Nachricht
Brauchen wir 2030 noch Verteilnetzbetreiber?
Welche aktuellen und zukünftige Herausforderungen sehen Verteilnetzbetreiber bis zum Jahr 2030. Wie ändern sich die Aufgabenfelder im Rahmen der Transformation des Energiesystems? Sind Anpassungen des gesetzlichen und regulatorischen Umfeldes notwendig?
Antworten darauf gibt die von Becker Büttner Held Consulting AG und der Kanzlei Becker Büttner Held erarbeitete Studie „Verteilnetzbetreiber 2030 – Aufgaben I Herausforderungen I Strategien“.
Zu wesentlichen Aussagen der Studie informiert Peter Bergmann, Vorstand der Becker Büttner Held Consulting AG und Experte für energiewirtschaftliche Fragestellungen.
Foto: Enno Kapitza
Der Ausbau Erneuerbarer Energien und ihre Finanzierung über den EEG-Umlage-Mechanismus ist das Herzstück der Energiewende, aber damit allein ist es nicht getan. Um die Versorgungssicherheit kontinuierlich gewährleisten zu können, müssen die Netze auch in der Lage sein, eine steigende volatile Einspeisung aus dezentralen Erzeugungsanlagen aufzunehmen und zu verteilen.
Und hier kommen die Verteilnetzbetreiber (VNB) ins Spiel: Sie erledigen den anspruchsvollen Job, die Erneuerbaren-Energien-Anlagen in ihre Netze zu integrieren und die fluktuierenden Energiemengen zu verteilen. VNB übernehmen außerdem die Aufgabe, die Ladeinfrastruktur zu integrieren, und sorgen so dafür, „das Lade-Netz“ für den Markthochlauf der Elektromobilität fit zu machen. Und sollte Deutschland die Potenziale des Lastmanagements – also die Anpassung von Nachfrageverhalten und Einspeisung - wirklich nutzen wollen, dann werden VNB als verlässlicher Partner auch hier mehr denn je benötigt.
Aufgaben im Netzbetrieb
Den Aufgaben eines Netzbetreibers können grundsätzlich die folgenden Bereiche zugeordnet werden: Netzplanung (1), operativer Netzbetrieb (2) und Netzführung (3). Die Netzplanung obliegt im eigenen Netz grundsätzlich jedem Netzbetreiber selbst.
Der operative Netzbetrieb umfasst neben dem kaufmännischen auch den technischen Netzbetrieb u. a. mit dem Bau und der Instandhaltung von Anlagen, der Entstörung sowie Shared Services (technische und kaufmännische Dienstleistungen). Jeder Netzbetreiber ist grundsätzlich auch für den operativen Betrieb seines eigenen Netzbereichs verantwortlich.
Die Netzführung erfolgt über eine Netzleitstelle und umfasst die Erbringung wesentlicher Systemdienstleistungen. Hierzu zählen die Frequenzhaltung, das Netzengpassmanagement, die Spannungshaltung und der Versorgungswiederaufbau. Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) übernehmen bei der Frequenzhaltung und dem Versorgungswiederaufbau die Gesamtkoordination, den VNB kommen an dieser Stelle wichtige unterstützende Aufgaben zu. Bei ca. 50 % der befragten VNB sind bereits heute Anlagen installiert, die am Regelleistungsmarkt teilnehmen. Somit übernehmen die VNB für die Frequenzhaltung bereits heute eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Spannungshaltung übernimmt grundsätzlich jeder Netzbetreiber im eigenen Netz selbst.
Das Netzengpassmanagement für das Gesamtsystem wird zwar vom ÜNB koordiniert, VNB führen im eigenen Netzgebiet jedoch ebenfalls eigenständig Maßnahmen zum Netzengpassmanagement durch. Insbesondere für die Versorgungssicherheit relevante Aufgaben im Netzbetrieb erbringen die VNB in Eigenleistung. Wo es sinnvoll ist erbringen die VNB ihre Leistungen in Kooperation mit regionalen Partnern oder Dienstleistern. Dahinter liegt die Motivation eine effiziente Auslastung der Mitarbeiter (z. B. beim Regulierungsmanagement) sicherzustellen sowie Kosten bei Dienstleistungen zu minimieren.
Strategien für zukünftige Aufgaben im Netzbetrieb
Die zukünftigen Aufgaben im Netzbetrieb werden im Vergleich zu heute wesentlich komplexer und umfänglicher ausfallen. Impulsgeber ist die stetig fortschreitende Transformation des Energiesystems mit den vier wesentlichen Entwicklungstrends: Dekarbonisierung und Dezentralisierung (1), Digitalisierung (2), Sektorenkopplung (3) und europäisches Verbundsystem (4). Diese Trends stellen VNB vor neue Herausforderungen, die Transformation des Energiesystems auf regionaler Ebene effizienter zu gestalten.
Zukünftig werden bei der Netzplanung eine erhöhte Anzahl dezentraler und volatiler Erzeugungsanlagen, die vor allem im Verteilnetz eingebunden werden, und die Auswirkungen der Sektorenkopplung zu berücksichtigen sein. Wird die Netzplanung um innovative Planungskonzepte (z. B. probabilistische Netzplanung) ergänzt sowie intelligente Technologien und zusätzliche Flexibilitätsoptionen durch Sektorenkopplung berücksichtigt, kann der Netzausbaubedarf gesenkt werden. Insbesondere die VNB können auf Grundlage ihrer Kenntnis der dezentralen Strukturen passgenaue (effektiv und effizient) Lösungen (bspw. für innovative Netzbetriebsmittel wie dezentrale Batteriespeicher) für die jeweiligen Netzgebiete planen und realisieren. Die befragten VNB sind sich dieser Potentiale bewusst und auch bereit, diese zukünftig noch stärker zu nutzen.
