur Lösung dieser Herausforderung der Energiewende beizutragen, war Teil der Diskussion auf der Euroforum Jahrestagung Stadtwerke 2014 in Berlin.


Stromverbrauch und Aufkommen aus

 Dr.-Ing. Christof Bauer, Head of Energy Policy and Strategy bei Evonik Industries AG und Mitglied im Vorstand des VIK setzt im Gespräch Akzente für Demand Side Management, eine stärkere Flexibilisierung des industriellen Verbrauchs.

Herr Dr. Bauer , warum ist Demand Side Management für Sie ein vorrangiges Thema?

Bei der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien erleben wir einen starken Anstieg fluktuierender Energieträger. Die Stromerzeugungsmenge betrug im Jahr 2012 bereits etwa 135 TWh, das entspricht ca. 22 % des Verbrauchs. Im Jahr 2020 sollen es ca. 225 TWh sein, was 40 % entspricht. Stromverbrauch und Aufkommen aus Erneuerbaren verlaufen asynchron, die Folge ist eine immer höhere Eingriffsdichte der Netzbetreiber. Sei es durch Redispatching-Maßnahmen, vermehrt Abschaltung von Wind- und PV-Anlagen oder die Vorhaltung von konventionellen Reservekapazitäten, die allesamt zu erheblichen Kostensteigerungen bei den Netzentgelten führen. Zudem erhöhen die in absoluten Zahlen anwachsenden Prognosefehler bei Wind und PV den Bedarf an kurzfristigen Flexibilitäten zur Kompensation von Überschüssen oder Defiziten. Die Prognosequalität verbessert sich leider nicht mit dem gleichen Tempo, wie der Zubau Erneuerbarer Energien erfolgt. Vorhandene Reserven im System sind weitgehend aufgezehrt, das Gesamtsystem befindet sich an vielen Stellen bereits am Anschlag. Diese Entwicklung ist insbesondere für die Industrie besorgniserregend, deren technologische Pro zesse regelmäßig eine absolut zuverlässige Leistungsversorgung „on demand“ erfordern.

Welche Lösungsansätze sehen Sie?

Wir müssen uns schwerpunktmäßig die Frage stellen: Was kann die Industrie beitragen, um von einer verbrauchsgesteuerten Erzeugung zum erzeugungsgesteuerten Verbrauch zu kommen und welche Potenziale stehen hierbei kurz- und mittelfristig zur Verfügung? Die Königsklasse wäre sicher eine weitgehende Anpassung der Produktionsplanung an Preis signale des kurzfristigen Strommarktes. Hier für fehlen aber oft technisch-wirtschaftliche Voraussetzungen. Letztlich ist es nur ein Re chenexempel, ob wir stromintensive Pro zess schritte flexibilisieren und damit verbundene Überkapazitäten und Lagerbestände in Kauf nehmen, oder ob entsprechende Leer kapa zitäten auf der Erzeugerseite oder Strom spei cher wirtschaftlich attraktiver sind. Gratis ist sicher keine der Alternativen zu haben. Bereits bestehende wirtschaftliche Anreize zur Flexibilisierung des Verbrauchs müssen ungehindert wirken – ob in Form der Lieferung positiver und negativer Regelenergie oder um Preisspitzen im kurzfristigen Strommarkt zu vermeiden, während gleichzeitig Tiefpreisphasen gezielt genutzt werden. An vielen Stellen sind bereits heute die technischen Voraussetzungen in Form von nicht vollkontinuierlich arbeitenden Verbrauchern gegeben. Denken wir beispielsweise nur an Mahlaggre gate, Druckluft- oder Kältekompressoren, Lichtbogenöfen und Elektrolysen. Auch eine Erhöhung der Leistungsabgabe von KWK-Anlagen durch teilweisen Kondensations betrieb oder der Ersatz von Brennstoff wie z. B. Erdgas durch Strom in Überschusssituationen mit niedrigen oder gar negativen Strompreisen ist heute schon mit vergleichsweise geringen Investitionen möglich. Letztlich müssen die Preissignale des kurzfristigen Strommarktes ein wesentlicher Eingangsparameter für die Produktionsplanung stromintensiver Prozesse werden. Dies erfordert aber einen Paradigmenwechsel, denn die technisch-wirtschaftliche Zielsetzung ist traditionell auf eine möglichst kontinuierliche Anlagenauslastung und gleichmäßigen Stromverbrauch ausgerichtet.

