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Aus Ideen sollen Märkte werden
In den Schlussfolgerungen zum Klima- und Energiepaket 2030 unterstreicht der Europäische Rat, dass die EU-Energiepolitik tragbare Energiepreise, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, die Versorgungssicherheit sowie das Erreichen der klima- und energiepolitischen Ziele sicherstellen muss.
Europas Energiezukunft verlangt zugleich Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation und Smart Integration, so das Ergebnis einer Konferenz der EU-Kommission im März 2014. Wir sprachen mit Günther Oettinger, Mitglied der Europäischen Kommission und EU-Kommissar für Energie zu den Herausforderungen für die Innovation zur Erreichung der Klimaziele 2030.
Herr Oettinger, fehlt es der Energiepolitik in Europa an Ideen?
Es gibt keinen Mangel an Ideen. Ich sehe eher einen Mangel an Innovation, an „herstellbaren“ und „marktfähigen“ Produkten, die Verbraucher wollen und sich leisten können. Uns fehlt vielfach die Fähigkeit, qualitativ hochwertige Forschung in Produkte für den Markt umzusetzen. Das ist auch die große aktuelle Herausforderung im Bereich der Energieinnovation: Aus Ideen sollen Märkte werden. Von Watts Humphrey, dem geistigen Vater der IBM Engineering-Transformation, stammt die sehr kluge Bemerkung: „Innovation ist der Prozess der Umsetzung von Ideen in marktfähige Produkte und Formen“. Bis heute hat dieser Satz nichts von seiner Bedeutung verloren. Die Vorschläge der Kommission für den Energie- und Klimarahmen 2030 sind voller Ehrgeiz: Weniger Emissionen, Erhöhung des Anteils von erneuerbaren Energien, erschwingliche Energiepreise, mehr Energie effizienz – bei zunehmender Integration der europäischen Energiemärkte. Energie-und Klimadiplomatie heißt die Aufgabe der künftigen EU-Kommission, um unsere Treibhaus gas emis sionen um 80% bis 2050 zu reduzieren. Und dies in einer Weise, die nachhaltig ist und gleichzeitig die Wettbewerbs fähigkeit unserer Wirtschaft stärkt. Um dies zu erreichen, brauchen wir Inno vationen.
Was bedeutet das in der Praxis?
Am Anfang der Innovation steht der End verbraucher. Wollen wir erfolgreich sein, müssen unsere innovativen Produkte einen Markt und einen Benutzer finden. Energie-Innovation muss sich verstärkt auf das Gesamtsystem beziehen und weniger isoliert auf einzelne Sektoren. Wir werden uns in Richtung eines innovativen und miteinander verbundenen Energie marktes in Europa bewegen. Smart Grids, Intelligente Mess-Technologien, die Integration der erneuerbaren Energien und die Vernetzung der PV-Module und OffshoreWindparks sind Beispiele dafür. Wir müssen jedoch stets bedenken, welche Wirkung einzelne Elemente auf das Gesamtsystem und den Verbraucher haben. Wie wichtig das ist, zeigt sich etwa am Beispiel der Erneuerbaren Energien. Auf der Immobilienmesse in Cannes sah ich kürzlich Beispiele dafür, wie Innovation unsere Städte verändert. Es geht um Niedrig energiehäuser, passive Heizung und Kühlung, auch intelligente Energiemessung und Mikrogitter. Sie erleichtern uns die Nutzung von Sonne, Erdwärme oder Kraft-Wärme und ermöglichen den Verbrauchern eine Kontrolle über ihren Energieverbrauch. Null-Emissions-Transport wird Realität durch den Einsatz von Elektrofahrzeugen und Brennstoffzellen. Es sind so genannte „Smart urbane Netzwerke“, die künftig unsere Stromerzeugung, die Transportmöglichkeiten, den Wohnungsbau und Arbeitsplätze beeinflussen. Nehmen wir die Energieeffizienz. Europa ist immer noch der größte Markt der Welt für energieeffiziente Produkte und Dienstleistungen. Aber nur ein kleiner Teil unseres wirtschaftlichen Potenzials wird genutzt. Allein in Gebäuden könnte der Energieverbrauch durch die Verwendung von intelligenten und energiesparenden Techniken bis um die Hälfte gesenkt werden. Fortschritte in diesem Bereich sind von entscheidender Bedeutung für unsere Energieziele 2030.
Wie soll Innovation letztlich finanziert werden?
