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Befreiungsschlag durch echte Führung
Die Personalentwicklung gilt als eine der größten Herausforderungen in Unternehmen. Dabei können die Schnelllebigkeit unserer Zeit, der Informationsüberfluss und die globale Diskussion rund um die zentralen Future Skills leicht zu Unsicherheit führen. Was macht erfolgreiche Führung aus? In einem Gastbeitrag beleuchtet Dr. Thomas Schlaak, Global Leader Power & Utilities und Partner Deloitte aktuelle Anforderungen an Führungskräfte.
„In diesen Tagen ist den letzten Stakeholdern klar geworden, dass eine funktionierende Energiewirtschaft essenziell für unser Leben und unseren Wohlstand ist – das gilt für Energiekonsumenten, Industriekunden, Politik, Presse oder auch die Energieunternehmen selbst. Und es ist klar, dass diese auch nach überstandener akuter Energiekrise weiter an Bedeutung gewinnen wird.“ Dr. Thomas Schlaak
Die Energiewirtschaft ist einem steigenden Erwartungsdruck ausgesetzt. Zugleich ist die Branche mit einer Vielzahl an strategischen Prioritäten konfrontiert, so dass ein ganzer Tsunami an wirklich wichtigen Aufgaben durch die Führung der Unternehmen zu sortieren, priorisieren und adressieren ist.
Zu viele strategische Prioritäten treiben Aufgabentsunami
Die vielfältigen Prioritäten, die keine „Nice-to-have“- oder „Kann-Themen“ sind, lassen sich grob in drei Bereiche einteilen.
1. Neue Operations. Umbau des Energiesystems
Der genehmigte Szenariorahmen 2023-2037/2045 der BNetzA hat den Umbaubedarf für das deutsche Energiesystem noch einmal auf den Punkt gebracht, konkretisiert und belegt, dass der Erneuerungsbedarf immens ist. Erneuerbare sind durch Energieunternehmen zu entwickeln und zu bauen. Die Netze sind zu ertüchtigen und vor allem durch den Einsatz von digitaler Technologie fit für die komplexe Steuerungsaufgabe zu machen. Der Ausbaupfad mit jährlich 22 GW PV und 12 GW Wind führt allein bei regionalen Flächennetzbetreibern zu einer Verdopplung der Netzleitungen. Gleichzeitig sind neue Technologiefelder insbesondere E-Mobility und Wasserstoff zu entwickeln, ohne dass schon heute immer klar ist, welche Technik am Ende zum Zuge kommen wird. Neben Um- und Ausbau von Erzeugung und Netze sind neue Kompetenzen für Energielösungen aufzubauen, die zu einer Verbreiterung der Wertschöpfung in Richtung Installation, Wartung und Steuerung der dezentralen Kundenanlagen führen. Diese Energiewende ist vorrangig durch die mittelständischen EVUs vor Ort umsetzen. Dort ist der Veränderungsbedarf am größten, denn alle diese Aufgaben sind zu finanzieren, zu planen und in konkreten Programmen und Projekten umzusetzen - pro Energieunternehmen sind das häufig einige Dutzend.
2. Neuer Purpose. Repositionierung bei Kunden und Mitarbeitern
Der Wandel hin zu dekarbonisiertem Wirtschaften elektrifiziert viele bisher über fossile Energie versorgte Prozesse und der Rest wird mittel- und langfristig über „low-carbon“ Wasserstoff abgedeckt. Neue Produkte und Geschäftsfelder lassen sich so durch Energieunternehmen erschließen. Zusätzlich muss die Verbreiterung in Richtung zu Non-Commodity kommuniziert werden. Auf alle Fälle sollte die Unternehmenspositionierung bei Kunden, Mitarbeitern, Konzessionsgebern und anderen in Richtung Nachhaltigkeit angepasst werden. Die erforderliche Kundenorientierung ist nicht nur durch eine aktualisierte Marke zu transportieren, sondern sollte sich auch in schlanken, fehlerfreien und bestenfalls individuell anpassbaren Prozessen niederschlagen. Auch diese Aufgaben sind in konkreten Projekten umzusetzen.
