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< Rettungsinseln der Energiemärkte: Moderne Handels- und Risikomanagementsysteme
20.12.2022 15:06 Alter: 2 yrs

Cashcow Stadtwerke – Ist die Daseinsvorsorge in Gefahr?

Dieser Frage stellten sich in einem Speaker Corners auf der HandelsblattJahrestagung „Stadtwerke 2022“ Dr. Hans-Georg Napp, Leiter des Bereiches Öffentliche Hand, Helaba (Landesbank Hessen-Thüringen) und RA Dr. Gerhard Holtmeier, Energieexperte. Im Anschluss sprach THEMEN!magazin mit beiden Protagonisten.


rechts: Dr. Gerhard Holtmeier, Energieexperte und Rechtsanwalt links: Dr. Hans-Georg Napp Leiter des Bereiches Öffentliche Hand, Helaba Fotos: Thomas Ecke, Frank Hueter

Wie bewerten Sie beide die aktuelle Situation der Stadtwerke?

Napp: Die Stadtwerke befinden sich insgesamt gegenwärtig in einem sehr unruhigen Fahrwasser. Die Herausforderungen sind ganz besondere und bedürfen neuer Antworten; nicht nur einer ggf. umfassend staatlich gestützten Sicherung der Energieversorgung, sondern auch Überprüfungen bisheriger Strukturen kommunaler Infrastrukturkonzerne. Jetzt zeigt sich, welche Stadtwerke in der Vergangenheit Vorsorge getroffen haben für eine belastbare Eigenkapitalausstattung, angemessenen Support ihrer Gesellschafter aber auch für kurzfristige Verfügbarkeit von Liquidität.

Holtmeier: In den letzten 10 Jahren war es vor dem Hintergrund immer weiter fallender Energiepreise und geringer Volatilitäten im Handelsbereich nicht wirklich notwendig, sich tiefergehende Gedanken über Risikomanagement zu machen. Bei einer Verzehnfachung der Gaspreise in nicht einmal neun Monaten, zum Ende des Jahres 2021 war ein Gegensteuern faktisch nicht möglich. Offene Positionen für 2022 konnten oft nicht so schnell geschlossen werden, wie es sich mancher heute wünschen würde.

Ist die jetzige Situation mit der Bankenkrise 2007/08 vergleichbar?

Holtmeier: Mich erinnert dies sehr an die damalige Situation. Auch heute erlebe ich wieder, dass Unternehmen, wie Uniper, LEAG oder VNG von der Bundesregierung bzw. der KfW mit Milliardenbeträgen gestützt wurden, um den börslichen Energiehandel aufrecht zu erhalten. Die meisten Stadtwerke, die im Zweifel dort gar nicht handeln, sondern eher OTC einkaufen, sehen sich aber auch zunehmend Forderungen der Vorlieferanten und Händler gegenüber, die Sicherheiten wie z. B. Bankbürgschaften ins Spiel bringen.

Napp: Ich sehe das ebenso. In der damaligen Bankenkrise ging es um das Vertrauen der Marktteilnehmer untereinander. Dies konnte weltweit nur durch staatliche Eingriffe kurzfristig wieder stabilisiert werden. Mein Eindruck aktuell ist, dass die dezentrale Struktur der Stadtwerke und deren angesprochene Handelsaktivitäten vor allem im OTC-Bereich es für die Bundesregierung schwerer machen hier strukturell ebenfalls adäquat zu unterstützen. Daher auch die Forderung aus Berlin, dass deren (kommunale) Eigentümer in diesem Zusammenhang ebenso gefragt sind.

Bisher war die Energieversorgung für die Kommune als Anteilseigner ihre Stadtwerkes eine sichere Bank – ist das jetzt vorbei?

Napp: Ich würde es so formulieren - Stadtwerke mit entsprechenden Liquiditätsreserven und einer soliden Kapitalbasis haben in den letzten Monaten trotz leichter Blessuren weiter solide agieren können; andere Stadtwerke sind mit ihren jeweiligen Hausbanken verstärkt im Gespräch über die Gewährung von weitreichenden Kreditlinien zur Absicherung des Tagesgeschäftes. Aber welche Folgen hat es für eine unter Druck stehende (Energie-)Versorgungssparte dauerhaft auch als „Co-Finanzierer“ im kommunalen Querverbund?

