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Das Energiewende-Paradoxon überwinden
Seit fast acht Jahren steht das Klimaschutzziel der Bundesregierung fest. Im Rahmen der Meseberger Beschlüsse wurde 2007 beschlossen, dass Deutschland bis 2020 seine Treibhausemissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren soll. Lagen die Emissionen 1990 bei rund 1.250 Millionen Tonnen CO2, soll der Zielwert 2020 demnach 750 Millionen Tonnen erreichen. Trotz deutlicher Anstrengungen der deutschen Wirtschaft und dem Boom bei den Erneuerbaren ist dieses Ziel nach Einschätzung des Bundesumweltministeriums nicht zu erreichen und wird bis 2020 um fünf bis acht Prozent verfehlt. Ein Gastbeitrag von Sven Becker, Sprecher der Geschäftsführung, Trianel GmbH.
Mit dem im Dezember 2014 vorgelegten Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 will die Bundesregierung alle Sektoren zu zusätzlichen Emissionsreduzierungen verpflichten. Damit ist auch der deutsche Stromsektor aufgefordert, einen weiteren Beitrag zu leisten. Im März hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) Überlegungen für einen „nationalen Klimaschutzbeitrag der deutschen Stromerzeugung“ angestellt, um die CO2-Emissionen des konventionellen Kraftwerksparks um zusätzliche 22 Mio. Tonnen abzusenken. Der Vorschlag sieht ab 2017 für thermische Kraftwerke, die älter als 20 Jahre sind, pro Gigawatt installierter Leistung einen Emissionsfreibetrag zwischen drei (für 40 Jahre alte Kraftwerke) und sieben Millionen Tonnen CO2 (für 20 Jahre alte Kraftwerke) vor. Für jede weitere Tonne Treibhausemissionen soll ein „Klimabeitrag“ anfallen, der im Jahr 2020 in Form von zusätzlichen ETS-Zertifikaten im Wert von 18-20 €/t CO2 abgegeben werden muss. Kraftwerke in den ersten 20 Betriebsjahren sollen vollständig freigestellt werden.
Steigende CO2-Emissionen trotz des Erneuerbaren-Booms
Vor dem Hintergrund des europäischen Emissionshandelssystems und der auf EU-Ebene festgelegten Emissionsmengen hat Minister Gabriel im Dezember 2014 vom Bundeskabinett einen komplexen Auftrag erhalten. Das 40 Prozent-Ziel solle eingehalten und die Stromwirtschaft 22 Millionen Tonnen zusätzlich einsparen. Denn aus jeder nationalen Einsparung folgt, dass im europäischen Ausland mehr CO2 emittiert werden darf.
Mit dem Klimabeitrag wird das Paradoxon aufgelöst. Denn Deutschland stellt mit diesem ordnungspolitischen Instrument nicht nur die nationale Reduktion sicher, sondern überkompensiert auf europäischer Ebene jeden zusätzlichen Ausstoß, indem die Emittenten verpflichtet werden, Emissionszertifikate in einer festgelegten Euro-Höhe aus dem Markt zu nehmen. Bei den aktuellen Marktpreisen müssten für jede in Deutschland zu viel ausgestoßene Tonne CO2-Zertifikate für 2,5 bis 3 Tonnen aus dem Markt genommen werden. Damit ist es dem BMWi gelungen, den gordischen Knoten zu durchschlagen, der sich aus dem Problem Harmonisierung eines nationalen Ziels mit dem europäischen Emissionshandel ergibt.
Dies ist unbedingt nötig: Denn obwohl die erneuerbaren Energien bereits 26 Prozent des deutschen Stromverbrauchs decken, sinken die CO2-Emissionen durch den stetigen Ausbau des Marktanteils der Braunkohleverstromung nicht ausreichend. Der Boom der Erneuerbaren mit seinen Folgen für den Strommarkt beflügelt den Betrieb der ältesten konventionellen Kraftwerke und macht den Betrieb moderner und effizienter GuD-Anlagen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten fast unmöglich.