3. Neue Organisation. Wandel in Arbeitsweisen und Technologie
Neben Neuausrichtung der Unternehmen und Umbau der Operations ist die Organisation durch neue Arbeitsweisen und Technologie auf neue Füße zu stellen. Der demografische Wandel verschärft das Tempo durch das Ausscheiden von Kompetenzen bei gleichzeitig neuen Anforderungen des Talentmarktes. Agiles Arbeiten ist nicht nur in vielen Situationen sinnvoll, sondern wird auch von der nächsten Mitarbeiter-Generation eingefordert.
Hybrides Arbeiten ist in den Organisationsalltag zu integrieren. Die Beschleunigung der Veränderungsgeschwindigkeit durch Technologie ist mehr und mehr eine Wettbewerbsvoraussetzung. Eine Zukunft ohne Cloud-Anwendungen kann sich heute kaum ein Energieversorger mehr vorstellen. Keine Frage, dass diese Herausforderungen in vielfältige Projekte und Aktivitäten zu übersetzen sind. All diese strategischen Projekte werden dann im Tagesgeschäft durch die Bewältigung operativer Krisen überlagert: von Corona über Redispatch 2.0 zu Gasmangellage und von hier aus weiter.
Unzureichende Priorisierung paralysiert Unternehmen
Im Ergebnis aus strategischen Prioritäten und operativen Tageskrisen haben alle Energieunternehmen aktuell sehr viel zu tun. Viele Energieunternehmen haben allerdings zu viel zu tun bzw. nehmen sich zu viel zugleich vor. Auch hier sind drei Gründe ausschlaggebend.
1. Die Aufgaben werden zu kleinteilig und zu diffus definiert
Die Aufgaben werden nicht zu bereichsübergreifenden Aufgabenfeldern zusammengefasst, um Komplexität zu reduzieren, weil da die Abarbeitung in eigenständigen Teams über Bereichs- oder Vorstandsgrenzen hinweg vielen schwer fällt. Voraussetzung hierfür wäre ein einheitliches Zielbild im Führungsteam von Vorstand und Direct Reports. Stattdessen werden aufgrund unklarer Zielvorstellungen alle Möglichkeiten zur Bewältigung der strategischen Herausforderungen offengelassen und über Piloten getestet, ohne dass die Organisation sich auf einen Fokus konzentrieren kann.
Das Zielbild, was auf Unternehmensebene zu definieren und dann auf Bereichsebene zu kaskadieren ist, ermöglicht die Ableitung von eindeutig definierten Veränderungen entlang von Prozessen (bspw. wie stark soll digitalisiert werden), Veränderungen von personellen Fähigkeiten (welche Tätigkeiten fallen weg, welche verändern sich inhaltlich, welche werden neu benötigt), Veränderungen von IT-Komponenten zur Schaffung von Echtzeittransparenz, Veränderung der Organisation weg vom Silo hin zu übergreifenden Teams oder Veränderung der Erhebung, Veredelung, Verzahnung und Nutzung von Daten.
2. Priorisierung scheitert an wenig ausgeprägtem unternehmerischen Denken
Die zu lange und zu wenig verdichtete Liste an Aufgaben trifft auf eine Priorisierung, die im Wesentlichen pro Bereich stattfindet. Was sich jeder einzelne Bereich bzw. einzelnes Geschäftsfeld leisten kann, steht im Vordergrund. Die Aufgabenfelder, die bereichsübergreifend Bedeutung haben, werden so strukturell untergewichtet, obwohl diese häufig den meisten Mehrwert haben.
Ein Grund hierfür liegt oft darin, dass eher Einzelne als bereichsübergreifende Teams incentiviert werden. Als Konsequenz schaut jeder auf sich und nicht das Ganze steht im Vordergrund. Die häufig klassische, nicht immer diverse Besetzung der Führungspositionen gerade im Mittelstand der Energieindustrie verstärkt das skizzierte Hierarchiedenken, so dass eine „inkrementelle Veränderung des Bestehenden“ der mutigen Veränderung in den angestrebten Zielzustand vorgezogen wird.
3. Abarbeitung verteilt sich auf zu wenige Schultern
Die Erledigung der zu langen, nicht genug verdichteten und radikal genug priorisierten Aufgabenliste hängt dann regelmäßig immer an den gleichen Köpfen.