Die Finanzierung spielt ohne Frage eine wichtige Rolle bei der Innovation. Energiesteuern, CO 2 -Preise und Energiesubventionen müssen transparent und flexibel sein sowie auf Marktfaktoren basieren. Niemand bestreitet, dass die Verschiebung hin zu mehr Strom aus nachhaltiger Erzeugung kurz-bis mittelfristig Geld kostet. Die Frage ist: Wie können wir einerseits sicherstellen, dass die Belastung durch Steuern und Abgaben nicht untragbar wird und Energiepreise nicht ausufern? Und wie können wir andererseits sicherstellen, dass die Kosten der CO 2 -Emissionen nicht zu niedrig sind, um kohlenstoffarmen Inves titionen zu fördern? Ohne Frage geht es hier um ein sensibles Gleichgewicht. Eine Möglichkeit ist die Anpassung der Steuer- und Subventionsmechanismen, wie etwa mit „Green Steuern“ in Großbritannien oder Subventionskürzungen bei den Erneuerbaren in Spanien. Entsprechende Senkungen sind sinnvoll, wenn sie Kürzungen in Erzeugungs kosten widerspiegeln, aber wir sollten dabei das Vertrauen der Anleger nicht beschädigen und das Investitionsklima nicht be einträchtigen. Deshalb ist es wichtig, dass bei Erneuerbaren die Reform der Förder regelungen entlang entsprechender Leitlinien der Kommission erfolgt und die Beteiligten gut informiert werden.
Kann man nicht Synergien zwischen Finanzierungsquellen finden?
Darin sehen wir eine der Hauptfragen bei der Finanzierung von Innovation. So hat der SETPlan der EU-Kommission (SET steht für Strategic Energy Technologies) dazu beigetragen, eine bessere Nutzung der eingesetzten Mittel zu erreichen. Das neue EU-Forschungs programm Horizont 2020 bewegt sich weiter in diese Richtung mit der Orientierung auf Energietechnik und Kommu nikations technologien. Zum ersten Mal umfasst ein EU-Programm den gesamten Ent wicklungs prozess, von der Forschung bis zur Marktein führung. Wir schätzen, dass branchenübergreifende Innovationsprojekte zu einer Ver ringerung der Investitionskosten für die verschiedenen Technologien von rund 10 - 15% der Gesamtinvestitionen führen.
»Es geht nicht um die Begünstigung eines Sektors oder einer Gruppe.«
Nun kommt es darauf an, Synergien zwischen Horizont 2020 und anderen Finanzierungsquellen für Energie zu finden. Dabei sollten wir im Hinterkopf behalten: Es geht nicht um die Begünstigung eines Sektors oder einer Gruppe. Vielmehr sollten alle Sektoren und alle interessierten Parteien kooperieren. Dadurch können wir erreichen, dass die uns zur Verfügung stehenden Mittel mit dem größten Nutzen für Europa verwendet werden.
Und welche Rolle spielen die Menschen in diesem Prozess?
Wir müssen uns stets vor Augen halten: Bei Innovation geht es um Menschen. Innovation ist ein kontinuierlicher Prozess, der Ebenen wie Forschung, Entwicklung, Implementierung, Geschäftsplanung und Vertrieb erfasst. Immer spielen Menschen eine wichtige Rolle. Entscheidend für den Erfolg sind kommerzielle Projekte, die über ein Demon strations stadium hinausgehen - und Geschäftsmodelle, die eine Verbindung zu den Märkten, den Unternehmen sowie den Verbrauchern herstellen. Das muss der Ansatz sein, um mit Innovation und innovativen Unternehmen in der EU die geplanten Energieziele 2030 zu erreichen. Wie formuliert es doch der große europäische Erfinder Alexander Graham Bell: „Große Entdeckungen und Verbesserungen sind immer die Zusammenarbeit von vielen Köpfen.“
Wie ist der Blick von der EU auf die Innovationsentwicklung in der deutschen Energiewirtschaft?
Deutschland befindet sich seit Jahren auf einem guten Weg. In der Energiewirtschaft sind es nicht zuletzt die Stadtwerke, die innovative Lösungen entwickeln und zur Gestaltung der Energiewende in den Markt bringen. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Steigerung der Energieeffizienz geben viele Stadtwerke mit intelligenten Technologien die Richtung vor. Ich bin überzeugt, dass Forscher und Ingenieure in Deutschland weiterhin Maßstäbe in Sachen Innovation in der Energiewirtschaft setzen. Und damit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, energiepolitische Ziele zu erreichen.
http://ec.europa.eu/energy/index_de.htm
Dr. Lothar Müller