Voraussetzung dafür sind jedoch geeignete Rahmenbedingungen. VNB sehen derzeit bei der Integration von intelligenten Technologien Hemmnisse im rechtlich-regulatorischen Bereich. Denn die Regulierungsvorgaben setzen falsche Investitionsanreize, bspw. durch die fehlende Anerkennung von OPEX-Kosten außerhalb des Basisjahres. Auch die fehlende Planungssicherheit wurde von den VNB als ein wesentliches Hemmnis genannt.
Analog zur Netzplanung wird sich auch die Zunahme von dezentralen Einspeiseanlagen und von Technologien zur Sektorenkopplung auf die Netzführung auswirken. Da VNB i. d. R. mehrere Medien, wie Strom-, Gas- oder Wärmenetze, betreiben und damit über die Kenntnis der jeweiligen Netzzustände verfügen, bringen sie die idealen Voraussetzungen mit, um Technologien zur Sektorenkopplung effizient in Netze zu integrieren und zu betreiben.
Durch den Einsatz dieser zusätzlich verfügbaren Flexibilität und ergänzender innovativer Betriebsmittel werden VNB zukünftig noch mehr Verantwortung für die Netzstabilität übernehmen. Allerdings sehen die befragten VNB hier noch deutliche Hemmnisse im wirtschaftlichen bzw. rechtlich-regulatorischen Bereich.
VNB benennen auch, dass insbes. die höhere Datenverfügbarkeit – als ein Ergebnis der Digitalisierung – Potenzial für den operativen Netzbetrieb bietet, beispielweise zu einer effizienteren Instandhaltung und Entstörung. Grundsätzliche Änderungen wird die Aufgabenerbringung zukünftig jedoch nicht erfahren.
Ergebnisse der Studie
Im Ergebnis zeigt die Studie, dass für den zukünftigen Netzbetrieb im Rahmen der Transformation des Energiesystems nicht zuletzt dezentrale Lösungen optimal sind. Die VNB sehen sich in der Lage, die auf sie zukommenden Aufgaben bewältigen zu können.
Unabhängig von ihrer Größe ist den VNB bewusst, welche Anforderungen sie erwartet. Denn „die Energiewende findet vor allem im Verteilnetz statt“ und VNB sind der ideale Akteur zur Umsetzung der Sektorenkopplung als Schlüsseltechnologie für die Transformation des Energiesystems und der Dekarbonisierung, da sie über jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit mehreren Medien (Strom, Gas, Wärme etc.) verfügen.
Aus der Studie lassen sich vier Thesen ableiten:
- VNB sind unverzichtbare Akteure der Energiewende, denn sie binden die dezentralen Anlagen ein.
- VNB sind aufgrund ihrer Erfahrungen mit Netzen verschiedener Medien und KWK-Anlagen Experten für die Sektorenkopplung.
- Die Größe des VNB ist nicht entscheidend, da Leistungen auch über Kooperationen oder Dienstleister erbracht werden können.
- VNB tragen Systemverantwortung und leisten einen Beitrag zur Systemstabilität.
Aufbauend auf diesen Thesen lassen sich im folgenden mehrere pointierte Forderungen an die Politik ableiten, deren Umsetzung sicherstellen kann, dass VNB auch zukünftig in der Lage sind, ihre umfangreicheren Aufgaben zu erfüllen:
- VNB brauchen für die Erfüllung ihrer Aufgaben angemessene Instrumente und die notwendigen Daten (entsprechend zu Übertragungsnetzbetreibern).
- Netzentgeltsystematik und Regulierung sollten keine Anreize setzen, die zukunftsschädlich ausfallen.
- Unbundling-Vorgaben sollen nicht innovationsfeindlich sein.
- VNB müssen bei der Art der Erfüllung ihrer Aufgaben frei sein: Kooperationen & Co. dürfen nicht schlechter gestellt werden.
Brauchen wir im Jahre 2030 noch VNB?
Die Antwort kann nur lauten: Ja – wir brauchen sie mehr denn je. Mit ihrer Struktur, ihren Kompetenzen und ihren Erfahrungen sind sie hervorragend aufgestellt, um die Transformation unseres Energiesystems aktiv zu begleiten. Die dezentralen Strukturen der VNB ermöglichen effiziente und intelligente Energieversorgungsstrukturen. Sie sind Gestalter der Energiewende und sorgen auf Augenhöhe mit den ÜNB für die Netzstabilität und die Versorgungssicherheit. Deshalb sollte sich der politische Diskurs nicht allein auf den Ausbau der Übertragungsnetze beschränken. Denn ohne gut ausgestattete VNB kann die Energiewende nicht gelingen.
www.bbh-beratung.de
Zur Studie
Für ihre Studie haben BBHC und BBH in einer großangelegten Umfrage VNB selbst nach ihrer Praxis und ihren Erwartungen für die Zukunft befragt. Erfreulicherweise haben über 200 VNB (von städtisch über ländlich geprägten bis überregionalen VNB) an der Studie teilgenommen. So konnte ein repräsentatives Meinungsbild der Branche abgebildet werden.
In einem „Vordenkerkreis“ aus repräsentativen Vertretern der VNB wurden im Vorfeld entsprechende Thesen diskutiert und ein Fragebogen für die Studie entwickelt. Die anonyme Befragung fand im Zeitraum: 12/2017 bis 01/2018 statt.