Holtmeier: Die Stadtwerke werden zu ganz normalen Unternehmen. Hierzu zählt jetzt ein taggenaues und vorausschauendes Liquiditätsmanagement. Die Finanzierungsfähigkeit, deren Nachweis aufgrund der kommunalen Anteilseignerstruktur bisher kaum außer Frage stand, wird inzwischen durch die Banken verstärkt hinterfragt. Die Vorgaben für die Einräumung von Kreditlinien, wie ein geringer Verschuldungsgrad und entsprechende corporate covernants (spezfische Kreditbedingungen), ziehen, so ist meine aktuelle Erfahrung bei der Unterstützung von Stadtwerken, deutlich an.

Was bedeutet das für den Anteilseigner Kommune?

Holtmeier: Es sind hier im Wesentlichen zwei Punkte. Zum einen die jährliche Dividende, die im steuerlichen Querverbund wesentlich ist, um Verlustbringer wie Bäder oder ÖPNV (mit) zu finanzieren. Fällt diese in den nächsten Jahren teilweise oder ganz aus? Zum anderen steht das Stadtwerk in den nächsten Jahren vor erheblichen finanziellen Herausforderungen die Energieversorgung klimaneutral umzubauen. Auf welcher wirtschaftlichen Basis kann hier die Finanzierung erfolgen?

Napp: Per se verfügen Stadtwerke über stabile Assets wie bspw. die Energienetze, die für die Finanzierung herangezogen werden können. Allerdings erschwert deren Regulierung, welche bisher rein auf Kostenoptimierung ausgerichtet ist, ggf. eine Investition in eine neue nachhaltige Struktur. So stellt sich im Gasbereich die Frage der Nachhaltigkeit dieser Infrastruktur ganz generell. Und im Strombereich, wie das Stromnetz für die anstehenden Anforderungen weiter ertüchtigt werden kann.Hier reden wir über erhebliche Beiträge der Stadtwerke und letztlich der Kommune. Und ob und inwieweit es zusätzlich zu Fehlinvestitionen, sog. „stranded investments“, in einem politisch wie wirtschaftlich unsicheren Umfeld kommen könnte, ist nicht gänzlich auszuschließen.

Sehen Sie die Ziele aus dem „energiepolitischen Dreieck“, also Preiswürdigkeit, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit der Energiewirtschaft gefährdet?

Napp: Die Kommunen und ihre Stadtwerke stehen kurz- wie mittelfristig vor erheblichen Herausforderungen. Die Notwendigkeit sich „wetterfest“ zu machen ist ein MUSS. Das trifft für die Kommune als Gesellschafter zu, damit Städte und Gemeinden gegebenenfalls mit Eigenkapital das Stadtwerk stärken, wie

Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Patrick Graichen auf der HandelsblattJahrestagung Stadtwerke 2022

auch für das Stadtwerk als Unternehmen selbst, dass sich in seiner Struktur und seinen Prozessen auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen muss.

Holtmeier: Wir erleben erstmals in den letzten 30 Jahren, dass alle drei Ecken des Dreiecks gleichzeitig unter erheblichen Druck geraten. Hinzu kommt, das Stadtwerk hat den Ausgleich in dem Dreieck vor Ort zu bewerkstelligen und ist selbst verstärkt mit sich und seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beschäftigt. Ich würde mir wünschen, dass sich Anteilseigner und Management bewusst mit dieser Situation auseinandersetzen, solange sie es noch selbst gestalten können.

Herr Dr. Holtmeier, Herr Dr. Napp, wir bedanken uns für das Gespräch.

Ergänzung der Redaktion: Die Relevanz obiger Aussagen zeigt sich aktuell in dem „Hilferuf“ der Uniper SE Ende Juni nach staatlicher Unterstützung. Auch der VKU und die kommunalen Spitzenverbände schlagen Alarm. Vor allem Bund und Länder werden infolge der gestiegenen Liquiditäts- und Insolvenzrisiken der Stadtwerke neben den kommunalen Eigentümern selbst mit in die Pflicht genommen.