Warum liegt das Flexibilisierungspotenzial im Bereich der Industrie weitgehend brach?

Eigentlich sind es triviale Gründe. Industrielle Verbraucher beteiligen sich heute kaum mehr am Markt der positiven Minutenreserve, d. h. einer Absenkung des Verbrauchs auf kurzfristige Anforderung des Netzbetreibers. Nach einem anfänglichen Boom mit der Absenkung von Mindest-Angebotsgrößen durch die Bundes netzagentur (BNetzA), war zunächst eine zunehmende Teilnahme industrieller Verbraucher zu erkennen. Obwohl der Bedarf an diesem Produkt zur Stabilisierung des Stromnetzes eigentlich ansteigt, sind die Preise dafür mittlerweile nachhaltig im Keller, weil zusätzlicher Bedarf durch zugangsbeschränkte regulierte Ressourcen wie „Reserve kraftwerke“ und Kapazitäten aus der Abschaltverordnung gedeckt wird. Aus marktwirtschaftlicher Sicht sicher keine gute Entwicklung. Ein weiteres gravierendes Hindernis ist die Gestaltung der Netzentgelte auf den für die Industrie wichtigen Netzebenen der Mittelspannung und darüber. Temporär erhöhte Verbrauchs spitzen führen dort durch den hohen Leistungspreis anteil zu massiv erhöhten Netzkosten. Die Vergütung von Lieferungen „negativer Regel energie“ (d.h. Mehrverbrauch auf Anforderung zum Ausgleich von Überschusssituationen im Netz) wird so regelmäßig überkompensiert. Hohe Leistungspreise in oberen Spannungs ebenen begünstigen insofern generell massiv einen konstanten Ver brauch (ggf. noch verstärkt durch § 19/2 Satz 2 der StromNEV) und pönalisieren flexible Verbräuche. Somit konterkarieren Netzentgeltsystema tik und der Ersatz marktorientierter durch regulierte Flexibilitäten bereits vorhandene Incen tives für Demand Side Management. Ein Zustand der im Sinne der Energiewende eher kontraproduktiv ist.

Flexibilisierung industriellen Verbrauchs - was muss aus Ihrer Sicht passieren?

Zunächst sollten wir regulatorische Hindernisse für die Wirkung marktwirtschaftlicher Signale aus dem Weg räumen. Ich will hier nur einige der aus meiner Sicht wichtigsten Maßnahmen anführen: Beispielsweise sollte das den marktwirtschaftlichen Mechanismen unterliegende Produkt der Minutenreserve als regelmäßige ausschließliche Ressource zum Ausgleich von unvorhergesehenen Abweichungen bei Erzeugung und Verbrauch genutzt und die Ausschreibungsvolumina an den Bedarf angepasst werden. „Reservekraftwerke“ und „abschaltbare Lasten“ sollten nur letztes Mittel der Wahl in Notfällen sein. An die BNetzA geht der Appell, Lastspitzen infolge Erbringung negativer Minutenreserve bei den Netzentgelten nicht zu berücksichtigen. Eine Änderung der Netzentgeltstruktur in Mittelspannung und darüber in Richtung niedrigerer Leistungspreise und höherer Ar beitspreise scheint ebenfalls dringend geboten. Ein dritter unbürokratisch und einfach zu realisierender Vorschlag: Eine vorübergehende planmäßige Inanspruchnahme erhöhter Netzkapazität sollte ohne Mehrkosten „nach Können und Vermögen“ möglich sein, etwa durch das Prinzip eines Ampelsystems.

Grundsätzlich geht es einfach um die Frage, ist es unter dem Strich günstiger ReserveErzeugungskapazitäten mit 100 Betriebs stunden vorzuhalten, oder stromintensive Verbrauchsanlagen künftig nicht mehr mit 7000 sondern nur noch mit 6900 Benutzungsstunden auszulasten. Wir sollten zuerst auf den industriellen Bereich schauen, nicht auf Kühlschränke. Die Frage ist doch nicht: Kostet uns die Energiewende Geld. Wir sollten uns vielmehr darauf konzentrieren, die Energiewende zu den geringstmöglichen volkswirtschaftlichen Kosten zu realisieren.

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