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Kategorie: Digitalisierung
Alterung, Braunkohleausstieg und Klimapaket
Sinkendes Potentialwachstum in Deutschland, beschleunigter Braunkohleausstieg und Klimapaket bewirken finanzpolitische Konsequenzen für die Jahre bis 2024. Dies belegt eine aktuell veröffentlichte Mittelfristprojektion des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).
Prof. Dr. Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik benennt in einem Gastbeitrag die Effekte von Alterung, Kohleausstieg und Klimapaket auf den gesamtstaatlichen Budgetsaldo bis zum Jahr 2024.
Nach der Mittelfristprojektion des IWH wird das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland in den Jahren bis 2024 preisbereinigt um durchschnittlich ein Prozent wachsen; das nominale Bruttoinlandsprodukt wird um durchschnittlich 2¾ Prozent zunehmen. Die Durchschnittswerte verschleiern die Tatsache, dass das Wachstum gegen Ende des Projektionszeitraums aufgrund der dann rückläufigen Erwerbsbevölkerung spürbar zurückgehen wird. Dies wird sich auch auf die Staatseinnahmen auswirken.
Allerdings wird die Bevölkerung nicht regional gleichverteilt zurückgehen. Strukturschwache Regionen dürften stärker betroffen sein. Regionen mit schrumpfender Erwerbsbevölkerung müssen sich auf einen sinkenden finanziellen Spielraum einstellen. Die regionalen Effekte werden zwar durch Umverteilungsmechanismen abgefedert, aber nicht völlig ausgeglichen. Der beschleunigte Braunkohleausstieg wird diesen Prozess verstärken, das Klimapaket der Bundesregierung hat hingegen vergleichsweise geringe Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen.
Bevölkerungsentwicklung und Wachstum
Das Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft wurde in den vergangenen Jahren vom deutlichen Anstieg der Bevölkerung infolge der hohen Zuwanderung gestützt. Dies wird sich in den kommenden Jahren ändern: Aufgrund der natürlichen Bevölkerungsbewegung und bei annahmegemäß nach und nach sinkendem Wanderungssaldo dürfte die für das Produktionspotenzial in Deutschland relevante erwerbsfähige Bevölkerung ab dem Jahr 2022 abnehmen. Vor allem deshalb wird die deutsche Wirtschaft bis zum Ende des Projektionszeitraums wohl nur um durchschnittlich 1% wachsen.
Finanzpolitische Spielräume bald ausgeschöpft
Mit der schwächeren Konjunktur und einer expansiv ausgerichteten Finanzpolitik dürften die gegenwärtig hohen gesamtstaatlichen Haushaltsüberschüsse bis zum Jahr 2021 weitgehend abgebaut werden. Ab dem Jahr 2022 werden die gesamtstaatlichen Einnahmen dann mit einem Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen und einem geringen Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Produktion deutlich schwächer zulegen als in den Jahren davor. Die öffentlichen Ausgaben dürften dagegen – auch aufgrund des demographischen Wandels – stärker zunehmen als die Einnahmen des Staates. Bis zur Mitte der 2020er Jahre dürften die finanzpolitischen Spielräume erschöpft sein. Die geplanten Ausgaben für die Begleitung des Braunkohleausstiegs und für den Klimaschutz müssen dann entweder zu Lasten anderer Ausgaben gehen oder durch höhere Einnahmen finanziert werden.
Vergleichsweise geringe Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen hat das kürzlich beschlossene Klimapaket der Bundesregierung. Es wird größtenteils über ein Sondervermögen des Bundes, den ‚Energie- und Klimafonds‘ (EKF) finanziert. Zu einem kleineren Teil werden die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden belastet, insbesondere durch steuerliche Fördermaßnahmen und sonstige Entlastungen. Vor allem sollen hier Mittel umgeschichtet werden. Weil den Mehrausgaben und den Entlastungsmaßnahmen mittelfristig die zusätzliche Belastung der Unternehmen durch die CO2-Bepreisung gegenübersteht, liefert das Klimapaket per saldo nur in der kurzen Frist geringfügige gesamtwirtschaftliche Impulse, und es soll auch nur kurzfristig die öffentlichen Haushalte belasten.