Modernisierung des Kraftwerksparks
Im Rahmen der Diskussion um ein neues Strommarktdesign wurde stets auf die fehlende Anreizwirkung des Emissionshandels hingewiesen, um eine Modernisierung des deutschen Kraftwerksparks voranzutreiben.
Unstrittig ist, dass der CO2-Handel reformiert werden muss. Da dies aber nur auf europäischer Ebene möglich ist, wird diese schon lang diskutierte Reform aufgrund des sehr schwierigen Abstimmungsbedarfs seine Wirkung erst nach 2020 entfalten.
Weil somit die Signalfunktion des CO2-Preises auf absehbare Zeit versagt, wird der überalterte Kraftwerkspark in Deutschland manifestiert. Deutschlands CO2-Ziele können nicht erreicht werden. Vor diesem Hintergrund ist ein national wirkender Mechanismus, der mit dem ETS gekoppelt und kompatibel ist und die ursprünglich verfolgte Lenkungswirkung wieder entfaltet, eine Option.
Die nationalen CO2-Minderungsvorgaben sind das Fundament der Energiewende. Auf dieser Basis ist es zwangsläufig, dass der fossile Kraftwerkspark umgebaut werden muss. Nach Einschätzung von Experten wird der BMWI-Vorschlag für Steinkohlekraftwerksblöcke, die vor 1980 in Betrieb genommen wurden und für 300 MW- Braunkohlekraftwerke zu vorzeitigen Stilllegungen führen. Betroffen wären also bei weitem nicht alle Stein- und Braunkohlekraftwerke, sondern lediglich die ältesten (zum Teil sind die Kraftwerke über 50 Jahre alt) und ineffizientesten Anlagen mit Wirkungsgraden von unter 30 % und folglich mit dem intensivsten Treibhausgas-Ausstoß. Die jüngste Analyse der britischen Klimaschutzorganisation Sandbag auf Basis der offiziellen europäischen Emissionsdaten zeigt auf, dass vier der fünf größten CO2-Emittenten Europas in Deutschland stehen.
Stadtwerke haben die Energiewende und das nationale CO2-Minderungsziel immer unterstützt. In Verbindung mit dem Kernenergieausstieg war der Klimaschutz die zentrale Motivation, um als kommunale Unternehmen in flexible und hocheffiziente konventionelle Kraftwerke zu investieren. Hier eröffnet der Klimabeitrag eine Chance, den nötigen Umbau des Kraftwerksparks mit Blick auf Energieeffizienz und Klimaschutz voranzutreiben.
Unter den aktuellen Bedingungen aber wird es keine weiteren Investitionen in moderne Kraftwerkstechnik geben. Die nationalen und europäischen Klimaschutzziele sind nur erreichbar, wenn neben den Effizienzsteigerungen im Wärme- und Verkehrssektor die deutsche Stromerzeugung bis 2050 weitgehend dekarbonisiert wird. Dazu ist es auch notwendig am KWK-Ausbauziel von 25 Prozent festzuhalten, um die Möglichkeiten dieser Technik ökologisch und ökonomisch voranzutreiben.
Strukturwandel ist eine politische Herausforderung
Gesamtwirtschaftlich darf nicht übersehen werden, dass der Klimabeitrag in den Braunkohle- Revieren, aber auch bei Unternehmen mit einem sehr einseitigen Erzeugungsportfolio zu ernsthaften wirtschaftlichen Problemen führen kann. Hier werden Energiewende und Klimaschutz einen Strukturwandel nach sich ziehen, der in den betroffenen Regionen mit sozial- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu flankieren ist. Politisch ist dies zweifellos eine Herausforderung.
Der Umbau der Energieversorgung auf regenerative Energien ist ein gesamtgesellschaftlicher Konsens. Insofern sind auch die Folgen gesamtgesellschaftlich zu tragen. Wenn das gelingt, kann damit ein wichtiger Innovationsschub für unsere Branche gelingen.
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