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22.08.2023 17:45 Alter: 1 year

Das neue Normal der Energiewende

„Der Termindruck im Umbau der Energieinfrastrukturerfordert neue Ansätze – im Umgang mit Lieferanten und in der Art und Weise wie Projekte gemeinschaftlich abgewickelt werden.“


Henrik Töpelt, Head of Energy, Associate Partner Drees & Sommer

Im Zuge der Energiewende wird Deutschlands Energieversorgung grundlegend umgestellt und die Anzahl komplexer Infrastrukturvorhaben weiter steigen. Die Randbedingungen, um Großprojekte erfolgreich umzusetzen, werden dabei nicht einfacher. Termindruck und Engpässe werden als das „Neue Normal der Energiewende“ gesehen. Henrik Töpelt ist Head of Energy und Associate Partner bei Drees & Sommer. In seinem Gastbeitrag für THEMEN!magazin reflektiert er aktuelle Herausforderungen, die bei der Umsetzung von Projekten auftreten. Damit möchte er einen offenen Dialog zum Thema anstoßen.

In der Energiewirtschaft werden Großprojekte immer komplexer, häufig verzögert sich dadurch die Fertigstellung und die Kosten steigen. Da bei solchen Projekten die Anforderungen, das öffentliche Interesse und die Risiken generell hoch sind, ist neben Erfahrung beim Vorhabenträger auch Planungs- und Steuerungskompetenz erforderlich. Noch wichtiger ist es allerdings, im jeweiligen Projektsetup einen Modus mit allen Beteiligten zu finden, der auch in schwierigen Zeiten und unter widrigen Bedingungen Stabilität garantiert. Der Fokus muss darauf liegen, jegliche Gefährdung der zentralen Projektziele wirksam zu unterbinden. Dies erfordert vollkommen neue Denk- und Abwicklungsansätze.

Die Ausgangslage: Engpässe als neuer Standard

Die Energiewende kann nur unter der Voraussetzung gelingen, dass möglichst viele Projekte parallel umgesetzt werden. Dies umfasst Vorhaben beim Ausbau der Stromnetze, beim Zubau der Erneuerbaren, bei der „grünen“ Wärmewende sowie beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. Überall werden hohe Investitionen getätigt. Die Auftragslage für ausführende Unternehmen ist entsprechend hoch – für bestimmte Komponenten oder Dienstleistungen wächst das gesamte Auftragsvolumen auf ein Vielfaches der Vorjahre. Dieser Umstand schlägt sich im Ablauf der einzelnen Projekte nieder. Engpässe bei Planern und Lieferanten gefährden fast zwangsläufig auch wichtige Parameter wie Kosten, Termine und Qualität. Dies zeigt sich beispielsweise in Lieferzeiten wichtiger Assets. Die Lieferzeit von Transformatoren im Stromnetz hat sich zum Beispiel deutlich verlängert. Und auch die Preise steigen angesichts von Inflation und fragiler bzw. sogar unterbrochener Lieferketten stetig an. Ebenfalls macht sich der Fachkräftemangel in allen Projektphasen bemerkbar. Von der Planung bis zur Inbetriebnahme einer Anlage oder eines Leitungsprojekts fehlen heute die entsprechenden Expertinnen und Experten. Häufig können Auftraggeber wie etwa kleinere Stadtwerke oder Stromverteilnetzbetreiber nicht die Strukturen und Ressourcen bereitstellen, um größere Investitionsvorhaben zu steuern und zu überwachen. Lösungsansätze sind dringend gefragt.

Lösungsansatz 1: Beschaffungsstrategien hinterfragen

Ein möglicher Lösungsansatz liegt im Bereich der Vergabestrategien. Generell ist zu überlegen, wie alle Gewerke bestmöglich zu beschaffen sind und ob etwaige Marktrestriktionen schon beachtet wurden. Eine frühe Sondierung mit Marktteilnehmern, wie sich Gewerke sinnvoll bündeln und gemeinsam vergeben lassen, kann Abhilfe schaffen. Dabei sollten die Beteiligten sich Fragen stellen wie: Welcher Auftragsumfang ist für Kontraktoren gut abzuwickeln? Wann drohen Verzugs- oder Qualitätsrisiken? Auch der Aspekt, ob neue Abwicklungsmodelle mit anderen Ansätzen zur Teilung von Vertrags- und Abwicklungsrisiken in Frage kommen, sollte umfassender beleuchte.