Dadurch können Unternehmen die Abarbeitung nicht parallelisieren. Im Ergebnis verlangsamt sich die Abarbeitung der Prioritäten weiter, da die „Aufgaben-Autobahn“ verstopft. Zu viele Projekte mit höchst unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die immer durch die gleiche Engpaßstelle müssen. Der sich anschließende Reflex der Arbeitsverdichtung erhöht die Ineffizienz, da Energie darauf verwendet wird zu argumentieren, warum Dinge nicht gehen, als diese direkt anzugehen.
„Befreiungsschlag durch mutige Führung“
Um dieser Gemengelage Herr zu werden, braucht es natürlich gute, motivierte Mitarbeiter und Partner sowie verständnisvolle, unterstützende Anteilseigner. Es braucht aber auch Führung, die mutig Entscheidungen trifft und Voraussetzungen für Erfolg schafft. Drei Punkte sind hier herauszugreifen.
1. Führung gibt das ‚Was‘ konkret vor
Das Empowerment der Organisation fängt nicht damit an, dass Führungskräfte die Unternehmensambition – oft festgehalten in Wachstums- und Ertragserwartungen - frei für sich für ihren Bereich in Handlungsfelder übersetzen. Ausgangspunkt muss vielmehr sein, dass ein gemeinsames Zielbild über Bereichsgrenzen hinweg definiert und ein echtes Führungsteam geformt wird. Dieses Team muss den gemeinsamen Kern der Unternehmung definieren.
Wir sind zum Beispiel „der Ermöglicher einer dekarbonisierten Wirtschaft und Lebensweise vor Ort in unserer Region“ und dieser Logik ordnen wir alles unter. Was hierauf einzahlt wird gemacht – was nicht, wird nicht getan. Was muss zeitlich früher realisiert werden, was kann warten. Häufig sind die zeitlich drängenden Themen, dann zu klärende Grundsatzfragen, die über Task Forces abzuarbeiten sind. Eine so verdichtete und zeitlich priorisierte Aufgabenliste muss klären, ‚Was‘ gemacht wird, um dann die Umsetzung zu delegieren und deren Verantwortliche zu empowern.
2. Führung befähigt die Organisation
Auch wenn Top-Führungskräfte über sehr viele wertvolle Erfahrungen verfügen, sollten sie sich in der Begleitung der Aufgabenabarbeitung zurücknehmen. Die skizzierte Komplexität der Aufgaben ist viel zu hoch, als dass Einzelne hier die Lösung vorgeben können. Vielmehr geht es darum, dass Führung die notwendigen Rahmenbedingungen für ihre Teams schafft, Ressourcen in Form von Budgets bereitstellt, die Kompetenzträger freischaufelt und die Kompetenzentwicklung vorantreibt.
Teil der Befähigung ist, dann auch sicherzustellen, dass das Führungsteam durch branchenfremde Kompetenz ergänzt wird, um die Offenheit für Veränderungen weiter zu verankern. Befähigung bedeutet auch, dass Führung die Skalierung der Aufgabenbewältigung über Partner forciert und gleichzeitig die Mitarbeitergewinnung und -förderung zur Chefsache macht. Führung lebt neue Arbeitsmethoden vor, fördert Verantwortungsübernahme und gewährt Freiheitsgrade.
3. Führung schafft Leitplanken für das ‚Wie‘
Auch wenn es wesentliche Aufgabe moderner Führung ist das ‚Was‘ einzugrenzen und die Mittel zur Umsetzung zu organisieren, so braucht es auch für das ‚Wie‘ feste Leitplanken. Es ist deshalb wichtig, zu artikulieren, warum und wie sich das ‚Wie‘ ändert. Ein gutes Beispiel hierfür ist das „Agile Manifest der Energiewirtschaft“, welches Praktiker und Deloitte-Berater entwickelt haben (siehe Grafiken).
Neben Prinzipien braucht es natürlich auch konkrete Prozesse, wie die Einführung einer unterjährigen rollierenden Strategieplanung in Kombination mit einem unternehmensweiten Projekt-Portfoliomanagement, damit der Fokus auf das Wesentliche gewahrt bleibt und gleichzeitig die sich ändernden strategischen Herausforderungen angegangen werden können. Die Energiewirtschaft muss liefern, mutige Führung wird hierfür entscheidend sein.
Anfragen an den Autor: t.schlaak@deloitte.de; www.deloitte.com/de