Gesamtwirtschaftlicher Impuls durch Strukturstärkungsgesetz gering
Teil des ‚Klimaschutzprogramms 2030‘ ist der Ausstieg aus der Kohleverstromung, für den die Bundesregierung bereits im Sommer 2019 den Entwurf eines ‚Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen‘ verabschiedet hat. Für die veranschlagten Ausgaben in Höhe von insgesamt 40 Mrd. Euro stellt der Bund, beginnend mit dem Jahr 2019, jährlich 500 Millionen Euro in Form so genannter Verstärkungsmittel für die Kohleregionen Lausitz, Mitteldeutschland und Rheinland bereit. Diese Regelung gilt zunächst bis zum Jahr 2023, soll aber bis zum Jahr 2038 verlängert werden.
Damit flössen im Zeitraum von 2019 bis 2038 insgesamt zehn Mrd. Euro zusätzliche Verstärkungsmittel in die Kohleregionen. Die verbleibenden 30 Mrd. Euro sind laut Gesetzentwurf durch Umschichtungen im Haushalt sicherzustellen. Womit der mit dem ‚Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen‘ verbundene gesamtwirtschaftliche Impuls, ebenso wie beim Klimapaket, recht gering ausfallen würde.
Ausstieg aus Kohleförderung hat negative Folgen für die betroffenen Regionen
Die geplanten Verstärkungsmittel werden eine Verschlechterung der wirtschaftlichen und auch der finanzpolitischen Lage in den Kohleregionen nicht vollständig verhindern können. Der Ausstieg aus der Kohleförderung hat in den betroffenen Regionen negative Folgen für Produktion, Beschäftigung und Einkommen. Dazu kommen in den beiden ostdeutschen Braunkohleförderregionen noch besondere Belastungen von Seiten der Demographie. Die Dynamik der Wirtschaftskraft in den ostdeutschen Braunkohlerevieren wird bereits ohne den Braunkohleausstieg aufgrund der ungünstigen Bevölkerungsentwicklung hinter derjenigen im übrigen Deutschland zurückbleiben.
Der beschleunigte Braunkohleausstieg wird die Lage weiter verschlechtern, weil ein Teil der Menschen, die ihre Arbeit in der Braunkohlewirtschaft verlieren, neue Jobs in anderen Regionen annehmen wird. Das damit einhergehende Steuerminderaufkommen dürfte sich in der Lausitz bis zum Jahr 2038 auf mehr als vier Mrd. Euro und in Mitteldeutschland auf etwa 1½ Mrd. Euro belaufen. Das rheinische Revier unterscheidet sich insofern deutlich von den ostdeutschen Braunkohlerevieren, als dass wichtige demographische Kennziffern dem bundesdeutschen Durchschnitt entsprechen. Dort fallen die Steuermindereinnahmen in Relation zur gesamten Wirtschaftskraft weniger ins Gewicht.
Die Abbildungen zeigen die Effekte des beschleunigten Braunkohleausstiegs auf Bruttowertschöpfung (links unten) und Erwerbsbevölkerung (rechts oben). Die Ergebnisse werden als Differenz zwischen beschleunigtem Ausstieg und einem hypothetischen Szenario ohne die jüngst beschlossenen Maßnahmen ausgewiesen.
Bildnachweis: Darstellung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle
Fazit
Der demografische Wandel in Deutschland wird sich in absehbarer Zukunft auf die Steuereinnahmen des Staates niederschlagen. Dies wird vor allem zu spürbaren Einschnitten in Regionen mit schrumpfender Bevölkerung führen, da der Länderfinanzausgleich unter anderem an die Einwohnerzahl gekoppelt ist. In den Braunkohleregionen wird der ohnehin stattfindende demographische Wandel durch zusätzliche Abwanderung verstärkt werden. Ein Teil der Menschen, die ihre Arbeitsplätze in der Braunkohlewirtschaft verlieren, wird sich eine neue Beschäftigung in einer anderen Region suchen.
Den Einschnitten für die öffentlichen Finanzen stehen die finanziellen Hilfen für die vom Braunkohleausstieg betroffenen Regionen gegenüber. Diese liegen nominal weit über den zu erwartenden Einnahmeausfällen, sind aber bislang nicht finanziert. Je nachdem an welcher Stelle bisherige Ausgaben wegfallen, um die Braunkohlehilfen zu finanzieren, werden sich regionale Umverteilungseffekte ergeben. Die Effekte des Braunkohleausstiegs und des Klimapakets auf die öffentlichen Finanzen sind gesamtwirtschaftlich betrachtet gering – zumal verglichen mit dem quantitativ bedeutsameren demografischen Wandel.
Weitere Information unter: www.iwh-halle.de