Lösungsansatz 2: Mehr Zeit in Leistungsbeschreibungen investieren

Leistungsbeschreibungen sind die Grundlage jeder Projektplanung und -realisierung. Es beginnt damit, dass Vorhabensträger ihre Ziele und Anforderungen klar definieren und in exakten Beschreibungen von Leistung und Projektumfang festhalten müssen. Das klingt wie eine Binsenweisheit. Doch in der Praxis schleichen sich nicht selten Unklarheiten ein. Häufig werden auch Vorlagen aus der Vergangenheit verwendet und dann nur unzureichend auf die aktuellen Erfordernisse und Projektbedingungen angepasst. Damit sind um[1]fassender Klärungsbedarf im Vergabeprozess oder Verzögerungen in der Ausführungsphase vorprogrammiert. In der Praxis wirkt Zeitdruck oft gegen eine optimale Planung. Doch das Beschleunigen des Planungsprozesses führt häufig zu Konsequenzen in Folgephasen. Zu spät Eingebundene torpedieren dann das laufende Projekt mit ihren Änderungsforderungen. Das kostet Zeit, Termine verschieben sich, nicht einkalkulierte Kosten entstehen.

Lösungsansatz 3: Digitalisierung im richtigen Maß einsetzen

Die Überlappung von Planungs- und Bauphasen macht das Realisieren verfahrenstechnischer Großanlagen komplexer denn je. Über Excel-Tabellen lassen sich Workflow und Schriftwechsel dabei nicht mehr organisieren. Es braucht datenbankbasierte, zentrale Dokumentmanagement-Tools, um die Vielzahl an Dokumenten zu verwalten. Änderungen und Freigaben zuständiger Ingenieure und Projektleiter sind transparent über Workflows nachvollziehbar. So hält man Reporting und Kennzahlen auf dem aktuellen Stand und verhindert, dass doppelgleisig und womöglich auf Basis veralteter Dokumentenstände verfahren wird. Man sollte jedoch nur Tools einsetzen, die wirklich nützen und Prozesse verlässlich abbilden. Es gilt, die richtige Balance beim Digitalisierungsgrad eines Projekts zu finden. Insgesamt sollten nicht zu hohe Ambitionen verfolgt werden. Es kommt vielmehr auf die richtige Kombination der IT-Anwendungen an.

Foto: Petmal, gettyimages

Drees & Sommer begleitet die gesamte Wertschöpfungskette von Erzeugung, Transport, Speicherung, Lagerung sowie Nutzung von grünem Wasserstoff. Dabei umfasst die Expertise sowohl die baulich-technische und infrastrukturelle Beratung für Anlagen und Gebäude als auch Konzepte, Planungen und eine effektive Realisierung.

Last-but-not-least: Der Mensch als zentraler Erfolgsfaktor

Engpässe und damit Termin- und Qualitätsrisiken – insbesondere in größeren Projekten – sind unvermeidbar. Die Basis für den Projekterfolg bildet der richtige Umgang mit Dienstleistern und Lieferanten. Das Fundament hierfür wird in frühen Projektphasen gelegt. Priorität sollte haben, Qualitätsmängel und vertragliche Eskalationen schon im Vorfeld zu verhindern. Dies gelingt am besten durch einen proaktiven Umgang mit kritischen Themen. Selbst wenn Konzeptplanung, Beschaffungsstrategie, Baumanagement und Inbetriebnahme perfekt organisiert und die technischen Tools auf dem neuesten Stand sind – am Ende machen Menschen die Projekte. Menschen sind daher der zentrale Erfolgsfaktor – wenn sie gut ausgebildet, motiviert und in der Lage sind, ihre jeweilige Funktion im Projekt optimal wahrzunehmen. Nur dann können sie alle Entscheidungen und Handlungen an den Projektzielen ausrichten.

 

www.dreso.com/energy Anfragen an den Autor unter: energy@dreso.com